Hunde mutierten in den letzten Jahren von Haustieren zu Partnern und Begleitern. Letztes Wochenende drehte sich auf Kirchberg alles um Rassenhunde

Labradore, Leckerlis und Hunderichter

4 100 Hunde waren am Wochenende  auf der internationalen Hundeshow
Photo: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land du 07.04.2023

Ein schwarzer Großpudel steht auf einem blechernen Tisch; Zöpfe zieren seinen Kopf, seine Oberbeine sind geschoren, damit Fellkugeln wie dicke Socken an den Unterbeinen hervorstechen. „Fünf Stunden habe ich für das Styling benötigt“, erzählt sein Besitzer, ein Flame. Pudel sind sein Hobby. Ein Hobby, das viel Zeit und Geld verschlinge, allein für die Teilnahme an der heutigen Internationalen Dog Show hat er um die 150 Euro gezahlt, hinzu kommen Hotel- und Aufenthaltskosten. Am Seitenrand einer Arena, in der Hundebewertungen stattfinden, freut sich ein junger Mann mit durchtrainiertem Oberkörper und strahlend weißen Zähnen: „Ich habe gerade den ersten Preis gewonnen“. Und um was ging es bei dem Wettbewerb? „Only about beauty”, antwortet der kroatische Hundetrainer. Sein brauner Pudel habe eine hervorragende Anatomie, Fellstruktur, Zähne und verhalte sich angemessen. Geld erhält man für den ersten Preis nicht, aber der Züchter aus Deutschland, für den er dieses Wochenende angetreten ist, könne seine Nachzucht nun teurer verkaufen. Die Richter haben ihm nämlich bestätigt, dass sein Hund dem Rassenstandard entspricht. Neben ihm trainiert eine ältere Frau das Rückwärtsgehen mit ihrem Dalmatiner. „Ich liebe diese Rasse. Dalmatiner sind sehr bestimmt, aber nicht aggressiv. Außerdem kann man eine echte Komplizenschaft mit ihnen aufbauen”, schwärmt sie. Als Hausfrau habe sie Zeit, gelegentlich Nachwuchs zu züchten und zu trainieren. „Wer dies aber gewissenhaft tut, verdient am Ende kein Geld damit“, sagt sie. Sie nehme an Wettbewerben wie diesem teil, um „Werbung für Dalmatiner zu machen“ und mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten.

Am Wochenende waren 4 100 Hunde in den Ausstellungshallen auf Kirchberg. Aus 27 unterschiedlichen Ländern sind die Hundehalter angereist. Organisiert wurden die Wettbewerbe von der Fédération cynologique luxembourgeoise (FCL), die seit 1911 Rassenstandards überwacht und seit 50 Jahren die internationale Hundeshow organisiert. Laut Veterinärinspektion leben zurzeit offiziell um die 50 000 Hunde im Großherzogtum (Personen, die sich mit dem Verkauf von Hundefutter befasst haben, meinen allerdings, die Zahl könnte doppelt so hoch ausfallen). Das Hundegesetz von 2008 sieht vor, dass Hunde mindestens vier Monate nach ihrer Geburt gechipt werden, sie gegen diverse Krankheiten geimpft und bei der Gemeinde registriert werden. An die Kommunalverwaltung müssen zudem etwas mehr als zehn Euro Steuern gezahlt werden und Halter eines sogenannten „Kampfhundes“, wie dem Mastiff oder Pit Bull, müssen den „Hundeführerschein“ absolvieren. Etwa 500 solcher Hunde sind derzeit in Luxemburg angemeldet.

In einer Nebenhalle hat die Sichhënn asbl einen Geruchsgarten aufgestellt. Oregano, Minze, Salbei sprießen aus Töpfen; Schafs- und Kaninchenfell liegen in Kisten; Pferdeäpfel und Kaninchenknollen können durch eine Röhre beschnuppert werden. „Wer seine Hunde glücklich sehen will, der soll sie an diesem Fell riechen lassen“, erklärt Tanja Forette, die den Verein vor fünf Jahren gegründet hat. Ein kleiner brauner Cocker dreht sich euphorisch im Kreis. „Er hat gerade an einer Wurstmischung geschnuppert, die wir als Lockfutter bei verängstigten Hunden einsetzen“, erläutert die Hundetrainerin. Vor zwölf Jahren adoptierte sie einen griechischen Straßenhund, dessen Geist nicht in sich ruhte. „Um ihn kognitiv herauszufordern, entschied ich ein Riechtraining mit ihm durchzuführen, das hat ihn zutraulicher gestimmt.” Mittlerweile sind zwölf Personen ehrenamtlich in dem Verein engagiert, zu ihren Suchhunden zählen unter anderem Labradore und Bulldogen. Im Geruchsgarten informiert eine Tafel über den Umfang des Riechkolbens im Gehirn: Beim Hund umfasst er zehn Prozent, beim Menschen nur einen des gesamten Gehirnvolumens.

Was heißt das nun, dass ein Hund zehn Mal mehr Substanzen unterscheiden kann, oder von einer zehnfachen Entfernung wahrnimmt? Oder sich Gerüche besser merken kann? Es heißt vor allem, dass Gerüche eine viel bedeutendere Rolle im Leben eines Hundes spielen als bei Menschen. Spaziergänge sind für Hunde eine abwechslungsreiche, olfaktorische Entdeckungsreise, während sie für ihre Besitzer häufig auf Bewegung reduziert werden. Vor allem im urbanen Raum wird das Düfte-Aufspüren als wesentlicher Teil des Hundelebens unterdrückt; Spuren nachschnüffeln ist für Hunde unmöglich, die an Leinen durch den Verkehr rumgeführt werden. Dabei sind Gerüche nicht einfach Gegenstand der Wahrnehmung, sondern unsichtbare Geschichten: Sie verweisen auf Vergangenes oder dem Sehsinn Verborgenes. Und vieles, das Menschen über ihren Sehsinn identifizieren, bestimmen Hunde über die Nase. Treffen sie beispielsweise auf Artgenossen riechen sie das Alter, Geschlecht und den Gesundheitszustand ihres Gegenübers.

Im Geruchsgarten ist ebenfalls Carole Pleimling zugegen. Sie ist Dackelzüchterin und hat morgen ihr Examen als Richterin für den Dackel-Rassenstandard. Derzeit gibt es zwölf Richter/innen in Luxemburg. Man sucht, wie in den meisten Vereinen, händeringend nach Nachwuchs. „Fürs Examen habe ich mich unter anderem mit dem Körperbau von Dackeln befasst, dem Gesundheitszustand und Charaktereigenschaften der Rasse“, erläutert die sportliche Blondine. Als Richterin tätig zu sein, bleibt Freiwilligenarbeit; man erhält lediglich eine Aufwandsentschädigung. Die Rassenzucht sei etwas in Verruf geraten, meint sie. Doch der FCL-Dachverband verfolge mit seinen rassenspezifischen Vorgaben hohe gesundheitliche Standards und die Hundezüchter, die Mitglied des Verbandes sind, würden kontrolliert. In Luxemburg werden vor allem Windhunde, Malamuts, Dackel und die dauerbeliebten Labradore und Goldenretriever gezüchtet.

Dennoch bleiben unterschiedliche Zuchtpraktiken umstritten. Studien gehen davon aus, dass 20 Prozent der deutschen Schäferhunde Probleme mit den Hüften haben und 30 Prozent der Französischen Bulldogen. Durch die angezüchtete Kurzköpfigkeit haben sich bei diesen Bulldogen überdies chronisch verengte Atemwege gebildet. In den Ausstellungsfluren ging die Information rum, die illegale Hundezucht habe in Osteuropa drastisch zugenommen. Tierschutzbestimmungen fallen dabei unter den Tisch; Hauptsache das Geschäft läuft. Mit gefälschten Papieren würden diese krankheitsanfälligeren Hunde die Grenze überschreiten. Aufregung entstand auch, als das Gerücht die Runde machte, auf dem Parkplatz vor den Ausstellungshallen fände ein illegaler Hundehandel statt.

Neben dem Geruchsgarten befinden sich Stände mit Hunde-Leckerlis: Kaninchenohren mit Fell - vier Stück für 20 Euro, und Huhn-Kekse, die zu 40 Prozent aus Quellstärke bestehen. Wer mehr Zeit hat, kann die Pet-Gelato Eismischungen zum Selbermachen oder Leckerlis zum Selberbacken kaufen. Sie werden angestarrt von einer Wand voller Spielzeug; Stoff-Enten, -Quallen, -Schweine, und -Einhörner. Ein paar Schritte entfernt sitzt in einem Feldstuhl eine Frau in Glitzertop, sie hält einen beigen Spitz auf ihrem Schoß, aus dessen Fell ihre rosa Fingernägel rauslugen. An ihr vorbei geht eine wetterfest gekleidete 50-Jährige mit Border Collie.

Statistische Auswertungen der Soziologen Nicolas Herpin und Daniel Verger ergaben, dass Hunde in Frankreich in allen sozioökonomischen Klassen gleich oft vertreten sind. Die These des Kindersatzes hat sich allerdings nicht bestätigt: Hunde werden überwiegend von Familien gehalten. Schon George Orwell, der ein Pudel namens Marx besaß, spekulierte 1947, die Tierliebe der Engländer könnte sich durch eine rückgängige Geburtenrate erklären. Besitzen allerdings Frauen ohne Partner Haustiere, dann eher Hunde, während Single-Männer zuvorderst Katzen halten (laut einer Studie der Colorado State University werden Männer mit Katzen allerdings häufiger als neurotisch eingeschätzt). Überhaupt wächst der Anteil an Katzenhalter/innen, während der an Hunden sinkt – das hängt mit der zunehmenden Mobilität zusammen sowie der Urbanisierung und der Zunahme von Appartement-Wohnungen. Die Berufsgruppe mit den meisten Hunden sind weiterhin Landwirte, hinzu kommen seit ein paar Jahren Personen mit einem Doktorabschluss, die zunehmend von zu Hause aus arbeiten. Zugleich veränderten sich die Ansprüche an Hunde seit der letzten frankreichweiten Studie Ende der 1980-er-Jahre: Während ihnen früher als Jagd-, Wach-, Rettungs- und Hütehund oftmals eine bestimmte Funktion zugeschrieben wurde, gelten sie heute zunehmend als Familienmitglied, das für Unterhaltung und Zuneigung sorgt. Man investiert emotionale Energie in sie, spielt mit ihnen, nimmt sie auf Wanderungen mit, zeigt Fotos und Videos von ihnen auf Instagram und zahlt ihnen eine Chemotherapie, wenn man ihre Krebserkrankung nicht akzeptieren kann.

Zudem scheint der Trend des Office-Dog zuzunehmen. In Luxemburg gibt es keine offizielle Regelung, sondern die Erlaubnis muss vom Unternehmen selbst festgelegt werden. Nach einem Aufruf von RTL im Januar 2023 gaben unterschiedliche Personen an, ihr Vierbeiner sei am Arbeitsplatz willkommen – Optiker, Anwälte, Versicherungsangestellte, Sozialarbeiter, Forscher, Fitnesscenter-Angestellte. Vorreiter der Office-Dog-Kultur ist das Silicon Valley; Google brandmarkte Hundeliebe als „integraler Bestandteil“ seiner Unternehmenskultur. Die Länder mit den meisten Hunden sind Brasilien, die USA und Südafrika: Hier kommt ein Hund auf fünf Einwohner/innen. Deutlich seltener werden Hunde in islamisch geprägten Ländern gehalten, das hängt damit zusammen, dass das Tier laut Koran als unrein gilt.

Mit dem neuen Stellenwert des Hundes hat sich auch der Markt verändert: Bekamen Haustiere früher vor allem Essensreste, wird heute die Gourmetware aus dem Fachhandel bevorzugt. Laut Statista ist in Deutschland der Umsatz bei Hundefutter von 2011 zu 2021 von 1,1 Milliarden Euro auf 1,6 Milliarden gestiegen. Hunde müssen auch nicht mehr draußen in einem Gehege leben, sondern liegen auf ihrer Hundecouch im Wohnzimmer. Gutbetuchte, denen Zeit für Spaziergänge mit ihrem Haustier fehlt, rufen bei Dogwalker oder Walkies-Walkies an. Letztere Adresse rühmt sich, bereits acht Jahre lang Erfahrung in diesem Business gesammelt zu haben, Dogwalker seinerseits mit seiner breiten Servicepalette: Neben Spaziergängen, betreibe man eine Hundepension und biete Futterlieferungen sowie Hundestylings an. Wer den Hundespaziergang für alle fünf Werktage bucht, zahlt 21 Euro pro Woche. 5 000 Personen folgen Dogwalker auf Facebook; das Interesse an solchen Dienstleistungen scheint zu wachsen.

Aber nicht allen Hunden geht es gut. Sacha André, des Schifflinger Tierschutzvereins, berichtete letzten Sommer gegenüber dem Land-Journalisten Luc Laboulle, während des Corona-Lockdowns hätten Familien und Alleinstehende sich einen Hund oder eine Katze zugelegt. Als sie das Homeoffice verlassen mussten oder in den Ferien verreisen wollten, fehlte ihnen die Zeit für das Tier und gaben es im Heim ab. Dort nehmen sie viel Platz ein, denn manchmal müssen sie isoliert voneinander in Boxen gehalten werden. „Die Situation ist seit einem Jahr angespannt, wir sind komplett ausgelastet”, bestätigte diese Woche Pascale Sax, Verantwortliche des Gaspericher Tierheims.

Angespannt sind auch einige Fellnasen auf Kirchberg. Ein Tevuren, ein belgischer Schäferhund, zittert an den Hinterbeinen. Warum zittert er? „Il en a marre, et moi aussi, d’ailleurs“, antwortet die Wallonierin in lila Jogging-Jacke und Jeans. Sie sei die ganze Nacht wach gewesen, weil ihre Welpen Radau schlugen. Die neunjährige Schäferhündin und sie haben zwar heute Morgen einen ersten Preis geholt, aber vielleicht war es den Trubel nicht wert, lacht sie.

Stéphanie Majerus
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