Luxemburgensia

Literature building

Porträt des Luxemburger Autoren Jeff Schinker
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 19.04.2019

Die erzählte Geschichte ist zu vernachlässigen. Die Zeichnung der Charaktere ebenfalls. Der Plot zerfasert zwischen den Zeilen in Beliebigkeit. Ob es nun ein Sittenroman hätte werden können, eine Momentaufnahme, pure Prosa aus Luxemburg – all das ist in Jeff Schinkers Roman Sabotage nebensächlich. Absolut nebensächlich. Da mag es eine Szene aus dem Büroalltag als Abrechnung mit dem Neoliberalismus sein oder das Werden und Scheitern eines Literaten am Wannsee. Das geschieht in Schinkers Werk unter „außerdem füllte die Seiten“. Letztendlich geht es ihm um Sprache, um seine Sprache, die Sprache seines Landes, die Muttersprache, das Vermögen und Unvermögen sich in einer Sprache ausdrücken zu können, ausdrücken zu müssen.

Dabei opfert der Autor die Story, die sich zu Beginn recht originell entwickelt, seiner überbordenden Kreativität, die nichts unversucht lässt, um Konventionen aufzubrechen. Oder eben auszudrücken, wie den Saft einer Zitrone. Schinker testet aus, was in einem Roman möglich ist und wie weit die Leserschaft ihm folgen wird. So verfasste er das Werk in Deutsch, Englisch, Französisch, Luxemburgisch. Wobei die Nennung hier in alphabetischer Reihenfolge geschieht, ohne jedwede Gewichtung. Zwischen diesen Sprachen wechselt Schinker wie weiland die Worte. Die Sprache ist das Vehikel des Romans, nicht der Plot und nicht die Charaktere.

Und so ist es folgerichtig, dass Schinker die Sprache an sich thematisiert, sein Werk auf die Metaebene hebt, die er dann sogleich verdammt, um sich selbst über die Kritik zu erheben. Im metaphysischen Teil des Romans spürt der Schriftsteller denn auch nicht der Frage nach, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen, sondern wie viele Sprachen ein Roman verträgt. Die Sprache als Ausdruck, als Baustein, als Basis des Denkens und Handelns, des Zusammenlebens. Was aber, wenn dann die Sprachkompetenz versagt?

„Oft feelt mir a menger Mammesprooch d’Prezisioun. Als Lëtzebuerger kriss de dech eigentlich ni richteg ausgedréckt: Deng Mammesprooch huet net den néidege Wuertschatz, et gëtt net all déi grammatikallesch Zäiten, déi der et erlabe géifen, d’Welt uerdentlich zu beschreiwen, an déi aner Idiomer bleiwen egal wéi ëmmer Friemsproochen. Du bass dozou verdaamt, dass dat, wat s de verziels, nemmen ee Brochdeel von denge Gedanken erëmspigelt.“

Es ist der Moment, wenn sich der Autor nicht mehr auf sein Handwerkszeug verlassen kann – wenn dem Leser die vielen grammatikalischen und lexikalischen Fehler auffallen, die einher gehen mit der sinnentleerten Übersetzung von Sprachbildern, mit der Übertragung von Satzbaukonstruktionen aus einer Sprache in die nächste. Dann stellen Schinker seine Kreativität und der Wunsch, etwas Einmaliges schaffen zu wollen, eine Falle. Was den Leser daran verzweifeln lässt, ob diese Fehler als bewusstes Stilmittel eingesetzt werden, um die Gesellschaftskritik zu verfestigen, dass niemand in irgendeiner Sprache ganz und gar angekommen sei, oder ob diese Fehler einem schludrigen Lektorat geschuldet sind.

Oder, auf den Punkt zugespitzt, wenn sich das Werk nicht mehr auf ein einziges Sprach-Set verlassen kann, sondern sich vier verschiedener Ausdrucksweisen vom Gesagten und Nicht-Gesagten anvertrauen muss, sich darin verrrennt – und letztendlich scheitert. Dann mag der Roman ein Beitrag zur Sprachendebatte im Großherzogtum sein, der etwas lang und viel zu intellektuell geraten ist, der das Portugiesische nicht berücksichtigt, um auf das Englische als Lingua franca des modernen Europa auszuweichen.

Der Leser mag dem zunächst pragmatisch begegnen und die Geschichte erst einmal in Luxemburgisch lesen, dann die in Französisch. Anlehnungen an Julio Cortázars Rayuela werden lesbar, dessen Roman der frühen Sechzigerjahre war nach dem Kinderhüpfspiel „Himmel und Hölle“ konzipiert. Der argentinisch-französische Schriftsteller erlaubte es seinem Publikum, den Roman nach der herkömmlichen Seitenabfolge zu lesen oder in einer scheinbar willkürlichen, jedoch vom Autor vorgegebenen Reihung der Kapitel. Schinker macht es seinen Lesern nicht so einfach, nimmt sie lieber mit auf einen Parforceritt durch seine Sprachtheorie. Spätestens dann, wenn die Sprache nicht mehr an die Kapitel, sondern an Wortfetzen gebunden wird, macht Schinkers Obsession mit der eigenen Nationalität, der eigenen Kultur, dem Vorteil, mit Sprachen spielen zu können, darin zu erblühen, darin zu verblühen, ratlos.

Schinkers Verdienst aber ist das Wagnis, sich an ein Werk begeben zu haben, dass vier Sprachen benutzt, um eine oder mehrere Geschichten zu erzählen, zu verdichten und voranzubringen, sie unerzählt zu lassen, nicht ausformulieren zu können. Dass er sich nicht unbedingt an die Konventionen der Literatur halten möchte, sondern seinem eigenen Ansatz folgt, den Roman um Fußnoten und Ausführungen ergänzt, den vier Kapiteln noch Unterkapitel hinzufügt, die Chronologie verlässt und Mindsets zulässt, macht das Buch an manchen Stellen zu einem Vergnügen, wenn man sich ganz und gar darauf einlassen kann. Schnellleser merken recht bald, dass das Buch nicht an einem Montagnachmittag bei einer Tasse Kaffee auf einer Parkbank in Mondorf zu lesen ist. Ein Wermutstropfen ist die schlechte Verarbeitung des Buches, das nach der vorübergehenden Beschlagnahmung und Inspektion durch den deutschen Zoll schnell aus dem Leim ging und zu einer Loseblatt-Sammlung wurde.

Letztendlich bewertet dies alles Schinker selbst: „All dies, liebe Zuhörer, um Ihnen heute mitzuteilen, dass ich das Geheimnis jetzt lüften werde, nicht aus irgendeinem Drang, einem traumatischen Knoten irgendwie zu lösen, sondern weil ich diesen Akt der Autosabotage als mein Abschiedsgeschenk an die Literatur sehe: Indem ich Sie jetzt in Kenntnis dessen setze, was mich all die Jahre zum Schreiben angekurbelt hat, werde ich mich selbst lynchen, mir ein interpretatives Grab schaufeln, denn ganz gleich, was ich danach zu schreiben vermag, wird es unausweichlich im Licht dieser jetzigen Entblößung gelesen werden. Und dies zu wissen, erlaubt es mir, proleptisch, wie man in den Fachkreisen so sagt, zu wissen, dass jedes zukünftige Projekt, so verlockend es auch erklingen mag, nicht mehr geschrieben werden muss.“

Jeff Schinker: Sabotage. Hydre Éditions 2019. Deutsch, Englisch, Französisch, Luxemburgisch. ISBN 978-2-9199541-2-4. 265 Seiten

Martin Theobald
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