Die kleine Zeitzeugin

Empathologisch

d'Lëtzebuerger Land du 29.09.2017

Kim will Donald verstehen, diese verstörende Meldung geht gerade durch die Medien. Kim will ein Donaldversteher sein, wer kann jetzt noch die Welt verstehen? Mein Weltbild gerät jedenfalls komplett durcheinander, ich kenne mich hinten und vorne nicht mehr im Weltbilderbuch aus. Und Mutti erklärt uns auch nichts.

Wenigstens einen gab es, der bis jetzt nicht aus der Rolle fiel. Er war der garantiert Böse. Am Anfang, als er die Monsterrolle annahm, nahm man ihn noch nicht so ernst. Sein Babyspeck, seine unbeholfenen Bewegungen, als wäre er neugeboren einem Raumschiff entstiegen. Die Frisur eines verzweifelten Teenagers, der sich in seinem vorgefundenen Äußeren noch nicht zurechtfindet, tja, wer kennt das nicht? Wo ist eigentlich seine Mutter? Und wurde er mit Atom gefüttert? Er hat in der Schweiz die Schule besucht, beruhigte man sich. Jemand, der über längere Zeit Schwyzerdütsch vernommen und Ovomaltine zu sich genommen hat, verfüge über eine gewisse Bodenhaftung.

Aber er mauserte sich zur Monstermaus im Monstercomic und blieb fortan seinem weltweiten Publikum treu. Er war Best of Böse, sogar eine Atombestie. Nicht nur ein altmodischer Tier- und Menschenfresser. Lästige Angehörige und inkompetente Styling-Beraterinnen wurden an Löw_innen verfüttert, und wo ist eigentlich seine Frau? Natürlich, in der Monstermythologie ist das so üblich, ist er ein Brudermörder. Wer an der falschen Stelle lacht oder nicht lacht, ist mausetot. Niemand weiß Gutes über ihn zu berichten, nur sein Volk, das voll des Lobes ist.

Eigentlich muss es schön dort sein, die seltenen exklusiven Berichtbestatter stehen in einem Teletubby-Land vor seltsam gebildeten pastellfarbenen Gebilden, offensichtlich Architektur. In zartem Minzgrün, meistens marshmellow-rosa, wie mit rosa Brille. Es ist angenehm menschenleer, es scheint auch kein Verkehr zu herrschen. Hier herrscht eben nur Einer. Ab und zu kommt ein Auto über eine Verkehrsader gekrochen, oder ist es ein Marienkäfer? Nervige Touristen gibt es dort auch nicht. Es scheint außerordentlich ordentlich zuzugehen, kein Sperrmüll auf der Straße. Wissenschaft und Forschung werden eifrig betrieben, und die Einwohner_innen reden nur, wenn sie gefragt werden. Und dann sagen sie etwas, das niemand überrascht, was auch Vorteile hat – die dauernde Originalität, die uns umgibt, ist sehr ermüdend. Dort müssen die Menschen sich anscheinend nicht ständig selber entwerfen.

Aber dann stresst er wieder alle, wenn er väterlich mit backenknochigen Herren ein Riesenzäpfchen, einen Zapf umsteht, der gerade das Licht der Welt erblickt hat. Und dann fliegt eine Rakete – wie Fifties klingt denn das? – über Wasser und Land, und offizielle Sprecher der potenziell getroffenen Länder treten betroffen vor Kameras, es wird so eisig. Nur die Dirndl-Moderatorin im pinken Mordkorea scheint einen Mordsspaß zu haben, ihr Chef fährt gerade voll auf seinen Lieblingsfeind ab!

Und dann, jetzt, die Umkehr. Kim Jong-un will jetzt Donald J. Trump verstehen! Klar, er macht es diskret, kein Gesichts- und Gewichtsverlust, er will nicht als Softie rüberkommen. Und bisher hat auch noch kein Trump-Analytiker einen Terminator-Termin frei. Obschon das Treffen in der löwenlosen Schweiz stattfinden soll.

Aber was bedeutet dieser Klimawandel? Ist es ein Zeitenwandel, sind wir in Wirklichkeit schon 2030? Und die totale Empathie ist ausgebrochen, Gauland liket Gysi, die französischen Linken verlinken sich, die Burka-Babes spazieren im Evakostüm herum, und umgekehrt, alles ist abwechslungsreich und eins, die Welt ist geheilt, endlich. Die Löwen leben von der Liebe, so wie der Maya-Kalender es vorhersagt und all die anderen großen Prophezeiungen und Gurus. Das ganze blöde Vorkriegsspiel, in dem wir gerade stecken, wird einfach übersprungen. Ist Kims Umkehr also das Vorzeichen der großen Umkehr?

Aber was, wenn Kim sich wirklich in Donalds Welt einfühlt? Sich in Donalds komplexe Welt hineinwühlt? Oder Donald sich in Kims? Wie finden die da je wieder raus?

Ich werde auch ganz empathisch.

Raus hier!

Kurzfristig könnte es noch sehr komplex werden.

Michèle Thoma
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