Die Gemeinden haben Souveränitätsrechte verloren

Heilige Gemeindeautonomie

d'Lëtzebuerger Land du 09.09.1999

Die heilige Gemeindeautonomie. Sie wird noch immer gehuldigt als Garant für starke Kommunen gegenüber einem übermächtigen Staat und immer dann als Prinzip hochgehalten, wenn Landesplanungs- und Fiskalpolitik mal wieder in die kommunale Entscheidungssphäre eingreifen. Dabei wissen ihre Verfechter genau, dass die Schlacht um die kommunale Eigenständigkeit in der Praxis längst verloren ist. Der Wille, in der „Keimzelle der Demokratie" alle Entscheidungen in Eigenregie zu treffen, wurde längst von der Realität überrollt. Die Kommunen haben in weiten Politikfeldern Souveränitätsrechte abtreten müssen: In den Bereichen Wasser und Abfall bestimmen beispielsweise immer mehr interkommunale Syndikate den Kurs der Politik. Selbst in die Hoheit über die Bebauungspolitik greift das Innenministerium immer gezielter ein. Es mag eine Ironie des Schicksals sein, dass mit der geplanten Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer die Freiheitsrechte der Kommunen im fiskalischen im Gegenzug zu einem drohenden Einkommensrückgang wieder wachsen könnten: Eine neue kommunale Steuer, die von den Gemeinden souverän festgelegt würde, könnte an die Stelle der vorigen treten - und den Wettlauf zwischen kommunalen Industriezonen wieder ankurbeln. Der Verlust der Eigenständigkeit der Gemeinden ist in vielen Bereichen eine praktische Folge der zunehmenden Komplexität der kommunalen Aufgabenfelder. In der Abwasserklärung oder der Abfallpolitik ist der Wunsch nach höherer Rentabilität der Auslöser: Kläranlagen, eine Müllabfuhr oder eine Deponie können nur im größeren Maßstab effizient betrieben werden. Weitsichtige Kommunalpolitiker haben längst erkannt, dass eine Fixierung auf die kommunale Eigenständigkeit die Gefahr birgt, von der zunehmenden Aufgabenvielfalt fachlich und finanziell überfordert zu werden und plädieren daher für Kooperationen auf einem höheren Niveau. Die Regierung hat in ihrem Koalitionsabkommen festgehalten, die Aufgabenteilung zwischen dem Staat und den Kommunen neu zu bestimmen. Dabei soll endlich auch definiert werden, welche der Souveränitätsrechte, die teilweise noch aus dem 18. Jahrhundert überliefert wurden und recht vage gehalten sind, noch Bestand haben und welche vollends an den Staat delegiert werden können. Im Abfall- und Wasserbereich, der durch ein Wirrwarr an sich überlappenden Syndikaten und einer je Region unterschiedlichen Preispolitik gekennzeichnet ist, drängen sich aus Gründen der Effizienz und der Gerechtigkeit einheitliche Regelungen auf. Beide Bereiche könnten nach einem geographischen Ordnungsschema von regionalen Syndikaten aus verwaltet und konzeptuell von den Prinzipien der nationalen Politik getragen werden - sie zählen kaum zu den ureigenen und zwingenden Aufgabenfeldern der Kommunen. Auf die nationale Ebene könnte die Kompetenz über die Benennung des Lehrpersonals verlegt werden, da die Richtlinien der Politik in diesem Bereich auch im Unterrichtsministerium bestimmt werden. Zu überlegen wäre auch, ob nicht der Staat die Verantwortung für den Bau von Kulturzentren übernehmen sollte. Eine Regionalisierung der Politik muss demokratisch abgesichert werden. Das Gesetzesprojekt zu den interkommunalen Syndikaten, das unter der neuen Regierung bis zum Jahr 2000 verabschiedet werden soll, setzt zwar voraus, dass nur gewählte Volksvertreter in die Gemeindesyndikate delegiert werden, doch sichert es den außenstehenden Bürgern nur ungenügend Kontrollmöglichkeiten zu. Die kommunalen Kommissionen, die in vielen Gemeinden eh nur auf dem Papier funktionieren, bleiben vollends aus den Entscheidungsprozessen von Syndikaten ausgeblendet. Als Rekursmöglichkeit bleibt den Bürgern immer noch der Rückgriff auf das Gesetz von 1992, ein wesentliches Informationsinstrument, das Außenstehenden das Recht einräumt, Verwaltungsangaben bei Staat und Gemeinden einzuklagen. Das Gesetz, das sich nach seiner Herkunft auf die Auskunftspflicht im Umweltbereich beschränkt, läßt in der Praxis durchaus dehnbare Interpretationsmöglichkeiten zu. Die Gemeinde muss sich ihre Entscheidungshoheit nicht nur mit immer mehr Partnern teilen, sie ist zudem mit steigenden fachlichen Anforderungen konfrontiert. Kleinere Gemeinden können oft nicht nur durch die Gewichtung der Stimmenanteile in den interkommunalen Gremien an den Rand gedrängt werden - wie sich im Abfallsyndikat Sidor, das mit einem veralteten Statut betrieben wird, auf fatale Weise zeigte -, sie können sich angesichts fehlender Kompetenzen auch fachlich kaum in die Diskussionen um größere Projekte einschalten. Die Abstimmung in größeren Gremien setzt voraus, dass die einzelnen Gemeindevertreter über genaue Sachkenntnis verfügen, um zu beurteilen, ob ein Projekt im Interesse ihrer Gemeinde liegt. Vor allem die technischen Dienste kleinerer Gemeinden sind des öfteren mit dieser Aufgabe überfordert. Kommunen reifen immer mehr zu Dienstleistungsunternehmen heran, in denen professionelles Management gefordert ist. Entsprechend steigt das Mitspracherecht der Kommunen in externen Gremien oft parallel zu ihrem technischen Know-how. Auch hier wird offensichtlich, dass eine strenge Verfahrensweise nach dem Autonomieprinzip kaum weiterbringt; stattdessen sollten die Kommunen auch fachlich ihre Ressourcen bündeln, um in größeren Gremien bestehen zu können. Laut den Erfahrungsberichten von Bürgermeistern wird das Fachwissen bei den Gemeinden zu einem Gut, dass die politische Überlebensfähigkeit der Kommunen immer mehr mitbestimmt. Den Gemeinderäten wird die Fähigkeit abverlangt, sich nicht nur rasch technisches Sachwissen anzueignen, sondern auch kommunikative und personalpolitische Managementfähigkeiten zu entwickeln. Dabei ist die zeitliche Verfügbarkeit der Gemeinderäte eine nicht zu unterschätzende Voraussetzung für eine professionelle Gemeindeführung - die auch der Bürgerbeteiligung einen breiten Raum gewährt. Nicht zuletzt deswegen ist in Gemeinden, in denen "députés-maires" regieren, oft eine stärkere Dynamik zu spüren. Und gerade deswegen geht die Entscheidung der neuen Regierung, statt die freie Zeit für Gemeinderäte heraufzusetzen - wie dies vom kommunalen Interessenverband Syvicol gefordert wurde - die Entschädigung für die Mitglieder des Schöffenrates anzuheben, in die falsche Richtung. Ein paar Stunden nach dem Feierabend reichen kaum aus, um eine Gemeinde ernsthaft zu führen. Soll das Amt des Bürgermeisters nicht von vorn herein nur für Vertreter bestimmter sozio-professioneller Kategorien reserviert bleiben, ist eine Ausweitung des "congé politique" wohl unumgänglich.

Olaf Münichsdorfer
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