Die kleine Zeitzeugin

Tu Gutes und rede darüber

d'Lëtzebuerger Land du 15.06.2018

Das, was sonst meist andere heimsucht – viele werden bei so was gar heimatlos, aber das ist doch eher in anderen Ländern –, ist über unser Land hereingebrochen in den letzten Wochen. Ist das naturkatastrophal oder noch normal, und bis wohin geht normal? Oder ist es lediglich verhaltensoriginell? Diesbezüglich gehen die Expert_innenmeinungen seit vielen Jahren auseinander. Ist es noch normal, wenn Autos herumliegen wie ausgeweidete Käfer? Wenn eine Schlammsauce, die zur Schlammkruste wird, alles überzieht? Wenn plötzlich eine Straße wegbricht und mit ihr das Grundvertrauen. Wenn die Welt vor unserer Haustür untergeht?

Ist das noch normal? Und während Wetterfrösche und Wetterhexen und Klimakoryphäen ihren Senf zur Katastrophe, die vielleicht gar keine ist, sondern nur eine leichte Abweichung, eine Variation von Normalität, eine Laune der Natur, wie es gern launisch heißt, von sich geben, handeln die Politiker_innen. Zumindest erwecken sie den Anschein.

Die Katastrophenbühne war schon immer eine beliebte Bühne für Politprofis.Wenn die Erde gewackelt hat, nach Flut und Feuer und Terror, kann man sicher sein, dass alsbald ein Präsident, eine Kanzlerin, ein Minister angeflogen oder angerollt kommt. Da, wo das Wasser bis zum Hals steht, gummistiefeln sie kompetent betroffen durch die Verheerungen, durch diese schlammgepanzerten Niederungen der menschlichen Existenz. Mit Gesichtern wie tausend Tage Regenwetter stehen sie den Einsatzkräften im Wege, vor einer Kamera wird ihr Gesicht weich,

ein Politiker beugt sich herab zu einem gebeutelten Menschenwesen. Es wird alles gut werden, die Straßen werden heilen, die Autos wieder in der Sonne glänzen!

Nicht alle Politiker_innen sind wirklich gut in dieser Königsdisziplin. Die deutsche Kanzlerin steht meist eher leblos da, stellt sich tot, irgendwann ist es ja vorbei. Wirklich begabte Politiker_innen streicheln Bauernopfer, quetschen Trosttuben aus, sie drücken auf die Tränendrüsen der Zuschauer_innen auf den trockenen Sofas, es ist beinahe so schön wie englische Hochzeit. Was ist denn imageträchtiger als ein Premier, der seinen Blick tief in den Augen einer vom Schock verwüsteten Frau versenkt, innigst von der Zerstörung Zerstörte umarmt? Es könnt einem bang um ihn werden: Was ist, wenn er nicht mehr runter kommt von dem Trip? Auch der Innenminister versucht sein Bestes. Die Dramaturgie läuft an, die Konkurrenz in Katastrophenvereinnahmung, wer kriegt die besten Bilder? Die meisten Tränen, Lächeln unter Tränen?

„Er streckt seine Hände über sie, herzt sie, gibt ihnen menschliche Wärme“, wird die Begegnung unseres Premiers mit leidgeprüften Menschen in einem Beitrag in MyWort geschildert. Der Autor bremst sich dann ein bisschen, gibt zu, dass er nicht weiß, ob der Premier wie der große Prophet Jesus Christus über heilende Kräfte verfüge. Vor lauter Premier-Anbetung wird der Gottessohn kurzerhand zum – wenn auch großen – Propheten zurückgestuft. Der Premier, so der Autor, ist aber menschlich, er weint mit Menschen.

Wer ist der menschlichste im ganzen Land? Wer kümmert sich am bekümmertsten, wer ist der wahre Tröster der Betrübten? Aber vor allem, wer nimmt Knete in die Hand? Wer wedelt mit Geldscheinen? Oder malt sie wenigstens an die Wand, Zahlen mit vielen Nullen, es hört sich so tröstlich an, dass niemand im Regen stehen gelassen werde. Welcher Politiker kündigt nicht nur an, tief in die Staatskasse zu greifen, um ärgste Not zu lindern? Sondern zeigt wirklich Herz?

In der Disziplin „Politik mit Herz“ macht eine neue Begabung auf sich aufmerksam. Eine bis dato noch relativ unbekannte LSAP-Kandidatin setzt in einem Rundschreiben die Redaktionen des Landes darüber in Kenntnis, dass sie zusammen mit einer gemeinnützigen Vereinigung privat Geld an eine vom Unwetter betroffene Familie gespendet habe. Dieser Information ist die Bitte um Veröffentlichung beigefügt. Es wäre aber auch jammerschade, wenn so eine gute Tat einfach untergehen würde.

Michèle Thoma
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