Schueberfouer

Seltsam unbekannte Kirmes

d'Lëtzebuerger Land vom 20.08.2009

Alle Jahre wieder werfen am Montag vor Beginn der Schueberfouer das Fest- und Marktamt und das Presseamt von Luxemburg-Stadt den Marketingmotor an, damit es Superlative regne. Zwei Millionen Besucher! 190 Geschäfte! Tolle Neuheiten, noch dazu familienfreundlich! Und: Wir gehören zu den Top Five in Europa.

Doch wenn Kulturschöffin Lydie Polfer (DP) erklärt, in den kommenden 20 Tagen würden in den Spiel- und Restaurantbetrieben „3 000 Studenten“ arbeiten, woran man „die wirtschaftliche Bedeutung der Fouer erkenne, löst das prompt Diskussionen aus. Bei der Handelskonföderation CLC hält man diese Zahl für „sicherlich falsch“: Auf dem ganzen Fest gebe es 2 000 bis 3 000 lohnabhängig Beschäftigte, aber nicht alle seien Studenten, sagt CLC-Berater Claude Bizjak. Dagegen spricht Marc Weydert, der Chef des Luxemburger Fest- und Marktamts, am liebsten von „gut und gern 5 000 Personen, wenn nicht noch mehr, die mit der Fouer zu tun haben“. Die Schausteller mit ihrem Dauerpersonal von über 700 Personen. Die 300 bis 400 Transporteure, die das Material an- und abfahren. Die Monteure, die für Auf- und Abbau „nicht dieselben“ seien. Polizisten, private Sicherheitsleute, Feuerwehrmänner. Und an die 200 Kontrollbeamte von Staat und Gemeinde; allein von Letzterer über 50.

So betrachtet, wäre die Schobermesse nach ArcelorMittal der zweitgrößte Arbeitgeber im Lande – wäre sie nicht auf 20 Tage beschränkt. Hat Bürgermeister Paul Helminger bei der heute Nachmittag um 17 Uhr stattfindenden Eröffnung der 669. Auflage des Festes das Trikolorebändchen durchtrennt, warten bis zum 9. September täglich von 11 Uhr bis 1 Uhr nachts und in sechs Nuits blanches bis 2 Uhr 190 Spiel- und Gastronomiebetriebe sowie 80 Kleinhändler mit ihren Ständen auf Kundschaft. Die größte Neuheit ist in diesem Jahr das Catapult, das zwei in einer durchsichtigen Kugel sitzende Passagiere 60 Meter hoch in die Luft schleudert.

Die wirtschaftliche Bedeutung des Volksfestes, das nach Angaben der Stadt rund zwei Millionen Besucher anzieht, ist allerdings nach wie vor ähnlich Schätzungs- und Ansichtssache wie die genaue Zahl der dort Beschäftigten. Das Statistikamt Statec der Regierung hat noch nie Daten über die Fouer zusammengetragen, die CLC ihr noch keine ausführliche Untersuchung gewidmet. Wer bei der Einregistrierungsverwaltung nach den Mehrwertsteuereinnahmen aus dem Fest fragt, wird auf das Steuergeheimnis verwiesen. Immerhin: Wenn laut CLC-Schätzung auf der Schobermesse rund 25 Millionen Euro umgesetzt werden, dann kassiert bei einem reduzierten Mehrwertsteuersatz von drei Prozent auf „Brot und Spiele“ der Staat 750 000 Euro.

Die Gemeinde Luxemburg wird in diesem Jahr fast so viel einnehmen: 699 000 Euro für Platzgeld, Strom, Wasser und Abwasser, für Abfallbeseitigung und eine Werbungskostenbeteiligung. Und eine Vergnügungsabgabe, die dem Sozialamt zufließt und sich auf 20 000 Euro beläuft. Dass Marc Weydert diese Zahlen schon kennt, liegt daran, dass die Gebühren im Voraus erhoben werden und nach der Fouer definitiv abgerechnet wird.

Den Einnahmen gegenüber steht bei der Hauptstadtgemeinde vor allem der Personalaufwand für jene sieben Mitarbeiter des Fest- und Marktamts, die sich ganzjährig mit der Vor- und Nachbereitung der Schobermesse beschäftigen. Spiritus rector des Volksfests ist seit zwei Jahrzehn­ten Marc Weydert, der von sich sagt: „Im Kopf habe ich schon die Ausgaben 2010 und 2011 geplant.“

Jenseits des unmittelbaren Gemeindebetriebs ist die ökonomische Dimension der Schueberfouer dagegen weitgehend unklar. Über eventuelle synergetische Beziehungen zum Gaststättengeschäft weiß der Gastronomiever­band Horesca ebenso wenig genau Bescheid wie das Luxembourg City Tourist Office über die zum Tourismus: Ob es Reiseveranstalter gibt, die eine Tour nach Luxemburg anlässlich der Fouer anbieten, könne man nicht erfassen, sagt LCTO-Direktor Roland Pinnel, und so sei der Zusammenhang zwischen Hotelübernachtungen und Schobermesse unbekannt. Traditionell jedoch sei der September der Monat, in dem das LCTO die meisten geführten Stadtbesichtigungen verkauft, „und das könnte etwas mit der Schueberfouer zu tun haben“.

Ähnlich empirisch lediglich kann auch Yves Piron, der Direktor der hauptstädtischen Union commerciale, sich äußern: „Wir wissen, dass der September sehr einträglich für den Einzelhandel ist, aber wir wissen nicht, wie viele Fouer-Gäste ihren Besuch in der Stadt noch zum Einkaufsbummel nutzen.“ Anders lägen die Verhältnisse natürlich am Braderie-Montag. Für die diesjährige 80. Braderie wirbt der Geschäftsverband unter den Händlern dafür, die Schaufenster „Fouer-gerecht“ herzurichten, damit noch dem letzten Passanten klar werde, dass am Kiirmesméindeg die Braderie stattfindet. „Fouer-gerecht“ seien zum Beispiel „Pferdchen im Schaufenster“. Wer sich an der Aktion beteiligt, erhält zur Verteilung an die Kundschaft eine Ladung jener mit Zuckerschrift bedruckten Lebkuchenherzen zugestellt, mit denen das Fest- und Marktamt in diesem Jahr auf die Schobermesse aufmerksam macht.

Vielleicht könnte ein Student der Uni Luxemburg einmal die ökonomischen Zusammenhänge um die Schueberfouer analysieren, überlegte Bürgemeister Helminger am Montag am Rande der Fouer-Pressekonferenz. Womöglich erhält so ein Auftrag demnächst sogar strategi-sche Bedeutung im Rahmen einer politischen Aktion: Marc Weydert zufolge steht die Schueberfouer in ihrem Bestand „auf der Kippe“.

Sich zu den „Top Five“ der europäischen Volksfeste zählen zu dürfen, habe weder etwas mit der Größe der Veranstaltung, noch mit der Zahl der Schausteller zu tun. „Das ist ein Ranking, das die Schausteller unter sich machen.“ Der große Vorzug der Fouer sei bei ihrer Jahrhunderte alten Tradition ihre innerstädtische Lage, die sie zu einem Volksfest für Jedermann mache: „Das garantiert dem Schausteller 18 bis 20 Tage lang gleichmäßige hohe Einnahmen.“ Wodurch der Fouer ein Ruf vorauseilt, der so gut ist, dass Weydert sich die Schausteller aussuchen kann, die er auf den Limpertsberg lässt: „Wir haben die Elite Europas hier.“ Und der garantiert vielen Kunden in Luxemburg wegen sei ein Schausteller schon mal zu beachtlichen Preisnachlässen bereit: Eine Tour mit dem Catapult, der diesjährigen Top-Neuheit, kostete auf der gerade zu Ende gegangenen Brüsseler Kirmes 15 Euro, auf der Fouer zahle man unter zehn Euro.

Was die Fouer längerfristig in Bedrängnis bringen könnte, seien dennoch einerseits die Kosten, sagt Weydert. Gelegenheitsarbeiter seien wegen der Mindestlohnregelung mit Stundenlöhnen von zehn bis zwölf Euro hierzulande nun mal teurer als etwa in Deutschland, wo ein Schausteller-Patron für die gleiche Arbeit nur fünf oder sechs Euro zahlt. „Oder in Belgien, wo trotz geltenden Mindestlohns die Hilfskräfte nicht selten mit nur drei Euro die Stunde nach Hause gehen, ich weiß das!“, sagt Weydert. Die Gemeinde versucht, mit ihrer Gebührenordnung vorsichtig die Lasten zu verteilen: Das Platzgeld ist seit 30 Jahren dasselbe und im EU-Vergleich sehr niedrig, dafür zahlt ein Schausteller für Elektrizität nirgendwo in der EU so viel wie hier. Und die Werbekosten, zu deren Deckung die Schausteller anteilig beitragen, machen bei Spielbetrieben ein Drittel des Platzgelds aus, bei Gastronomiebetrieben zwei Drittel. „Auch deshalb ist die Bratwurst auf der Fouer teurer als auf Volksfesten im Ausland“, sagt Weydert.

Als zweiter wunder Punkt der Schobermesse wird die Bürokratie genannt: „Nirgends werden EU-Vorschriften so streng gehandhabt wie in Luxemburg, wo null Toleranz herrscht“, klagt Roger Pelzer, Präsident der Association européenne des Commerçants Forains, die so heißt, weil sie auch die Interessen der ausländischen Schausteller vertritt, die hierzulande gastieren. Marc Weydert stimmt zu und wünscht sich „mehr Flexibilität“: Bauen etwa die Schausteller für ihre Arbeiter die Wohnwagen-Unterkünfte auf, habe den Luxemburger Vorschriften gemäß jeder Arbeiter auf eine eigene Toilette Anspruch. Das gehe auf eine EU-Verordnung zurück. Deren Anwendung jedoch sei zum Beispiel in Deutschland mit den nationalen Unterkunftsvorschriften für Binnenschiffer abgeglichen worden, die es erlauben, dass sechs Matrosen sich ein Schiffsklo teilen. „Mangels solcher Referenzen gilt in Luxemburg das Maximum, und das ist natürlich ein Kostenpunkt für den Schausteller, der hier ohnehin hohe Löhne zahlen muss.“

So dass die Schueberfouer 669 Jahre, nachdem Johann der Blinde sie 1340 als achttägigen Markt ins Leben rief, der sich im 18. Jahrhundert zum Volksfest entwickelte, zum Thema für Bürokratieabbau werden könnte und vielleicht dann jemand ihre genaue ökonomische Bedeutung erhebt. Von ihrem kaum abschätzba­ren Unterhaltungswert abgesehen, liegt lediglich ihre Wichtigkeit für den Bestand der heimischen Schaustellerbranche auf der Hand. Großkarussell-Betreiber sei­en nicht darunter, sagt Roger Pelzer, nur Besitzer von Kinderspielgeräten, Losbuden, Schießständen, Confiserien und vor allem von mobilen Restaurants: Auf der Fouer machen die heimischen Schausteller 38 Prozent der Anbieter aus, weil sie in der Gastronomie quasi das Monopol halten.

Ohne Fouer aber wäre kein Schausteller überlebensfähig, sagt Pelzer. Das zwanzigtägige Fest sichere der Branche 50 Prozent der Jahreseinnahmen. Abgesehen von den lokalen Kirmes-Festen bliebe dann nur noch das Octav-Mäertchen

Peter Feist
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