In Contern wurde am Mittwoch der Grundstein für ein neues Gebäude der École Charlemagne gelegt. Porträt einer Privatschule, die an der hiesigen Bildungsfreiheit kratzt

„Aimer ce qui est beau et se réjouir de ce qui est juste“

Claire Lignières-Counathe, Christian Moufle, Aude Libert, Marion Zovilé-Braquet und Serge Wilmes
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 19.05.2023

Bildungsminister Claude Meisch (DP) ist der Grundsteinlegung für das neue Gebäude der französischen Privatschule École Charlemagne in Contern ferngeblieben, obwohl seine Präsenz zunächst angekündigt war. Zugegebenermaßen musste er zu einer Sitzung für das Luxembourg Science Center, heißt es aus dem Bildungsministerium. Stattdessen war der Abteilungsleiter des Privatschuldienstes Fernando Ribeiro stellvertretend für das Ministerium dort, ebenso wie die französische Botschafterin Claire Lignières-Counathe, die Bürgermeisterin der Gemeinde Contern, Marion Zovilé-Braquet (CSV), und der Erste Schöffe von Luxemburg-Stadt Serge Wilmes (CSV).

Seit 2010 gibt es die kleine Schule, die von Eltern gegründet wurde und deren Namen unvermeidlich an die Christianisierung von Teilen Europas durch Karl den Großen erinnert. Einer der Gründungsväter der Schule ist Henri de Crouy-Chanel, der auch das Lycée Vauban 1996 mitgegründet hat und aus der Finanzbranche stammt, wie viele der 60 Familien, die ihre Kinder hier unterrichten lassen (ein nicht unbeträchtlicher Teil davon hat drei oder mehr Kinder in der Schule). Sponsoren fanden sich damals in Banken und Versicherungsfirmen, die 70 000 Euro als Startkapital zur Verfügung stellten. Vorbild ist der französische Cours Sainte-Anne, es werden Blusen getragen und es wird Wert auf „klassische“ und „traditionelle“ Methoden des Unterrichts gelegt: „L‘école forme l’intelligence par le travail d’analyse, de synthèse et de mémoire, base sur laquelle se fonde la personnalité de l’enfant en lui donnant le sens du travail bien fait, le goût de l’effort et la confiance en lui-même“, heißt es auf der eigenen Webseite, an anderer Stelle ist von einer „pédagogie exigeante“ und einem „esprit familial“ die Rede. In den Materialangaben werden weder flexible Lineale noch gewisse Marken von Bleistiften geduldet, Rechnen wird mit dem Abakus gelehrt, er muss stabil und der Zirkel funktionsfähig sein. Das Personal und alle Kinder siezen sich; kommt ein Erwachsener in die Klasse, stehen die Kinder auf. (Im Kontrast dazu wollen einige Regionaldirektoren in den luxemburgischen Schulen das bei ihren Besuchen explizit nicht mehr.)

Während die öffentliche Schule sich um eine moderne Bildung nah am Zeitgeist bemüht, scheint die Zeit hier ein wenig stehengeblieben. Was erstmal nicht per se bedenklich ist: Was sich bewährt hat, kann durchaus weiterbestehen. Allerdings zeigen die Fotos und das Video, die auf der Homepage der Schule zu sehen sind, Mädchen in rosa und Jungen in blauer Bluse; eine Art auf Unterschiede aufmerksam zu machen, die sich heute in weiten Teilen der Gesellschaft nur noch schwer vermitteln lässt.

An einem Freitagnachmittag ist in der École Charlemagne Pausenzeit, Kinder bedecken sich gegenseitig mit Blättern im Schulhof in Walferdingen. Aude Libert leitet die Schule seit September 2018. Seit zwei Jahren hätten alle Schüler/innen eine graue Bluse an, erklärt sie. Die Mädchen hätten vor einigen Jahren gerne eine rosa Bluse gehabt, doch die Qualität des Materials hatte nicht gestimmt. Die Entscheidung, die gleiche Farbe für alle einzuführen, sei aus praktischen Gründen getroffen worden, um die Blusen einfacher an Geschwister abgeben zu können. Chancengleichheit liege ihr sehr am Herzen, und Mädchen und Jungs würden gleich behandelt. „Wie ein Chirurg seine Handschuhe anzieht, schlüpft ein Kind in seine Bluse, bevor die Arbeit beginnt.“

Die maîtresses, die an der Schule angestellt werden, müssen nach dem festgelegten pädagogischen Projekt unterrichten, um Kohärenz in der Schullaufbahn ab drei Jahren (Petite section maternelle) bis zum elften Lebensjahr (CM2, Cours moyen 2e année) zu garantieren. Es sind analytische Methoden, die sich bewährt haben, was Rechnen und Alphabetisierung angeht, die angewendet werden, erörtert Aude Libert. „Dabei geht es überhaupt nicht um Nostalgie – es ist eine bewusste Entscheidung. Die Wissenschaft zeigt, dass diese Art von Unterricht funktioniert.“ Sie unterstreicht, dass die Schule sich nicht als Gegenentwurf zur öffentlichen Schule versteht, dass es nicht um moralische Überlegenheit oder Ideologie gehe. Auch die Etikette sei Handwerkszeug, um Respekt zu vermitteln, kein „Prinzip an sich“, die Schule überdies konfessionslos. Religionsunterricht gibt es an der École Charlemagne nicht, sondern ab acht Jahren etwa zehn Minuten Moralkurs in der Woche, bei dem gute Vorsätze aufgesagt werden, später beispielsweise Zitate von Philosophen wie Aristoteles.

Nach Anfängen in Limpertsberg und nur 18 Schüler/innen, zog die Schule 2015 in die EduPôle nach Walferdingen, wo heute 115 Kinder unterrichtet werden. Einen geeigneten Standort zu finden, war von Anfang an eine Herausforderung. Schon im Sommer 2017 sollte die École Charlemagne vom Ifen-Standort wegziehen, eventuell nach Neudorf. Der Plan scheiterte, der Schöffenrat von Luxemburg-Stadt genehmigte keine Rückkehr in die Hauptstadt. Bildungsminister Claude Meisch verlängerte den Mietvertrag in Walferdingen weiter, auch Serge Wilmes (CSV) half der Schule, erstmal dort bleiben zu können. Die Société générale, BGL-BNP Paribas, PWC, die Banque de Luxembourg und der spanische Botschafter setzten sich für das Fortbestehen der Schule bei Premierminister Xavier Bettel (DP) ein. Ab September 2024 hat die Heimatlosigkeit ein Ende: Die École Charlemagne hat das Grundstück für ihr neues Gebäude in der etwas tristen Gewerbszone in Contern gekauft, die Investition soll Berechnungen der Schule nach knapp zwölf Millionen Euro kosten. Das Bildungsministerium, das im Regelfall 80 Prozent der Kosten übernimmt, hat bis jetzt 1 442 500 Euro für den Bau bezahlt, geschätzt wird die Gesamtbeteiligung des Staates auf 7 202 000 Euro.

Eine gewisse Verzweiflung ging der Suche nach einem geeigneten Grundstück voraus. Die Bürgermeisterin Conterns Marion Zovilé-Braquet sei „aus allen Wolken gefallen“, als der Vorsitzende des Verwaltungsrats der École Charlemagne Christian Moufle anrief, sie würden sich gerne in der Gewerbszone ansiedeln. Kein besonders schöner, sicherer oder kinderfreundlicher Ort, zwischen einer Tankstelle und einem Supermarkt samt großem Parkplatz. Die Bürgermeisterin habe ihnen die Risiken des Ortes erklärt, auch, dass die Gemeinde das höhere Verkehrsaufkommen schlecht wegstecken könne. Es wurde ihr versichert, ein Shuttleservice bringe einen Teil der Kinder jedoch weiter vom Glacis nach Contern. „Unsere Höchstanzahl liegt auch in unserem neuen Gebäude bei 150 Kindern, damit die familiäre Atmosphäre bestehen bleibt – hier kennt das Lehrpersonal alle Kinder beim Namen“, sagt Aude Libert. Sie unterstreicht die Wichtigkeit eines geschützten, sicheren Rahmens, in dem die Schüler/innen sich optimal entfalten können.

Im Gegensatz zu anderen Privatschulen wie beispielsweise der International School oder der Waldorfschule fallen die monatlichen Schulkosten mit 340 Euro plus Essenskosten vergleichsweise günstig aus. Das Milieu ist ein anderes als das der akademischen Expats. Die Shorts, die viele der Jungs tragen, und die an die katholische Pfadfinderorganisation Scouts de l’Europe erinnern, obliegen einer Entscheidung der Eltern. „Es gibt schon einen katholischen Kern an Familien“, sagt Aude Libert. Ein konservatives, französischsprachiges und zum Teil adliges Milieu, das in Luxemburg gut vertreten ist (d’Land, 15.04.2022). Doch es gebe auch atheistische und muslimische Familien, die ihre Kinder in der École Charlemagne beschulen lassen, versichert Jeanne Ducorroy, Sekretärin des Verwaltungsrats.

Hinter vorgehaltener Hand hört man mehr Polarisierung. Tatsächlich sollen einige der Eltern ihre Kinder nicht in die öffentliche Schule schicken, weil sie „mit den Werten, die dort vermittelt werden, nicht einverstanden sind“. Und andere, die ihre Kinder aus der École Charlemagne nahmen, als sie verstanden haben, „was sie wirklich antreibt“.

Eine pädagogische Nische, die ihre Daseinsberechtigung dennoch im luxemburgischen Schulsystem hat, sagt Lex Folscheid, Erster Regierungsberater im Bildungsministerium. Solange man sich an demokratische Prinzipien und Werte halte, könne Pädagogie in einem Spektrum existieren, mit Innovation und Fortschritt auf der einen und traditionelleren Methoden auf der anderen Seite. Während Schulen wie Sainte Sophie oder Fieldgen historisch zwar katholisch sind, sich aber kaum noch vom öffentlichen Schulsystem unterscheiden, will die École Charlemagne ihrer DNA treu bleiben.

Der geplante Gesetzestext zur Schulpflicht beinhaltet auch eine Reform des Privatschulgesetzes. Sie soll die Missionen und Werte von Bildung klarer definieren und auf diese Weise jeglichen Extremismen, reeller oder potenzieller Natur, den Garaus machen – gewissermaßen eine Grundlage liefern, extremistische Projekte für Bildungseinrichtungen abzulehnen. So heißt es in Kapitel zwei, Artikel acht des Gesetzentwurfes: „Tout enseignement contribue à transmettre à la personne qui en bénéficie, outre les connaissances et les compétences, (...) le respect d’une société démocratique fondée sur les droits fondamentaux et les libertés publiques (...) et ce dans un esprit de compréhension, de paix, de respect, d’égalité entre les genres et d’amitié entre tous les peuples et groupes ethniques, nationaux, philosophiques et religieux.“ Und weiter, im Artikel neun: „Les membres du personnel enseignant ne peuvent manifester, par quelque moyen que ce soit, leur appartenance à une doctrine religieuse ou politique dans l’exercice de leurs fonctions“ – ein expliziter Laizismus, den es so noch nicht gab. Der Staatsrat lehnte viele Vorschläge in den beiden ersten Kapiteln des Entwurfs im Dezember 2022 mit dem Argument ab, solche Ausführungen gehörten nicht in ein Gesetz zur Schulpflicht und brächten keine „plus-value normative“.

Sarah Pepin
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