Große und kleine Staaten

Unlauterer Wettbewerb

d'Lëtzebuerger Land du 26.09.2002

Die Abgeordnetenkammer war denkbar schlecht inspiriert, am vergangenen Freitag, zeitgleich zu einer internationalen Tagung über die Rolle der Kleinstaaten im EU-Konvent, eine Pressekonferenz der luxemburgischen Mitglieder dieses Gremiums abzuhalten. Was kommen musste, trat ein. Bis auf die eine oder die andere Ausnahme (Ben Fayot, Jacques Santer, Nicolas Schmit) glänzten die Luxemburgischen Konventsmitglieder durch Abwesenheit beim vom Institut für europäische und internationale Studien (IEIS) organisierten hochkarätigen Kolloquium, das nicht nur durch erstklassige Akademiker wie dem Oxford-Professor Larry Siedentop, Alfred Steinherr (EIB-Chefökonom und Rektor der Freien Universität Bozen), dem Slowenen Silvo Devetak, dem Tschechen Petr Drulak und dem Österreicher Paul Luif, sondern auch durch namhafte nationale Konventsmitglieder wie dem Griechen Georges Katiforis, dem Zyprioten Michael Attalides, dem Maltesen Peter Serracino Inglott, der Lettin Astra Kurme, dem Portugiesen Manuel Lobo Antunes besetzt war.

Schade eigentlich, da der Gedanken- und Meinungsaustausch zwischen Vertretern von Kleinstaaten eine durchaus sinnvolle Übung sein kann. Dies obwohl alle Teilnehmer dahingehend übereinstimmten, dass der Konvent nicht oder noch nicht durch ein Gefälle zwischen kleinen und größeren Mitgliedsstaaten gekennzeichnet ist. Schon alleine die Tatsache, dass alle Länder (sowohl die gegenwärtigen EU-Mitglieder wie auch die Beitrittskandidaten) gleichwertig und gleichrangig mit drei Mitgliedern vertreten sind, unabhängig von ihrer Größe, verhindert mögliche Frontenbildungen. Der Konvent hat bisher ein sehr aktives Networking verursacht, bei dem die Vertreter der kleineren Länder kräftig mitmischen. Laut Nicolas Schmit, Luxemburgs Ständigem Vertreter bei der EU und  im Konvent Stellvertreter von Jacques Santer, dem luxemburgischen Regierungsdelegierten, zeichnet sich eher ein Gefälle zwischen aktiven und weniger aktiven Konventsmitgliedern ab, das keinesfalls deckungsgleich ist mit dem Unterschied zwischen Groß und Klein.

Allerdings waren die Teilnehmer des Kolloquiums sich auch darin einig, dass, obwohl die Arbeitsmethoden des Konvents bisher jedenfalls keinen Anlass zu Beanstandung geben, die Vorschläge darüber, wie die EU verfasst sein soll, Interessengegensätze zwischen Groß und Klein hervorbringen werden. Jacques Santer machte dies deutlich am Beispiel des aus dem Kreis der Staats- und Regierungschefs der größeren Länder kommenden Vorschlags, der Union einen Präsidenten aus den Reihen des Europäischen Rates zu geben. 

Diese Idee stößt auf einhellige Ablehnung bei den Vertretern der kleineren Länder, die stattdessen eher eine politische Aufwertung des Kommissionspräsidenten, die Konzentration der Außenpolitik bei der Kommission und der damit verbundenen Aufwertung des Europäischen Parlamentes bevorzugen.

Der schwelende Konflikt zwischen intergouvernementaler Zusammenarbeit und der so genannten „méthode communautaire", die von den Kleineren bevorzugt wird, da sie Alleingänge der Großen vereitelt, läßt auf erhebliche Interessendivergenzen schließen, die noch nicht im Konvent ausgetragen wurden.

 

Mario Hirsch
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