Auf dem City Breakfast kommuniziert die Stadt Luxemburg – je näher die Wahlen rücken, desto greifbarer und skurriler wird die Law-and-Order-Offensive. Ein Theaterstück in drei Akten

Kueben, Mini-Aachtercher an Heescherei

Lydie Polfer und Serge Wilmes beim City Breakfast
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 12.05.2023

Akt 1 – Aufwärmübung

22. Februar, blauer Himmel, die Sonne scheint dem Knuedler ins noch winterliche Gesicht. Im Multimediasaal des Hôtel de Ville hängt die Stadtkarte wie eine Verheißung an der Wand. Das Villeroy & Boch Geschirr steht bereit, Mini-Aachtercher, Schnecken und pains au chocolat liegen ordentlich auf einem Tablett nebeneinander. Eine Handvoll Journalisten haben sich eingefunden. Einer von ihnen raunt, früher sei hier noch diskutiert worden, das sei alles längst vorbei. Um 8.45 Uhr betreten die Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) und der erste Schöffe Serge Wilmes (CSV) den Raum. Wilmes in seiner gewohnten Montur mit schwarzem Blazer und weißem Hemd, die Bürgermeisterin trägt die umgedrehte Kombination. Sie beginnt mit dem Wesentlichen. Stolz verkündet sie, gestern habe man ein Kollektivvertrag für die 2 555 Beschäftigten der Stadt Luxemburg unterschrieben. Sie nennt es einen Meilenstein, einen Paradigmenwechsel, der die nächsten 30 Jahre Bestand haben wird. „Nodeems en à l’unanimité ugeholl gouf, si mer all zesummen iesse gaangen. Dat hate mer scho laang net méi gemaach!“

Der nächste Punkt auf der Tagesordnung betrifft die für die Wahlen eingeschriebenen Ausländer. Derzeit läge man mit 6 172 registrierten Wähler/innen unter den Zahlen von 2017, doch gebe man sich äußerst viel Mühe, mehr Leute ins Boot zu holen. 74 000 hätten die Möglichkeit, zu wählen. Serge Wilmes nickt. Doch man könne ja auch niemanden zwingen, fährt Lydie Polfer fort. Man lebe – Gottseidank! – immer noch in einer freien Gesellschaft.

Der erste Schöffe spricht weniger als die Bürgermeisterin – bis es um die Raben geht, dann wird ihm das Wort für eine eindrückliche Darbietung erteilt. Erstmal unterstreicht er, Raben stünden unter Naturschutz. Er rät, sich ein Video anzuschauen, wie ein Rabe eine Nuss unter ein Auto legt, um sie knacken zu lassen. Das zeige sehr gut, wie intelligent die Tiere seien. Das größte Problem stellen sie derzeit jedoch am Boulevard Marcel-Cahen in Merl dar, wo sage und schreibe 174 Nester zu verorten sind, sagt Serge Wilmes. Da Raben brave Monogamen sind, muss diese Zahl mal zwei multipliziert werden, um genau zu wissen, wie viele Vögel dort ihren Stuhlgang auf die sehr teuren Autos entleeren. Zwischen November und Dezember habe man die Kolonien einigermaßen unter Kontrolle gehabt. Aber wichtig sei nun ein nationaler Rabenmanagementplan, der bis Ende dieses Jahres aufgestellt werde – doch da man selbst keinerlei ornithologischen Kenntnisse habe, arbeite man nun mit holländischen Experten zusammen.

Während des Raben-Monologs steht die Bürgermeisterin auf, um sich eine Tasse Kaffee und eine Mini-Schnecke zu holen. 16 Nester wurden in der Nähe der Schule auf dem Boulevard entfernt, sagt Serge Wilmes. Um die Probleme zu reduzieren, könne man die Bäume zurückschneiden, nachhaltiger sei aber eine Umsiedlung der Raben. Wie die Raben darauf reagieren, das müsse man sehr genau beobachten. Daraufhin sagt Lydie Polfer kleinlaut: „Ech hat och eng Kéier e Kueb, wéi ech ganz kleng war.“ Kurz geht es noch um Pop-Up Stores, ein weiteres Spezialgebiet des Schöffen. Lydie Polfer hat vor Kurzem einen ihrer Ohrringe verloren, sagt sie in diesem Kontext. Dann bittet sie Serge Wilmes darum, ihr die Telefonnummer der Juwelierin zu geben.

Akt 2 – Offensive

22. März, verhangener Himmel, kein Frühling in Sicht. Die anwesenden Journalist/innen diskutieren darüber, ob man mit den Gemeindepolitiker/innen noch diskutieren kann. 8.42 Uhr, Serge Wilmes und Lydie Polfer betreten den Multimediasaal. Sie beginnt mit den guten Nachrichten: Mittlerweile haben sich 8 814 Nicht-Luxemburger/innen für die Gemeindewahlen registriert, was die Teilhabe auf 10,87 Prozent erhöht. In erster Linie Franzosen, gefolgt von Portugiesen. „Mir wëlle keen Harcèlement bedreiwen, et bleift ee Choix“, sagt die Bürgermeisterin. Die personalisierten Briefe, die in den Briefkästen landeten, hätten maßgeblich zu dieser erfreulichen Erhöhung beigetragen. Wenn jemand findet, dass es hier gut laufe und sich aus diesem Grund nicht beteiligen wolle, müsse man auch das akzeptieren. Diese Einstellung werde weiter durch die hohe Fluktuation bedingt, die andere Gemeinden in diesem Maße nicht hätten, sind sich Wilmes und Polfer einig.

Luxemburg-Stadt sei beim People’s Award als beste Gemeinde des Landes prämiert worden, Londoner und Australier/innen würden sagen, nirgendwo seien sie so willkommen geheißen worden wie hier, erzählt Lydie Polfer. „Den enorme Wuesstem huet net nëmme positiv Konsequenzen, mee e bréngt villes wat vun de Leit geschätzt gëtt.“ Sie seufzt. „Mir maachen eist Bescht.“ Eine Journalistin fragt, ob ein Ausländer sein Wahlrecht bei einem Umzug außerhalb von Luxemburg-Stadt automatisch mitnimmt. Darauf hat die Bürgermeisterin keine Antwort parat. Sie ruft den Abteilungsleiter an, und erklärt ihm über ihr Telefon, die Information müsse korrekt sein. Ihrer Mitarbeiterin ruft sie zu, sie solle ihre Informationssuche stoppen, um sich sofort zu verbessern: „Dir däerft ophalen.“

Heute sind erstaunlich viele Journalist/innen erschienen. Grund dafür könnte der nächste Punkt auf der Tagesordnung sein, die privaten Security-Firmen und das Bettelverbot. „Wir warten ungeduldig darauf, dass die Kameras am Hamilius wieder einsatzfähig werden“, sagt Lydie Polfer. Ihr Handy klingelt, der Abteilungsleiter ist an der Strippe. Er antwortet ihr, bei einem Umzug in eine andere Gemeinde nehme man sein Wahlrecht mit. Sie wendet sich der Sicherheitsfrage erneut zu. „Et ass net vu Muttwëll“, moniert sie im Hinblick auf die „Attacken im Park“. Diese Thematik geht nahtlos über in eine Diskussion über das Betteln in der Stadt, eine unerträgliche Situation, wie es die Bürgermeisterin nennt. Der Platzverweis, der letzten Sommer gestimmt wurde, habe nicht viel gebracht (d’Land, 15.07.2022). „Mir deelen eise Mantel all Dag mat denen Leit, déi et brauchen“, erklärt sie. Serge Wilmes nickt. „Mir liewe Sozialpolitik, hei an der Stad brauch keen ze heeschen“, fügt er hinzu, und listet Streetwork-Initiativen wie À vos côtés. „Mir hunn et hei mat Leit ze dinn, déi keng Hëllëf unhuele wëllen“, meint Lydie Polfer, und weiter, im Hinblick auf einen psychisch eingeschränkten Mann, „an déi een ... jo, amfong muss virun sech selwer schützen“.

Die Stimmung im Saal verändert sich. Drei Journalistinnen hintereinander fragen mit Nachdruck, wie ein Bettelverbot konkret umgesetzt werden solle. Eine Antwort darauf geben Polfer und Wilmes nicht, verweisen stattdessen auf Polizei und Justiz und die Bürgermeister von Diekirch, Düdelingen und Ettelbrück, die ein solches Verbot bereits eingeführt haben. Ein Mann, den man früh morgens sehe, dem fehlten die Beine – der habe mit Sicherheit nicht alleine den Weg hierher gefunden, sondern durch organisierte Banden, die Menschenhandel betreiben. „Das müssen wir im Auge behalten, sonst werden es immer mehr“. Am Ende bemüht sie in der Sicherheitsfrage den Sisyphos-Mythos.

Akt 3 – Apotheose

26. April. „Endlech e bësse schéint Fréijoerswieder“, sagt Lydie Polfer zur Begrüßung. Dann geht es schnell zur Sache. Kriminelle Überfälle in der Stadt seien Polizeidaten nach um 25 Prozent gestiegen, 40 Prozent der Kriminalität im Land finde auf dem Stadtgebiet statt. Im Hinblick auf die Kinnekswiss habe sich die Situation mit Messerattacken „staark verschlechtert – do ass eng aner Marschroute gefuerdert“. Die Bürger/innen der Stadt wollen mehr Sicherheit, mehr Überwachung, erklärt sie. Deshalb habe sich der Schöffenrat dazu entschlossen, die Security-Firmen wenn möglich zwei Stunden länger patrouillieren zu lassen, sodass sie bereits um 15 Uhr anfangen. Angst haben, überfallen zu werden, wenn man den Park durchquert, das können wir nicht tolerieren, fügt Serge Wilmes nickend hinzu. Beide beschweren sich, weder genug konkrete Daten zu Gewalt noch genug repressive Mittel zu haben, um die Situation in den Griff zu bekommen und beklagen einen Mangel an Transparenz. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, seufzt die Bürgermeisterin abschließend.

Dann darf Serge Wilmes sprechen. Darüber, dass im Stadtpark Sträucher entnommen werden, damit er in einen ursprünglicheren Zustand gebracht wird, und dass das zur Folge haben wird, dass man sich weniger gut verstecken kann. Die Eröffnung des Spielplatzes im Bambësch und die des Parks in Gasperich finden noch vor den Wahlen statt, erklärt er stolz. Weitere Spielplätze der Stadt folgen, auch der Knuedler bekommt mehr Grün, und der Fakelzuch findet zum ersten Mal seit 2013 wieder auf dem Platz vor dem Hôtel de Ville statt, der Markt kehrt zurück – und ein Projekt um Limpertsberg und das neue Viertel in Muhlenbach durch eine Brücke mit dem Bambësch für den Fußgänger- und Fahrradverkehr zu verbinden wird geprüft.

Sarah Pepin
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