Die kleine Zeitzeugin

Zähren rinnen von tief drinnen

d'Lëtzebuerger Land vom 10.05.2019

Ist der sich zur Totenmesse schleppende Greis wirklich Don Juan aus Spanien? Ist dieser graue Zausel wirklich Carl Gustav von Schweden? Eben war er doch noch ein Lausbub, der sich unsterblich in eine Stewardess verschaut hatte, ein Stewardessentraum wurde darob wahr. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann ... Sind sie nicht. Sind sie alle nicht, die da angehumpelt kommen aus ihren diversen royalen Unterkünften, mühselig und beladen, am Stock, stoisch unbeschirmt durch den Regen, der ihr Ende bedeuten könnte. In dem Alter. Um einem noch viel Älteren die Reverenz zu erweisen, einem, der durch sein bloßes Dasein Epochen verbindet, und der jetzt von unserer Bildoberfläche verschwindet.

Nicht dass wir ihn so stark wahrgenommen hätten. Gerade das Gegenteil. Deshalb war er so beliebt, noch mehr, geliebt, wie es jetzt heißt. Weil man ihn nicht mitgekriegt hat. Aber er war dennoch da. Ein beinahe göttlicher Trick, doch das Göttliche lag ihm nicht, er hatte sogar sein eigenes Gottgnadentum abgeschafft.

Seine Stärken schienen im menschlichen Bereich zu liegen. Er mochte es, wenn man ihm einen guten Witz erzählte, darob konnte er herzlichst lachen. Künstler, die mit Krone null am Hut haben, entsinnen sich dieses oder jenes Augenblicks, der sie tief blicken ließ, er war ein Mensch, es fiel ihnen wie Schuppen von den Augen.

Die Nachkriegskinder kannten ihn vom Frang, und dann vollbrachte er noch etwas Tolles. Der Großherzoggeburtstag wurde kurzerhand in den Frühsommer transplantiert, auf einen Zeitpunkt, an dem alles blüht, sogar Würmchen glüht und Fee und Elfe Radschlagen. Und während die Sternengischt sich über sie ergoss, konnten sie sich sich im Petrusstal räkeln und den Großherzog einen guten Mann sein lassen. Was konnte man mehr von einem Monarchen erwarten? Die Zeit, da Mägdelein inmitten einer bewegten, Vive- durchtosten Menschenmenge auf den Schultern des Vaters thronte, als SIE erschienen, und da war SIE noch dabei, und Mägdelein ehrfürchtig durchschauert wurde, war lang vorbei. Gestalten, die periodisch pünktlich wie Kuckucksuhrfiguren vor ihren Augen erschienen, zuzujubeln, erschien prähistorisch.

Diese Aufgabe bezhiehungsweise Hingabe übernahmen die neuen Luxemburger_innen, die auch die vereinsamte Trösterin der Betrübten trösteten. Der Spielzeugpalast war für die Tourist_innen da, vor denen dressierte Jungs zwangsneurotisch geprägte Attraktionen darboten. Wenn ich dort vorbeiging, fragte ich mich, ob SIE da wären. Ganz klar nein. Der Ort wirkte tot. Die ganze Ecke eigentlich. Besonders seit der Ciné de la Cour geschlossen hat, in dem es die besten Cowboyfilme gab. Ist allerdings schon ein Weilchen her

Viel mehr fällt Aborigenee von der Baby-Boom-Degeneration jetzt nicht ein, außer dass sie es immer wieder mal für an der Zeit hielt, den Monarchie-Plunder zu entrümpeln. Den lächerlichen Kult um menschliche Menschen zu beenden, wenn der auch in ihrem Heimatländchen überschaubare Dimensionen hatte. Menschliche eben.

Mit der imperialen Kulisse, der macronischen Geste eines sich durch die Revolution definierenden Frankreichs konnte das Großherzogtümchen schließlich nicht mithalten. Immer wieder will der Zeitgeist mit diesen Zeitgespenstern aufräumen, vor allem wenn sie ihren als ranzig empfundenen katholischen Senf dazugeben, wie absurd sind doch diese Prozessionen mit oder ohne Hut, der Spuk in der Kathedrale, die Zeremonienhexenmeister.

Dann wieder überzeugten neoliberale Argumente, die Palastbewohner_innen machten schließlich ihren Job, gar nicht schlecht. Zwar lieferten sie keine Soap Operas voll Blut, Sperma und Tränen à la Buckinghammeln, und Shakespeareskes würde wohl auch die Dimensionen eines Operettenstaates sprengen, aber doch gute solide Ware für Blätter mit vielen bunten Bildern. Was wäre denn der Bankenstaat ohne dieses bunte, liebenswerte Werbeträger_innentrüppchen? Vor einer niedlichen Kulisse spielten sie nonstop zäh und zuverlässig das Kindertheaterstück Prinz und Prinzessin, der Großherzog war unsterblich, wie beruhigend.

Und dann stirbt er. Und plötzlich stehlen sich Zähren in die Augen, von woher eigentlich? Und warum?

Michèle Thoma
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