LEITARTIKEL

Wir sind in der Nato

d'Lëtzebuerger Land vom 15.07.2022

Noch schneller als die 30 Covid-Gesetze ging die Ratifizierung des Nato-Beitritts von Finnland und Schweden durch Luxemburg über die Bühne. Von der Verabschiedung zweier Gesetzentwürfe durch den Regierungsrat am Freitag vergangener Woche über das Gutachten des Staatsrats am Montag bis zum Votum im Plenum der Abgeordnetenkammer am Dienstag vergingen nur zweieinhalb Werktage. Am Ende konnte Luxemburg sich zugute halten, zum „Spëtzeplotong“ der sechs besonders schnellen Nato-Staaten zu zählen. Wäre bis zur parlamentarischen Rentrée im Oktober gewartet worden, wären womöglich alle anderen 29 Länder schneller gewesen.

Die Reaktivität von Politik und Staatsorganen gegenüber Nato-Belangen hat seit Russlands Invasion der Ukraine natürlich zugenommen. Gering war sie aber schon früher nicht. Eine große Mehrzahl der Abgeordneten sind überzeugte Atlantiker. In der Nato nicht abseits zu stehen, ist für das Finanzplatz-Großherzogtum auch eine Frage des Nation Branding. Die in Belgien stationierte Composante aérienne mit Transportflugzeug Airbus A400M und Multi-role-Flieger A330 sieht ein wenig nach einer großherzoglichen Luftwaffe aus, was sie auch zu einer Frage des nationalen Prestiges macht. Dass der LSAP-Verteidigungsminister der vorigen Regierung von dem „riesigen Bedürfnis der Nato nach Satellitenkapazitäten“ erzählte, versprach Synergien mit seinen Weltraumbergbau-Plänen. Etienne Schneider, der auch Wirtschaftsminister war, begann mit dem Aufbau einer Rüstungsindustrie.

So ist es wohl zu verstehen, dass die Abgeordneten es 2018 hinnahmen, dass Schneiders Gesetzentwurf über die Finanzierung des Erdbeobachtungssatelliten Luxeosys mit 173 Millionen Euro kein Finanzdatenblatt beilag, weil das „geheim“ bleiben sollte. Anfang dieser Woche erschien der sehr kritische Luxeosys-Bericht des Rechnungshofs. Er beschreibt nicht nur, dass Schneider schon 2018 wusste, dass die Kosten viel höher sein würden (2020 ließ sein Nachfolger François Bausch 136 Millionen zusätzlich bewilligen). Der Bericht stellt auch fest, wie undurchsichtig Rüstungsplanungen generell oft sind und wie schwierig die Ausgabenkontrolle durch das Parlament.

Dass Luxeosys beim derzeitigen Stand mit 309 Millionen Euro fast doppelt so teuer wird wie 2018 behauptet, ist das eine. Mindestens ebenso schwer wiegt, dass die 2017 vom Regierungsrat verabschiedeten Verteidigungspolitischen Leitlinien keine Planungsbasis mehr sein können, weil sie nicht mehr aktuell sind und ihre im vergangenen Jahr begonnene Überarbeitung „suspendiert“ wurde. Worauf wahrscheinlich zurückzuführen ist, dass auf Grundlage der Leitlinien bisher nur ein einziges Verteidigungspolitisches Weißbuch aufgestellt wurde – im Jahr 2018. Eigentlich soll das Weißbuch jedes Jahr aktualisiert werden und die Basis für die Ausgabenkontrolle sein. Die Abgeordnetenkammer hat jedoch bis heute nicht einmal das Weißbuch von 2018 gesehen.

Dass die Opposition die Luxeosys-Affäre vor zwei Jahren dankbar aufgriff, sie diese Woche weiter strapazierte und im Herbst noch einmal darauf zurückzukommen verspricht, ist im politischen Geschäft normal. Erstaunlicher ist, dass anscheinend niemand genauer wissen will, wofür die Verteidigungsausgaben überhaupt getätigt werden. Das verheißt nichts Gutes, wenn sie steigen sollen: von 464 Millionen Euro dieses Jahr auf 581 Millionen im Jahr 2025 und 2028 vielleicht auf fast eine Milliarde, wie die Regierung vor drei Wochen der Nato zugesagt hat. François Bausch gab den Bemerkungen des Rechnungshofs zur Ausgabenkontrolle in quasi allen Punkten recht und sagte Transparenz zu. Freilich braucht es dazu Abgeordnete, die ihn beim Wort nehmen. Und die nicht vielleicht bald wieder etwas beschließen, allein „weil wir in der Nato sind“, wie die CSV-Abgeordnete und Präsidentin des Haushaltskontrollausschusses, Diane Adehm, sich diese Woche an Luxeosys 2018 erinnerte.

Peter Feist
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