Fachkräftemangel bei den Banken

Et vice versa

d'Lëtzebuerger Land du 14.12.2006

Die Wirtschaftspresse liebt bekanntlich martialische Ausdrücke. Mal wird vor der feindlichen Übernahme gewarnt, dann die Abwehrschlacht in all ihren Etappen seziert oder der Kampf um die Marktanteile beschworen – und neuerdings immer öfter der Krieg um die Köpfe verkündet.

Er beschreibt ein auch in Luxemburg nicht länger unbekanntes Phänomen: die wachsende Schwierigkeit von Unternehmen, gut qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu finden. Fast alle Sparten beklagen den Mangel an Fachkräften; im Bankensektor soll er mittlerweile so groß sein, dass die Unter- nehmensberatung Pricewaterhouse-Coopers in ihrem aktuellen Bericht Luxembourg Banking Market Challenges and OpportunitiesSurvey 2006 neue Lösungen im war of talent fordert: Statt „nur“ in Luxemburg, Frankreich, Belgien und Deutschland nach Arbeitskräften zu suchen, sollten Banken zunehmend über die leer gefischte Großregion hinaus auf Talentsuche gehen, auch im nicht-europäischen Ausland. Damit, so begründen die Autoren ihre Forderung, würden „negative Kollateralschäden“ wie „unfundierte Lohnsteigerungen“ gemildert (siehe d’Land vom 1. 12. 2006). Wegen dem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften machen die Banken sich zunehmend untereinander Konkurrenz, mit der Folge, dass die Lohnspirale am Luxemburger Finanzplatz in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist und Angestellte ihren Arbeitsplatz häufiger wechseln.

Ganz so dramatisch sei die Situation nicht, meint hingegen Lucien Thiel. Es stimme zwar, dass die Großregion „zunehmend ausgeschöpft sei“, von einem Krieg um die Köpfe will der Berater der Bankenvereinigung ABBL aber noch nicht sprechen. Allerdings, so bestätigt ein ABBL-Mitarbeiter, sei man dabei, Strategien für die wachsende Personalnot zu suchen, dabei würden außereuropäische Lösungen durchaus mitgedacht.

Wie viel Entlastung für den heimischen Arbeitsmarkt die Orientierung über westeuropäische Grenzen hinweg bringen wird, das weiß allerdings niemand. Andere Finanzplätze – London, Paris, Frankfurt und insbesondere das rasant wachsende Irland – stehen vor demselben Problem und haben längst mit der Rekrutierung von Fachpersonal in Osteuropa und darüber hinaus begonnen. Seit der EU-Erweiterung haben etwa in Großbritannien rund 600 000 Einwanderer aus den neuen Mitgliedstaaten eine Arbeit gefunden, davon laut Innenministerium etwas über 1 100 im britischen Finanzsektor. In Luxemburg stammten laut Statec im März 2005 etwa 60 Finanz-Fachkräfte aus den Erweiterungsstaaten, wobei sich die Zahl der polnischen Beschäftigten seit März 2004 nahezu verdoppelt hat, und je acht kommen aus den Kandidatenländern Rumänien und Bulgarien. Derselbe Bericht von Pricewaterhouse-Coopers übrgens, der dem Aufbruch gen Osten das Wort redet, hält auf Seite 33 folgende, gegenläufige Beobachtung fest: Je stärker sich die neuen Ökonomien im Osten entwickeln, umso mehr kehren Fachkräfte, die zuvor ihr Glück im Ausland gesucht haben, wieder in ihre Heimatländer zurück.

In Luxemburg ist allerdings mitunter schon der Gastaufenthalt mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden: Osteuropäische Studenten der Luxembourg School of Finance mussten in der Vergangenheit wiederholt erleben, dass hiesige, eher restriktiv gefasste Arbeits- und Aufenthaltsbestimmungen ihnen den Zugang zu einer Arbeit am Finanzplatz versperrten, mit der Folge, dass einige als Übersetzer für die EU-Kommission arbeiten statt ihrem gelernten Beruf nachzugehen. Noch weiter östlich ist die Aussicht auf mehr Fachkräfte aber nicht nur wegen arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Beschränkungen gegenüber Nicht-Europäern nicht automatisch besser. Die Tageszeitung International Herald Tribune stellte vor kurzem fest, dass die Suche nach Top-Talenten selbst im bevölkerungsreichen Indien an ihre Grenzen stößt. Dort herrscht zunehmend Knappheit an Hochqualifizierten, was sich auf die Löhne auswirkt: Experten berichten von Lohnzuwächsen, die schneller stiegen als der allgemeine Marktzuwachs von rund 16 Prozent. Top-Finanzexperten suchen Indiens Headhunter inzwischen immer häufiger – in Europa.

Ines Kurschat
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