Die kleine Zeitzeugin

Flüchtlinge und Deserteure

d'Lëtzebuerger Land du 24.01.2020

Woran soll Mensch sich noch halten? Wenn alle desertieren, sich vertschüssen, sich neu orientieren und nichts beim Alten bleibt. Schon gar kein Alter. Wenn alle den Sinn suchen, in sich gehen und anschließend aus den Büros, Ämtern, Palästen ans freie Licht des Tages treten. Gähn, so fad hier.

Ich will mein Leben zurück, sagt Etienne Schneider. Als wäre es ihm gestohlen worden, als sei er zum Beispiel eingezwängt gewesen in einer unglücklichen Ehe, wie man das früher nannte. Und lässt seine Wähler_innen im Stau im Weltraum sitzen, mit schönen Erinnerungen allerdings. Schönen Erinnerungen an Schönes, die Erzählungen des Onkel Rifkin aus Amerika beispielsweise. Wobei, worum ging es da genau? Ist mir gerade entfallen. Langweilig war es nicht mit Herrn Schneider, heutzutage eine politische Tugend. Nur dauert es dann eben auch nie lange.

Ja, auch Politiker sind Menschen, und wenn andere sich neu suchen, finden, erfinden, neue Lebens- und Todesarten, ist das ja auch voll okay. Sie sind gleichberechtigt. Aber wie soll der flexible, volatile Mensch aus dem prekären Heute sich noch an etwas festhalten, wenn Oberhäupter mal eben weg sind, Oberhäuptlinge? Ich habe fertig, sagt man, dass der Großduck gesagt habe, das Fertighaben in Erwägung zu ziehen, der Vater schaut ja jetzt nicht mehr zu. Dabei war die Neujahrsrede wirklich schön. Ergreifend. Die Werte, die der Großherzog ansprach, in der modernen Welt, bei so was muss ich weinen.

Gott sei Dank kann ich auch bei Xavier Bettel weinen. Aber der wünscht sich ja ebenfalls Ruhe! Das können viele ihm nachfühlen, ist ein sehr menschlicher Zustand. Aber wenn die jetzt alle so menschlich werden, wer macht dann die Drecksarbeit, irgendwer muss es doch machen? Vielleicht die Frauen, sie scheinen zäher, sie tun das seit eh und je. Angela Merkel schaut oft müde aus, aber sie steht auf und schaltet und waltet weiter, ihres Amtes.

Der Großherzog steigt vom Thron, den er doch eben, mir ist’s, als sei es gestern gewesen, erklommen hat. Sehr beklommen war er damals, als er durch all die komplizierten Sätze beim Großherzogwerdungsritual stolperte. Und wie routiniert macht er das heute, das Reden, aber immer mit Herz. Es muss ja nicht das Ende von allem sein, wenn er sich erhebt und geht, vielleicht mit einem Hund spazieren. Melusina näht bestimmt weiter, ist ja eine Frau. Wird nicht gleich der Palast mit der herrischen unbeherrschten Herrscherin, dem netten Herrn unter dem goldenen Pantoffel samt meuternden Kammerdienern und Hofschranzen im Abgrund versinken. Der Abgrund wird nicht gleich zubetoniert werden und ein zukunftsweisendes, zum Himmel schreiendes Projekt darauf errichtet werden. So ein kommerzielles Zentrum. Ein schmuckes Palastmuseum dann vielleicht eher, ein Museumspalast. Mit hübschen Wachsfiguren drin, besser noch was Animiertes, à la Jurassic Park. Ein Monarchie-Gehege, interaktiv, gibt viele Möglichkeiten. Großherzogin mit Temperamentausbruch, zeternde Zofen, so mittelalterlicher Zoff-Stoff läuft ganz gut. Bestimmt so gut wie die, die jetzt drin sind, beziehungsweise meist nicht drin. Sicher noch authentischer, tourismusattraktiver.

Gut, die Großherzöglinge sind auch noch da. Und was eint ein Volk mehr als ein Kindlein, dessen eine Prinzessin genesen wird? Es könnte also alles beim Alten bleiben.

Wenn der Neue dann nicht auch noch desertiert! Sind ja nicht nur die alten weißen Männer, die Ermüdungserscheinungen zeigen, auch die jungen weißen Männer sind betroffen. Immer häufiger klagen auch sie über so eine Betroffenheit. Selbst Jungmonarchist Harry will jetzt plötzlich, wie wahrscheinlich jedes Leberwesen auf diesem Planeten mitbekommen hat, endlich was Sinnvolles machen. So was mit Internet und so. Als Prinz ist man kein Top-Influencer mehr, das Outfit wird nicht mehr getragen. Zwar ist da noch der Haken mit der Kohle.

Landesbarde Tonnar schlägt Jean-Claude Juncker als Großherzog vor. Ja! Diesen Phantomschmerz hab ich noch nicht mal erwähnt, er ist zu heftig.

Und die beherzte Astrid Lulling als Großherzogin!

Die würden es bestimmt durchziehen.

Michèle Thoma
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