LEITARTIKEL

1,5 Grad, oder?

d'Lëtzebuerger Land vom 13.08.2021

„All Excuse ass gudd fier eisen Liewensstil ze verteidegen.“ – „Op laang Siicht hun mir als Menschen verluer well eenzeg an alleng d‘Natur meeschter ass. Genéissen mer nach de Rescht dovuner.“ – „Ett as glungen daat elo denen selweschten ‚Expaeren‘ gleeft geet, dei virun nemmen 3 Joer nach gesoot hunn daat ett 2040 wier ewou Erderwaermung em 1,5 Grad mei heisch wir.“

Schon allein die Kommentare auf rtl.lu nach den Meldungen über den neuen Bericht des Weltklimarats IPCC enthalten eine ganze Bandbreite an Reaktionen angesichts der nun aktualisierten Klima-Szenarien: Angst. Skepsis gegenüber Experten. Zynismus. Ablehnung.

Alles nicht neu und ganz verständlich, nicht zuletzt wegen Corona: Noch ist die Seuche nicht fort, da ist schon von der nächsten Krise die Rede. Obendrein von einer, gegen die es keinen Impfstoff gibt und vor der auch keine Maske schützt. Vielleicht könnte ein viele Jahre langer Lockdown etwas bringen, um bei den seit März 2020 benutzten Begriffen zu bleiben, doch das ist Unsinn.

Was aber tun – um am besten das optimistischste der Szenarien zu erreichen, die der Bericht des Weltklimarats beschreibt: Die Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Ära lasse sich auf 1,5 Grad begrenzen, falls umgehend reagiert wird, die globalen Treibhausgasemissionen schon bis 2030 mindestens halbiert werden und 2050 auf der ganzen Welt „Klimaneutralität“ herrscht. Klappt das nicht, steigen die Temperaturen weiter. Schlimmstenfalls würde die 1,5-Grad-Grenze schon 2030 überschritten und 2100 könnten drei Grad mehr erreicht sein als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Welche Welt man sich unter welchem Szenario vorstellen kann, soll im Februar nächsten Jahres ein anderer IPCC-Bericht erläutern. Klar ist schon jetzt, dass extreme Ereignisse häufiger werden, je weiter der Klimawandel fortschreitet.

Aber noch wurden Maßnahmen dagegen gar nicht wirklich ergriffen. Mehr Solarstrom, besser isolierte Häuser, mehr Elektroautos, emissionsarme Technologien sind nur erste Stationen auf dem Weg. Noch kennt den niemand genau, denn weder werden es raffinierte „grüne“ Technologien alleine richten, noch ein Verzicht der Menschen in den reichen Ländern auf einen „Lebensstil“. Das Problem ist komplizierter. Die Klimakrise ist eine der heutigen Wirtschaftsordnung und der Machtverhältnisse, die auch von der Umwelt abgesehen Schäden verursachen. Hinter „Verzicht“ steckt auch die Frage nach Gerechtigkeit, sowohl zwischen reichen und armen Ländern wie auch nach Verteilungsgerechtigkeit innerhalb der Länder. Wie weit man mit der Diskussion darüber in Luxemburg kommt, wenn es ernst wird, zeigt sich weniger an den Auseinandersetzungen über die CO2-Steuer als an der politischen Aversion, große Vermögen steuerlich stärker zu belasten.

Schon machen sich jene bemerkbar, die vor einem „Klima-Sozialismus“ warnen, in dem „man bald gar nichts mehr darf“. Doch wenn kein Regime aus Regeln und Einschränkungen erlassen wird, führt ein Klima-Kapitalismus über kurz oder lang dazu, dass Aktivitäten, die Treibhausgase freisetzen, so teuer werden, dass nur noch wenige Menschen und nur wenige Unternehmen sie sich leisten können. Die CO2-Steuer, die jede emittierte Tonne immer teurer machen soll, ist schließlich keine Erfindung von Déi Gréng, sondern unter anderem der OECD.

Sicher ist, dass in den reichen Ländern das Leben und das Wirtschaften sich werden ändern müssen. Möglicherweise werden sie sich kaum ändern, und die heute Zehnjährigen werden mit 40 in jedem Sommer öffentlich bereitgestellte klimatisierte Hallen aufsuchen, um sich ein wenig abzukühlen, wie das im Westen Kanadas vor zwei Monaten der Fall war. Oder es gelingt tatsächlich, nach harten Auseindersetzungen, eine ebenso wirksame wie gerechte Ordnung aufzustellen, die 1,5 Grad einhalten lässt. Verschwinden oder harmlos werden wird der Klimawandel im Unterschied zu Sars-CoV-2 nie. Und schon in ein paar Wochen wird darüber eneut zu reden sein: Dann wird die World Weather Attribution, eine Initiative mehrerer Universitäten, einen Bericht über die Überschwemmungen vor vier Wochen in Europa herausgeben, von denen auch Luxemburg betroffen war. Sie wird sagen, ob die Überschwemmungen auf ein einzelnes Wetterereignis zurückzuführen sind oder auf den Klimawandel.

Peter Feist
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