Gesundheitsreform

Marsatmosphäre

d'Lëtzebuerger Land du 25.03.2010

Es war ein Füllhorn an Reformversprechen, das Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) am Mittwochabend nach der Frühjahrssitzung der Krankenkassen-Quadripartite über den Pressevertretern entleerte. 17 Vorhaben listete der Minister auf und holte zwischendurch kaum Luft. Weil die aktuelle politische Lage es gerade hergab, verglich er sich mit Barack Obama: Der habe Anfang der Woche eine Gesundheitsreform durchgesetzt, die nur ein Drittel dessen bieten würde, was das Luxemburger System leistet.

Damit ist eingetreten, was vor einer Woche so absehbar noch nicht war: Di Bartolomeo hat der Quadripartite eigene Vorschläge gemacht, er hat sie zum Teil sogar vor vollendete Tatsachen gestellt. Bis Ende April soll ein Gesetzentwurf über die Gesundheitsreform vorliegen, die Arbeitsgruppen, in denen ab Januar mit den Dienstleistern diskutiert wurde, sollen nicht mehr zusammenkommen. Einzelgespräche würden in den nächsten Wochen aber möglich bleiben.

Damit demonstriert der Minister Handlungsbereitschaft und hat vermutlich verhindert, dass ihm die Tripartite in die Gesundheitsreform hineinredet. Doch über die meisten Reformvorhaben ist noch viel zu wenig bekannt, als dass man sagen könnte, wie weit Di Bartolomeo wirklich gehen will. Immerhin sollen die angekündigten Reformen keinen unmittelbaren Einfluss auf den Haushalt der Gesundheitskasse haben. Wie die CNS ein Defizit ausgleichen wird, das nächstes Jahr 180 Millionen Euro betragen könnte, ist bis zum Herbst das Problem der Sozialpartner im CNS-Direktorium. Entsprechend enttäuscht waren die Gewerkschaftsvertreter bei der Quadripartite: Die Debatte mit der UEL um Kompetitivität und Lohnnebenkosten einerseits und die Krankenversicherungsleistungen andererseits kommt erst noch.

Was der Minister durchsetzen will und was überwiegend schon im Koalitionsvertrag von CSV und LSAP steht, sind Änderungen am System, die vor allem dazu beitragen sollen, dass das System künftig erfährt, was es tut. Aber inwiefern das in einem der teuersten Gesundheitssysteme weltweit dazu führen soll, dass die Akteure im System nicht mehr tun können, was sie wollen, ist eben die Frage. Für die Versicherten und potenziellen Patienten sieht es so aus, als würde alles noch besser. Ein Gesetz über Patientenrechte befindet sich in Ausarbeitung, und künftig sollen pekuniäre Anreize dazu anhalten, erst einmal zum Hausarzt zu gehen und nicht gleich zum Spezialisten. Mehr Strenge ist nicht vorgesehen. Vorgesehen ist dagegen, dass die Krankenhäuser Aktivitäten zusammenlegen. Doch es könnte sein, dass es bei gemeinsamen „Plattformen“ für Labors, Logistik, Sterilisation und Wäscherei bleibt. Über „Lastenhefte“ will der Minister zur Arbeitsteilung auch in der medizinischen Versorgung anregen und die Bildung von Kompetenzzentren fördern. Abzuwarten bleibt jedoch, was in den Cahiers de charges stehen wird.

Und schließlich die Interessen der Ärzteschaft: Was Mars Di Bartolomeo angekündigt hat, ist nur zum Teil im Konsens mit dem Ärzteverband AMMD umzusetzen. Einerseits soll die Gebühren­ordnung, die berühmte „Nomenklatur“, anscheinend nicht durch Übernahme des französischen oder des Schweizer Tarifwerks ersetzt werden. Gegen einen solchen Schritt hatte sich eine außerordentliche AMMD-Vollversammlung am 3. März kategorisch gewandt.

Dagegen will der Minister in den Spitälern von der Honorierung der Ärzte pro Behandlungsakt abgehen und sie künftig gegebenenfalls auch von der Behandlungszeit und der Zahl der behandelten Patienten abhängig machen. Er sprach am Mittwoch auch vom „Salariat“ mancher Ärzte. Dieser Punkt ist potenziell ebenso konflikt-trächtig mit der AMMD wie das Vorhaben, das Verhältnis der Klinikärzte zur Klinikleitung zu klären. Wenngleich der Minister vorsichtig genug war, nicht genau zu sagen, wie er sich die Klärung vorstellt. Eines aber steht fest: Zeitgleich mit der Quadripartite erging vor dem Berufungsgericht das Urteil in der Hepatitis-Affäre der ehemaligen Clinique Sainte-Élisabeth. Es bestätigte die Verurteilung der einstigen Verwaltungsratsmitglieder des Spitals. Sofern es kein Kassationsverfahren gibt, stünde mit Präzendenzcharakter fest, dass jeder Verwaltungsrat eines Krankenhauses strafrechtlich für alles mithaftet, was in seinem Haus geschieht. Könnte sein, dass sich die politische Debatte um die Verantwortlichkeit der Klinikakteure gerade hier entscheidet.

Peter Feist
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