Die von der AMMD gegründete Firma Digital Health Network wird in Kürze eine App veröffentlichen, die das Bezahlen von Arztrechnungen und die Rückerstattung durch die CNS vereinfachen soll

Umstrittene Gesondheets-App

d'Lëtzebuerger Land du 13.08.2021

Sechs Wochen „Krankekeess Bonjour, den Delai fir Remboursementer kann de Moment bis zu sechs Woche sinn“, entgegnet die Ansagerin vom Band den Anrufer/innen, die in diesen Tagen die Telefonnummer der CNS wählen. Die Dauer für die Kostenrückerstattung von Arztrechnungen durch die öffentliche Gesundheitskasse gibt seit Jahren Anlass zu Beanstandungen und hat sich durch Covid-19 noch verlängert. Um die aufwändige Prozedur zu vereinfachen, wird seit den 1990-er Jahren über die Einführung eines Tiers payant généralisé diskutiert. Eine Ende 2017 eingereichte Petition mit dem Ziel „de ne plus devoir avancer l‘argent lors de visites médicales“ wurde von über 7 100 Bürger/innen unterzeichnet. Eine Woche vor der öffentlichen Anhörung der Petentin im Parlament machte die Ärztevereinigung AMMD mit einem offenen Brief Kampagne gegen das allgemeine Drittzahlerprinzip und warnte vor einer „Entmündigung der Patienten“ und einer „Staatsmedizin“. Während Linke und ADR, aber auch die Regierungsparteien Grüne und die für Gesundheit und Sozialversicherung zuständige LSAP die Petition unterstützten, reagierten DP und CSV verhalten.

Die AMMD sieht durch den Tiers payant généralisé die Unabhängigkeit des Arztberufes in Frage gestellt, doch eigentlich meint die liberale Ärzteschaft damit, dass sie der CNS nicht die Macht und die Kontrolle überlassen will, zu überprüfen, ob alle Leistungen, die Ärzt/innen ihren Patient/innen verschreiben, auch tatsächlich von der Gebührenordnung erlaubt sind. Deshalb stellte die AMMD im November 2019, noch bevor Sozialminister Romain Schneider (LSAP) im Vorfeld der Quadripartite ankündigte, einen „Tiers payant de nouvelle génération“ einzuführen, das Konzept einer Smartphone-App vor, die sie selber mit entwickelt hat. Dazu hatte die AMMD im Juni 2019 die Sàrl. Digital Health Network (DHN) gegründet. 80 Prozent des Grundkapitals, das im April 2020 von 30 000 auf 150 000 Euro erhöht wurde (das autorisierte Kapital wurde im Mai 2020 nachträglich auf eine Million Euro erhöht), haben 13 Vorstandsmitglieder der AMMD, die auch als Bénéficiaires effectifs registriert sind, selbst investiert. Die übrigen 20 Prozent entfallen auf die Sàrl. Have a Portofolio, eine digitale Plattform, die bislang vor allem von Finanz- und Versicherungsdienstleistern genutzt wurde. Zeigten der Sozialminister und die CNS sich anfangs noch skeptisch, unterstützen sie inzwischen das Konzept. Der Tiers payant généralisé oder de nouvelle génération ist vom Tisch und wurde nach langen Verhandlungen durch das Paiement immédiat direct ersetzt, das 2023 in Kraft treten soll. Die Gesondheets-App von DHN soll aber bereits in Kürze verfügbar sein, wie AMMD-Präsident Alain Schmit dem Land bestätigt.

Sparfuchs In einer ersten Phase soll vor allem die beschleunigte Kostenrückerstattung (Remboursement accéléré) über die App abgewickelt werden können. Patient/innen begleichen die Arztrechnung wie bisher. Neu ist, dass die Papierrechnung einen QR-Code enthält, den Versicherte mit der App scannen können. Auf diese Weise wird die Rechnung auf digitalem Weg direkt an die CNS weitergeleitet. Weil die Krankenkasse dadurch nicht nur Geld für Briefmarken und Verwaltungspersonal, sondern auch Zeit spart, kann sie die Kosten für Arztrechnungen innerhalb einer Woche zurückerstatten. Darüber hinaus können Patient/innen auch ganz auf eine ausgedruckte Rechnung verzichten und sie sich stattdessen vom Arzt auf ihre App schicken lassen und digital begleichen. Weiter bietet die Gesondheets-App die Möglichkeit, ärztliche Rezepte zu speichern, zu signieren und sie auf dem Smartphone in der Apotheke vorzuweisen, so dass sie ebenfalls nicht mehr auf Papier ausgedruckt werden müssen. Auch die Vereinbarung von Arztterminen wird über die Anwendung möglich sein.

Damit alle Funktionen der App genutzt werden können, muss der behandelnde Arzt sich aber dem System von DHN anschließen. Seit einigen Wochen installieren vier private IT-Dienstleister auf den Rechnern teilnehmender Praxen die von ihnen entwickelte Software eConnecteur, die die Voraussetzung zur Nutzung der App ist. Ärzt/innen zahlen für die Teilnahme ein Entgelt, die CNS will aber einen Teil davon übernehmen. Die Frage, wie viele Arztpraxen sich bislang dem System angeschlossen haben, wollte Alain Schmit nicht beantworten.

Eigentliches Ziel der App und der dazugehörigen Software ist es aber, mittelfristig das Paiement immédiat direct einzuführen. Für Patient/innen hätte dies den Vorteil, dass sie nur noch die Leistungen bezahlen müssen, die nicht von der öffentlichen Krankenkasse übernommen werden. Die Kosten für die Leistungen, die in der Gebührenordnung vorgesehen sind, würde die CNS direkt an die Ärzt/innen überweisen. Zurzeit laufen noch Verhandlungen mit der CNS, dass auch private Krankenkassen wie die DKV und die sich immer weiter in diese Richtung entwickelnde Mutualitäts-Kasse CMCM sich an das DHN-System anschließen können, damit selbst nicht von der öffentlichen Krankenkasse gedeckte (Zusatz-)Leistungen direkt über die App beglichen werden können. Nicht zuletzt werde die Software den Ärzt/innen viel bürokratische Arbeit abnehmen, die durch die doppelte Buchhaltung entstehe, wirbt Alain Schmit.

Überwachung Damit das DHN-System funktioniert, braucht es aber nicht nur eine App und die dazugehörige Software, sondern auch eine digitale Plattform und Server, auf denen die Daten gespeichert und abgerufen werden können. Die Server mit den persönlichen Nutzerdaten gehören der nationalen Agentur eSanté, bei der auch die AMMD Mitglied ist. eSanté hat DHN eine Betriebsgenehmigung erteilt, damit das Unternehmen die Daten der Agentur verwerten und ihre Server als Speicherort verwenden darf. Im Gegenzug verpflichtet DHN sich dazu, die Sicherheits- und Datenschutzbestimmungen einzuhalten. Die digitale Plattform, die diese Daten liest und verarbeitet, hat DHN selbst entwickelt. Auf dieser Plattform müssen Nutzer/innen sich einloggen und ihre Identität wird anhand persönlicher Daten wie Sozialversicherungs- und Telefonnummer verifiziert. Nicht nur die Patient/innen, auch Ärzt/innen müssen sich authentifizieren. Mediziner/innen, die diese Form der Digitalisierung kritisch betrachten, äußern aber Bedenken, weil eine private Firma wie DHN künftig ihren Arbeitskalender kontrollieren und einsehen könne, welche Medikamente sie verschreiben und welche Labor-Analysen sie in Auftrag geben. Dass die CNS soviel Macht und Kontrolle an ein privates Unternehmen abgibt, ist für sie unverständlich.

Die CNS hat vergangenes Jahr reagiert und will im September eine eigene App veröffentlichen, erklärt ihr Präsident Christian Oberlé dem Land. Die Funktionen der CNS-App sollen aber limitiert sein und sich vor allem auf die Bezahlung von Rechnungen und andere von der CNS angebotene Leistungen beschränken. Oberlé betont, dass die Apps von CNS und DHN die Patient/innen nichts kosten werden und diese stets der „Auslöser“ bleiben. Soll heißen: Selbst nach Einführung des Paiement immédiat direct können die Versicherten ihre Rechnung vor der Bezahlung einsehen, überprüfen und selbst entscheiden, ob sie sie digital begleichen lassen oder lieber traditionell den Betrag vorstrecken wollen.

Konkurrenz Theoretisch ist der Markt auch für andere Anbieter offen. So kann Oberlé sich vorstellen, dass etwa Krankenhäuser ihren Patient/innen eine Anwendung zur Verfügung stellen, die auf die Dienste in ihrem Spital zugeschnitten ist. Auch eine Plattform wie Doctena, die in mehreren europäischen Ländern tätig ist, könnte sich dazu entscheiden, das Remboursement accéléré oder das Payement immédiat direct in ihre App aufzunehmen (Doctena erklärte auf Land-Nachfrage, dass es seinen Kunden das System erst anbieten wolle, nachdem es sich bewährt habe und alle Kinderkrankheiten beseitigt seien). DHN dürfe die Plattform von e-Santé nutzen, unter der Bedingung, dass jede andere App sich daran anschließen könne, sogar wenn es ein Konkurrent von DHN sei, sagt Oberlé. Dies sei in der Betriebsgenehmigung klar geregelt. Dazu gehöre auch, dass die Nutzung für andere App-Anbieter gratis sein müsse. Er würde es begrüßen, wenn weitere Gesellschaften mit einsteigen würden, denn auf diese Weise könnten so viele Versicherte wie möglich für die Digitalisierung gewonnen werden, sagt Oberlé.

Diese Offenheit gelte jedoch nur für das e-Admin-System, erklärt Alain Schmit. Auf die Datenbanken von e-Santé könnten andere Anbieter zurückgreifen, wenn sie eine Betriebsgenehmigung von der Agentur erhielten. Die von DHN entwickelte Plattform, die die Nutzerdaten liest, und die Software, die eine sichere Authentifizierung durch eine digitale Signatur erlaube, sei aber exklusiv den Nutzer/innen der Gesondheets-App vorbehalten. Die digitale Signatur sei vor allem bei Rezepten von Bedeutung, damit Apotheker/innen sich sicher sein könnten, dass das Dokument nicht gefälscht wurde und ein rezeptpflichtiges Medikament tatsächlich von der Person abgeholt wird, der es verschrieben wurde.

Vorsprung Da DHN bereits damit begonnen hat, seine Software auf den Rechnern der Ärzt/innen zu installieren, hat das Unternehmen gegenüber potenziellen Konkurrenten einen Wettbewerbsvorteil. Der Name Gesondheets-App suggeriert zudem, dass es sich um eine Anwendung der Gesondheetskees CNS handle. In Ärztekreisen nicht unumstritten ist das digitale System von DHN auch deshalb, weil befürchtet wird, dass die Vorstandsmitglieder der AMMD sich mit DHN persönlich bereichern könnten, sobald die Firma Gewinne abwirft. Alain Schmit weist dies zurück und betont, dass erst einmal die Schulden abbezahlt werden müssten, die die AMMD-Mitglieder für die Entwicklung des Systems aufgenommen haben. 2019 lagen die Schulden von DHN bei 115 000 Euro, der Abschluss für 2020 liegt noch nicht vor.
Die private Initiative der AMMD rechtfertigt Schmit mit dem Versäumnis des öffentlichen Gesundheitswesens, die Digitalisierung voranzutreiben. Zwar habe die Agentur e-Santé mit der Einführung der gemeinsamen elektronischen Patientenakte (DSP) einen wichtigen Schritt unternommen, doch im Bereich der Verwaltung sei vieles verpasst worden. Die AMMD habe mit DHN lediglich Eigeninitiative bewiesen und diese Lücke geschlossen. Nicht zuletzt werde mit diesem Ansatz die Unabhängigkeit des Berufsstandes bewahrt.

Luc Laboulle
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