LEITARTIKEL

Alles kann, nichts muss

d'Lëtzebuerger Land du 19.05.2023

In der Abgeordnetenkammer fand am Dienstag eine sonderbare Debatte statt. Landesplanungsminister Claude Turmes (Grüne) hatte eine Regierungserklärung zum neuen Leitprogramm für die Landesplanung vorgetragen. Mit Ausnahme der ADR – „den onkontrolléierte Wuesstem“ – fanden alle das Programm ziemlich gut. Es soll dafür sorgen, dass der Flächenverbrauch sinkt; Wachstum vor allem dort stattfindet, wo das sinnvoll ist, und drittens soll die Landesplanung auch grenzüberschreitend ansetzen.

Sonderbar wurde die Debatte, als aus der CSV-Fraktion der Ettelbrücker député-maire Jean-Paul Schaaf und Ko-Fraktionschef Gilles Roth, der zugleich Bürgermeister von Mamer ist, für ihre Gemeinden mehr Geld verlangten. Man konnte das für ein politisches Spiel halten, auch weil in drei Wochen Gemeindewahlen sind. Vielleicht war es das auch, aber nicht nur. Die Forderungen von Schaaf und Roth zielen auf eines der politischen Kernprobleme, die sich der Landesplanung stellen, wenn sie Erfolg haben soll: Mit welcher Begründung soll bestimmten Gemeinden ein Wachstum erlaubt, anderen versagt werden? Mit welchen Begründungen sollen Gemeinden, die wachsen dürfen, mehr Geld aus dem Gemeindefinanzausgleich erhalten? Und: Auf welche Zuwendungen hätten Gemeinden ein Anrecht, die nicht weiterwachsen, aber lebenswert bleiben sollen, und wie begründet man das?

Weil das Parlament voller députés-maires und députés-échevins zumindest der vier großen Parteien ist und nach dem 11. Juni vielleicht auch noch weiterer Parteien, könnte man meinen, dass sich zu diesen Fragen ein Konsens finden und die Gemeindefinanzierung neu ausrichten lassen wird. Zurzeit hängen die Zuwendungen aus dem gemeinsamen Fonds de dotation globale des communes zu 82 Prozent von der Bevölkerung einer Gemeinde ab. Dass das ein Anreiz zum Wachsen ist, versteht sich.

Um den Finanzausgleich an die Landesplanung anzupassen, würde es aber aber nicht reichen, Gelder nach Bevölkerung nur den Gemeinden zu geben, die wachsen sollen. Und, wie es in Turmes’ Leitprogramm angedacht ist, noch einen Ausgleichfonds zu schaffen, der Landgemeinden zum Beispiel Mittel zum Unterhalt ihrer Infrastruktur bereistellen würde. Das Problem ist noch komplizierter, auch politischer. Es stellen sich auch Fragen wie: Müsste in Landgemeinden schon ausgewiesenes Bauland zu Grünland umgewidmet werden, damit die Bevölkerung nicht wächst? Oder: Was sollen Gemeinden ihren Bürger/innen bieten; sowohl Gemeinden, die wachsen dürfen, als auch die anderen?

Die Kammerdebatte am Dienstag lieferte Hinweise darauf, was das politisch heißen könnte. Der DP-Abgeordnete Max Hahn etwa erklärte für seine Fraktion, wo Bauland ausgewiesen ist, soll auch gebaut werden. Gilles Roth und Jean-Paul Schaaf von der CSV insistierten, ihre Gemeinden erfüllten die Kriterien, um als besondere Entwicklungszentren angesehen zu werden und mehr Geld aus dem Finanzausgleich zu beziehen. Möglicherweise haben sie Recht, denn schon laut dem Leitprogramm von 2003 sollen solche Zentren Dienstleistungen von regionaler Bedeutung anbieten, worunter zum Beispiel Sekundarschulen oder Kulturhäuser fallen.

Doch: Die Missionen der Gemeinden gehen auf Gesetze zurück, die viel älter sind als das Leitprogramm von 2003. Ob man daran etwas fundamental ändern soll, ist seit Jahrzehnten ungeklärt. Große Gemeinden stehen dabei gegen kleine, die Interessen der einen Partei gegen die einer anderen. Und: Seit 2013 sind die Landesplanungs-Leitprogramm rechtlich nicht mehr verbindlich. Sondern nur noch „Strategiedokumente“, damit die Regierung sich nicht vor Gericht blamiert, wenn der Anwalt eines Grundtsücksbesitzers sagt, was in einem „Programm“ steht, das bloß der Regierungsrat gutheißt, könne nicht schwerer wiegen als die in der Verfassung garantierte Freiheit, mit Privatbesitz tun zu dürfen, was man will. Soll aus der Landesplanung etwas werden, muss ein breiter Konsens über sehr komplexe Fragen her. Müssten Gesetze geändert werden und vielleicht die Verfasung. Sonst gilt weiter: Alles kann, nichts muss.

Peter Feist
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