Die kleine Zeitzeugin

Kuckucksuhr-Idylle, ist schon zwölf?

d'Lëtzebuerger Land vom 01.07.2022

Dynamisch entledigt sich Macron seiner Anzugjacke, Johnson lockert seinen Bauch, Gastgeber Scholz murmelt vermutlich Verbindliches. Sieben Männer muss die adrette deutsche Beobachterin beobachten, eine herausfordernde Aufgabe, ein Belgier assistiert. Biden ist auch da.

Es wird sich geherzt, Hände werden beglückt gedrückt und sich in die Augen geschaut, alle strahlen mit der Sonne um die Wette. Brigitte sitzt strohblond auf einer Alm. Hinter den sieben Bergen liegt die Ukraine, ein Gletscher schmilzt vor sich hin, diskret, in der Ferne läuten Glocken. Die tragen Kühe um den Hals. Keine heiligen zwar. Der Inder in seinen bequemen Klamotten strahlt auch, er ist der VIP-Gast, jeder umwirbt ihn, er soll abgeworben werden. Seine Klamotten sind blendendweiß, sein Bart auch, so guruweiß vor dem Enzianblau des Himmels. Jede*r Staatenlenker*in bekommt einen Wanderrucksack von Horst Seehofer mit einer Blackout-Ration und dem bayrischen Kulturgut Schafskopf. Wenn jetzt nur nicht schon wieder dieser Selensky auftaucht und die Stimmung verdirbt!

Ein Schreiben wird aufgesetzt, in dem die Sieben Freunde den abscheulichen Angriff auf das Einkaufszentrum in Krementschuk verurteilen. Vor wenigen Tagen erst hat die adrette deutsche Beobachterin die Botschaft in die Welt emittiert, in das Weltteilchen, in dem ihre Botschaften eventuell gehört werden, dass sie es Putin ins Gesicht sagen will. Bis bald in Bali! Sie ist keine Falsche.

Alles ist hervorragend organisiert für die Sieben Riesen, die natürlich, wie alle wissen, längst keine mehr sind. Gern treten sie derzeit unter dem Label Wertegemeinschaft führender Demokratien auf, mit dem Bedürfnis, starke Signale in die seltsam anschwellende Restwelt zu entsenden. All diese Schwellenländer.

Die regelmäßigen Treffen sind eine liebgewonnene Tradition, die keine*r mehr missen mag. Familienfotos werden gemacht, wie es scherzhaft heißt. Dieses Jahr werden die Fotos extra schön sein, surreal schön, der himmelblaue Himmel, das markante Profil vom Gebirge Wetterstein mit den sich davor profilierenden sieben kleinen Männern, die satten Wiesen. Echte Natur, echte Wiesen mit echtem Geblüm. Der deutsche Bundeskanzler schreitet verklärt durch diese Wiesen, die kein Fake sind, durch dieses harmonische Gewucher, mit den ihm zugeneigten Blumen. Das abgewichste und zugleich buddhistisch leere Lächeln oder einfach nur vollkommen leere Lächeln des deutschen Bundeskanzlers, es ist enigmatisch wie die Raute seiner Vorgangsterin.

Alle logieren in einem Schlosshotel mit vielen Sternen unter dem Sternenhimmel, erbaut von einem protestantischen Theologen und Philosophen, der für Jesus war und gegen Kapitalismus, Kirche und Individualismus. Aber auch die Demonstrierenden sind fromm integriert in das Gesamtpaket, sie werden nicht ausgegrenzt und benehmen sich entsprechend wertschätzend. Das Bei-Fuß-Volk hat es zwar nicht geschafft bis hinauf zu dem Schloss im Himmel, es hat es nicht einmal mehr versucht. Nur der harte Kern ist übrig geblieben, er ist jetzt ein softer Kern. Der neue softe Kern ist mit der Polizei in den Bus gestiegen und wieder ausgestiegen, die Erhabenheit des Ortes weht ihn an.

Verweile doch, du bist so schön! Joe muss leider früher weg, wegen den Wolken, immer wenn es am schönsten ist, er entschwindet den Blicken der Kühe und der circa fünfzig Fan*innen. Macron zieht das Sakko wieder an, Bovis Johnson sperrt seinen Bauch ein. Aber nicht traurig sein, tomorrow in Madrid, man sieht sich! Besonders doll freuen sich alle, weil der immer so düstere Onkel Erdogan jetzt plötzlich voll nett ist. Sogar zu den Lettinnen und Finninnen. Zu den Kurd*innen leider nicht so, aber das Leben ist kein Ponyhof.

Der Fan*innenclub ist allein. Allein mit seinen Erinnerungen. Es war sehr schön dieses Jahr. Wie oldschool war doch Heiligendamm, altes Denken, alte Reflexe! Nicht traurig sein, es geht weiter! Olaf Scholz will einen Klimaclub gründen. Mit seinen sieben Freunden natürlich.

Michèle Thoma
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