Regierungsbildung

Tausche Anfangsgehälter gegen Homoehe

d'Lëtzebuerger Land vom 23.07.2009

Am 7. Juni wurden eine gestärkte CSV und eine geschwächte LSAP von den verängstigten Wählern und einer sprachlosen Opposition legitimiert, die Staatsgeschäfte während der tiefs­ten Rezession seit Jahrzehn­ten weite­re fünf Jahre zu verwalten. Am Montag dieser Woche traten die siegrei­chen Parteiführungen vor ihre Mitglieder und boten ihnen ein Geschäft an.

Erleichtert und ziemlich selbstzufrieden verlangten die alten und neuen Minister einen Blankoscheck, um die Rezession zu bekämpfen und notfalls sogar den kleinen, korporatistischen Nischenkapitalismus zu retten. Denn das „Geschäftsmodell der Luxemburg AG funktioniert nicht mehr“, musste der Luxemburger-Wort-Leitartikler diese Woche feststellen.

Als Gegenleistung für den Blankoscheck boten Jean-Claude Juncker und François Biltgen in Hesperingen den CSV-Mitgliedern Macht, Jean Asselborn und Alex Bodry in Bonneweg den LSAP-Mitgliedern Ohnmacht an. Macht als Stolz, der Par-tei anzugehören, die dem CSV-Staat seinen Namen gibt und mit einem Superpremier und nun auch noch mit einem Superminister über ihn herrscht. Ohnmacht als gesellschaftspolitische Reformen, mit denen der Staat sich ein Stück aus dem Privatleben der Bürger zurückzieht und damit auf Macht verzichtet.

Beide Kongresse waren begeistert. Die CSV-Delegierten unterschrieben zu 100,00 Prozent, die LSAP-Delegier­ten zu 97,95 Prozent den Scheck, dessen Betrag erst in einem oder zwei Jahren eingetragen wird. Er macht die noch unbekannte Summe der Kos­ten zur Bekämpfung der Rezession und zur Sanierung der Staatsfinanzen aus. Premier Jean-Claude Juncker hatte diese undurchsichtigen Geschäftspraktiken schon eine Woche zuvor mit den Unwägbarkeiten der Krise gerechtfertigt. Ausgerechnet wegen des Nebels wollte er auf „Sichtflug“ umschalten.

Die Parteikongresse, die ihren vorwiegend altbekanten Ministern frenetisch applaudierten, wollten sich die Feiertagslaune nicht durch schlechte Nachrichten verderben lassen. Etwa durch schmerzliche Einzelheiten, was eine „mittelfristige Drosselung der sozialen Transferkosten durch die Einführung größerer sozialer Selektivität“ oder die „Bestätigung der Regel von 40 Beitragsjahren“ in der Rentenversicherung oder eine „Prüfung des Niveaus der Einstiegsgehälter“ beim Staat oder eine „Überprüfung der Zuschüsse und Steuerabschläge auf ihren fiskalischen und sozialen Endzweck hin“ bedeutet. Selbstverständlich taten sie nur so, als ob sie es nicht wüssten, denn die Sozialisten machten sich beispielsweise gegenseitig Mut, das soziale Gewissen der Regierung spielen zu müssen.

Jene, die sich etwas unter diesen vagen Formeln vorstellen wollten, hatte Parteipräsident Alex Bodry gleich in seiner Begrüßungsansprache zu beruhigen versucht: Der wichtigste Beitrag der LSAP zu der neuen Koalition sei die Erkenntnis, dass „Reformen nicht durch Programme dekretiert, sondern mit den Sozialpartnern ausgehandelt werden“. Weshalb sich vielleicht der OGB-L bisher jeden Kommentar zum Koalitionsprogramm versagt hat. Später sollte Jean Asselborn diese Politik mit der Ankündigung illustrieren, dass die Regierung mit der CGFP „ernsthaft“ über die Senkung der Einstiegsgehälter beim Staat reden wolle, dann werde man sehen, „wie weit wir kommen“.

Bei der LSAP gibt es immer einige vielleicht auf Pfründe und Posten neidische Mitglieder, die im Namen einer reinen und unschuldigen Basis auftreten und die Parteiführung rituell verdächtigen, für Pfründe und Posten unrein und schuldig zu werden. Deshalb bekam der sozialistische Kongress, der über eine Regierungsbeteiligung entscheiden sollte, eine schriftliche Zusammenfassung des Koalitionsvertrags.

Vielleicht weil die CSV einen geregelteren Zugriff auf die Pfründe und Posten des CSV-Staats genießt, gibt es bei ihr dieses Misstrauen nicht. Deshalb begnügten sich die christlichsozialen Delegierten mit einer mündlichen Zusammenfassung des Koalitionsabkommens durch Parteipräsident François Biltgen.

Der Unterschied spielte diesmal wirklich keine Rolle. Denn wie die Regierung ihre einzige wichtige Aufgabe lösen will, die Rezession zu bekämpfen, die Staatsfinanzen ins Lot zu bringen und nach dem möglichen Ende des Bankgeheimnisses, der Treibstoffakzisen und der Internet-TVA vielleicht sogar eine neue Geschäftsgrundlage für die Volkswirtschaft zu erfinden, um irische oder gar isländische Verhältnisse abzuwenden, darüber schweigt sich das Koalitionsabkommen in allen mündlichen und schriftlichen Fassungen aus.

Das ist der Blankoscheck. Und selbst worüber vor den Wahlen noch Aufregung herrschte, darüber geht jetzt keine Rede mehr. In der kurzen Debatte über das Koalitionsabkommen hatte die Escher Abgeordnete und OGB-L-Militantin Vera Spautz als einzige „eine Aussage zum Index“ in der Zusammenfassung des Koali­tions­ab­kommens vermisst, wie sie am Montag klagte. 

Vizepremier Jean Asselborn hatte ihr und sieben anderen Diskussionsteilnehmern, die ihr ungutes Gefühl vor der Abstimmung über die sozialistische Regierungsbeteiligung geäußert hatten, leicht gereizt geantwortet, aber den Index wiederum nicht erwähnt. Später soll­te er sich noch einmal kurz zu Wort melden und ergänzen, dass der Index gar nicht im Koalitionsprogramm vorkomme, weil es nicht nötig sei: Die Indexmanipulationen liefen En­de des Jahres mit dem Tripartitegesetz aus, und dann kehre man automatisch zum Normalfall zurück. Niemand wollte wissen, weshalb CSV und LSAP es in dieser Logik dann für nötig gehalten hatten, den Index in ihren Wahlprogrammen zu erwähnen. Bei der CSV, welche die halbe LCGB-Spitze ins Parlament schickt, fiel der Begriff „Index“ überhaupt nicht.

Auch von der kostenlosen Kinderbetreuung, die „letztlich selbstverständlich werden muss“, so Jean-Claude Juncker vor einem Jahr in seiner Erklärung zur Lage der Na­tion, und die von allen Parteien in ihren Wahlprogrammen versprochen wurde, geht keine Rede mehr. Lediglich von einem unverbindlichen Ausbau der Dienstleistungen auf Kosten der Geldleistungen und von der Überlegung, das Kindergeld und alle anderen Familienzulagen durch eine einzige „pres­tation familiale“ zu ersetzen.

Die Regierung will aber nicht bloß als die Regierung des Einschränkens und Sparens erscheinen, denn das langweilt auf Dauer selbst die verständnisvollsten Wähler. Deshalb überrasch­te sie viele von ihnen mit der Ankündigung gesellschaftspolitischer Re­for­men, wie der Erlaubnis der Ehe zwischen Homosexuellen und der Ausweitung der Indika­tionen im Abtreibungsgesetz, die „auf eine Fristenlösung hinausläuft“, so Jean Asselborn. Abtreibung und Homosexuellenehe sind die Lieblingsängste aller religiö­sen Integristen, und ihr Schreck schien so groß gewesen zu sein, dass es ihnen zumindest auf dem CSV-Kongress in Hesperingen die Sprache verschlug. Auf Druck des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs soll auch das Adoptionsrecht geändert werden, und statt eines Werteunterrichts sollen die Kirchengegner ihre eigenen Kirchen erhalten, Maisons de la laïcité genannt. Auch die mit dem Maastrichter Vertrag ausgehandelten Aus­nahmen zum Ausländerwahlrecht sollen auslaufen.

Während Asselborn in Bonneweg all diese Reformen als Beweis für das Durchsetzungsvermögen der LSAP anführte, beruhigte Biltgen zur selben Zeit den rechten Rand seiner Partei in Hesperingen, dass sie jedes Mal genau festlegen werde: „Bis hierhin und nicht weiter!“ Doch die LSAP kann mit diesen Reformen den Nutzen ihrer Regierungsbeteiligung und ihr Behauptungsvermögen gegenüber dem großen Koalitionspartner demonstrieren. Die mühsam erneuerte CSV kann sich  ihrerseits, nach dem Fiasko mit dem Euthanasiegesetz, wieder vom Vorwurf des fortschrittsfeindlichen Bremsers reinwaschen. François Biltgen will deshalb als Justizminister die Reformen selbst in die Hand nehmen und zu christlichsozialen machen. Gesellschaftspolitik in Krisenzeiten hat zudem den unschätzbaren Vorteil, dass sie nichts kostet.

Romain Hilgert
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