Interview mit Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler (CSV)

Besser fahren

d'Lëtzebuerger Land vom 13.05.2010

d’Land: Herr Minister, in seiner Erklärung zur Lage der Nation vergangene Woche hat Jean-Claude Juncker nur ganz kurz den Gratis-Transport als Gegenleistung für Änderungen am Index-Warenkorb angesprochen. Haben Sie den Premier da gebremst?

Claude Wiseler: Die Idee, den öffentlichen Transport gratis anzubieten, hat der Premier im Rahmen seiner Index-Vorschläge gemacht. Nähme man die Entwicklung der Treibstoffpreise aus dem Warenkorb, wäre der Gratistransport für die Leute ein Angebot, um ihre Mobilitätsbedürfnisse wesentlich günstiger als mit dem Auto zu befriedigen. Diese Logik hat der Premier in der Tripartite zusammengefasst.

War das Nachhaltigkeitsministerium beteiligt an der Ausarbeitung dieser Idee?

Die Gratis-Lösung hätte eine ganze Reihe Vorteile. Der öffentliche Transport würde attraktiver. Aber dann müsste das Angebot sicherlich überarbeitet werden.

Und falls sich im Herbst eine Fortsetzung der Tripartite auf diese Lösung einigen sollte, wird Ihr Ministerium ein Konzept dafür vorliegen haben?

Wie es in der Tripartite weitergeht, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten klären. Sicherlich kommt in diesem Fall noch eine ganze Menge Arbeit auf uns zu.

Als Finanzminister Luc Frieden im April die Sparvorschläge der Regierung erläuterte, sagte er über den öffentlichen Transport wörtlich: „Wir wollen mit richtigen Preisen besser fahren.“ Das klang eher nach Tariferhöhungen als nach einem Gratis-Angebot.

In meinen Augen, und in denen der ganzen Regierung, liegt es auf der Hand, dass wir den öffentlichen Transport, ganz unabhängig von der Gratis-Frage, einer kritischen Bestandsaufnahme unterziehen müssen.

Was Preiserhöhungen heißen könnte?

Das sage ich nicht. Ich sage, und das hat auch der Premier zu Beginn seiner Erklärung gesagt, wir müssen vor allem unser Bussystem rationalisieren und leer fahrende Busse vielleicht nicht fahren lassen oder sie dort einsetzen, wo sie am nötigsten sind. Das ist der Punkt, den, meine ich, auch Herr Frieden gemeint hat: Mit Blick auf den Staatshaushalt müssen wir billiger und rationeller fahren, aber wir dürfen dabei nichts an Qualität wegnehmen.

Wie erreicht man das?

Das Vorhaben ist nicht neu. Schon im Januar/Februar wurden Zählungen auf allen Buslinien, sämtlichen Streckenabschnitten und zu sämtlichen Tageszeiten durchgeführt. Auf rund 40 Linien im RGTR ist die Besetzung recht schwach und es werden weniger als vier Prozent der Maximalkapazität genutzt. Diese Linien lasse ich jetzt einzeln im Detail erneut überprüfen, denn ich will nicht pauschal sagen, die Linien müssen alle weg.

Zurzeit ist jede Ortschaft an mindestens eine Buslinie angeschlossen. Ist es eine politische Prämisse für Sie, dass es dabei bleiben soll?

Es soll keine Ortschaft isoliert werden. Aber wie jene bedient werden, die momentan nur für schwache Bus-Auslastung sorgen, soll eine Frage sein. Sie betrifft den ländlichen Raum. Mehrere Optionen zeichnen sich ab. Etwa die, dass ein Dorf nicht durch eine Linie mit Taktfahrplan angebunden sein muss, sondern vielleicht durch einen Rufbus, der den Nutzern sogar mehr Qualität bringen könnte – wenngleich sie in dem Fall lernen müssten, ihre Fahrt vorher anzumelden. Ebenfalls denkbar wäre ein Mischsystem aus Linienbussen zu Spitzenstunden und Rufbussen außerhalb der Stoßzeiten. Oder man lässt den Linienverkehr bestehen, macht aber eine Abruf-Linie daraus, die nach Bedarf fährt. Aber wohlgemerkt: Solche Angebote sollen alternativ sein zu den heutigen, nicht zusätzlich. Sie machen nur Sinn, wenn wir ein paar der derzeitigen Linien einstellen können.

Die Gratis-Idee des Premiers steht nun mal im Raum. Glauben Sie, dass sich ein solches System so ausstatten und finanzieren ließe, dass man sich politisch dazu bekennen und sagen könnte: Das lassen wir jetzt so, auch wenn die öffentlichen Finanzen weiterhin unter Druck stehen?

Ich denke, das sollte man momentan getrennt behandeln. Die Qualität und den Kostenpunkt verbessern wollen wir ja sowieso. Würde der Transport tatsächlich gratis, würde der Kostenpunkt steigen: durch weniger Einnahmen und eine wahrscheinlich notwendige Angebotsvergrößerung. Aber der Vorschlag, den Jean-Claude Juncker gemacht hat, war ein Paket, zu dem noch andere Maßnahmen gehörten: nämlich das Herausnehmen der Petrolpreise aus dem Indexwarenkorb sowie eine Absenkung der Kilometerpauschale.

Würde bei einem Gratis-Transport das Bezahlsystem e-Go wieder demontiert?

In dem Fall würde e-Go natürlich nicht mehr so gebraucht, wie ursprünglich gedacht. Bedingt wäre es für Fahrgastzählungen einsetzbar. Aber es würde den Kostenpunkt des Systems nicht mehr rechtfertigen.

Im Süden hat das interkommunale Syndikat ProSud eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich für eine Süd-Trambahn stark machen soll. Was antworten Sie ihr?

Erstens, dass ich wirklich stark am Tram-Projekt in der Hauptstadt arbeite. Seine Realisierung wurde zwar um zwei Jahre verschoben, aber das verhindert nicht, dass wir daran weiterarbeiten. Zweitens steht die Süd-Tram im Entwurf zum sektoriellen Transportplan der Landesplanung und es wurde eine technische Machbarkeitsstudie für sie erstellt. Man sollte dieses Projekt also nicht aus den Augen verlieren, wenngleich es nicht prioritär umgesetzt werden wird.

Weshalb hat die Regierung beschlossen, ausgerechnet an der Hauptstadt-Tram zu sparen?

Ihr Bau wird nur um zwei Jahre verschoben.

Bei dem enormen politischen Symbolgehalt, den das Projekt hat, sieht es aber so aus, als überlasse man sein Schicksal der nächsten Regierung.

Das tun wir nicht. Wir führen die Planungen fort. Wie reden mit der Hauptstadt weiter über die Finanzierung des Projekts und werden hoffentlich vor den Sommerferien fertig. Auch die Peripheriebahnhöfe sind nicht vom Tisch. Für den in Howald habe ich vor kurzem den Gesetzentwurf eingereicht, für den in Cessingen bleiben noch weitere Details zu klären. Wir wollen abgerüstete Peripheriebahnhöfe schnell als das einsetzen, was sie hauptsächlich sein sollen: Umsteigepunkte.

Man könnte dann einstweilen das Bussystem in Luxemburg-Stadt auf diese Bahnhöfe anpassen?

Absolut.

Die Tram wird demnach voraussichtlich kein Thema im Gemeindewahlkampf in der Hauptstadt, vielleicht zwischen einerseits DP und Grünen, andererseits der CSV?

Ich mische mich von hier aus bestimmt nicht in den Gemeindewahlkampf ein. Der Staatsminister hat klar gesagt, was die Regierung will, und ich bin Mitglied dieser Regierung. Ich verstehe aber verschiedene Besorgnisse. Ich weiß auch, dass es Probleme gibt. Corinne Cahen als Präsidentin des Geschäftsverbands drückt sie aus. Aber das sind eher Ängste vor der Baustelle als vor der Tram. Ängste, die übrigens verständlich sind und zu denen wir in den kommenden Monaten Antworten finden müssen.

Die Regierung hält fest am Ziel, den Anteil des öffentlichen Transports bis 2020 auf 25 Prozent zu steigern. Laut IVL, zu dem die Regierung ebenfalls steht, ist das nur möglich, wenn man über Land den Schienenverkehr ausbaut. Das IVL ging noch aus von einem landesweiten Einsatz von Train-Tram-Zügen neben der klassischen Bahn. Train-Trams sind heute nicht mehr im Gespräch. Wie soll sich der Modal split dennoch erreichen lassen?

Ich fand das BTB-Konzept mit Train-Trams auch attraktiv. Ich habe aber gelernt, das, was sich als nicht realisierbar erweist, nicht weiter zu verfolgen ist. Ich meine, wir verfügen mit Mobil 2020 über ein Konzept, das uns erlaubt, wesentlich höhere Transport-Kapazitäten zu erhalten, und das auch attraktiv genug ist. Eine wesentliche Frage, die sich in Luxemburg stellt, ist der Berufsverkehr morgens und abends. Für den Rest klappt es. Also müssen wir erstrangig die Grenzpendler zum Umsteigen bewegen und bauen die Petinger Strecke aus und eine Bettemburger Strecke neu. Wir schaffen auch neues Rollmaterial an; Ende dieses, Anfang kommenden Jahres wird es geliefert. In Luxemburg-Stadt lässt sich der Verkehr zurzeit mehr oder weniger bewältigen, aber wenn die Stadt wachsen soll, reicht ein Bussystem allein nicht aus. Deshalb ist die Tram ein ganz wesentliches Element in Mobil 2020.

Ich meine nicht nur BTB, sondern im allgemeinen Train-Trams. Also ein leichtes schienengebundenes Transportmittel, das sich günstiger als eine klassische Bahn in Siedlungen ausbauen lässt, die sich urbanistisch sehr stark entwickeln. Das hatte auch das IVL gesehen und unter anderem durchgehende Train-Tram-Verbindungen im ganzen Süden vorgesehen.

Die CFL hatten 2005 erklärt, ein solches System sei nicht machbar.

Die CFL nannten vor allem die bestehende Bettemburger Strecke ein unzulässiges Nadelöhr, und Train-Trams nicht einsetzbar, ehe nicht das Sicherheitssystem ECTS in allen Bahnen installiert ist, die das Luxemburger Netz befahren. Also nicht vor 2017. Man könnte entgegnen, dass die Bettemburger Strecke nun mit Priorität neu gebaut werden soll ...

... und Sie meinen, man könnte Train-Trams doch realisieren? Für mich steht fest, dass ich jetzt nicht ein bestehendes Konzept umstoße, übrigens auch aus Gründen der künftig notwendigen Kapazitäten im Schienennetz. Ich möchte, dass wir weiterkommen. Auch wenn sich der Bau der Tram um zwei Jahre verzögert. Ich fange jetzt nicht noch eine neue Planung an einem neuen System an. Ich weiß, dass das Tramsystem funktionieren kann. Also: Machen wir es doch!

Die Frage stellt sich trotzdem, wie man einen Qualitätssprung im Angebot über Land erreicht.

Wir müssen Qualität und Angebot vergrößern und bei allen Gliedern der Mobilitätskette enorme Anstrengungen machen. Da wird der Bus oft vergessen. 80 Prozent der Fahrten im öffentlichen Transport erfolgen per Bus. Wir müssen bei der Pünktlichkeit der Busse endlich weiterkommen. Das ist für mich noch wichtiger als ein Angebotsausbau. Wir müssen den Vorrang der Busse auf den Straßen systematisch weitertreiben. Wir müssen in unser Straßennetz Busspuren so einpassen, dass ein effizientes und pünktliches Bussystem garantiert ist. Nur über diesen Weg kommen wir dem Modal-split-Ziel näher.

Busse sind demnach für Sie die Alternative zu einer leichten Bahn?

Über Land müssen wir auf ein komplementares System von Bus und klassischem Zug zurückgreifen, um den öffentlichen Transport effizient zu gestalten. Neue Busspuren sind für mich sicherlich eines der Mittel für einen verbesserten Überlandverkehr. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Es ist ja klar, dass wir dem Auto Platz wegnehmen, wenn wir Busspuren anlegen. Die meisten Straßen können wir nicht verbreitern. Eine Arbeitsgruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Straßen individuell zu behandeln. Sie überprüft alle Kreuzungen, analysiert alle potenziellen Stau-Risiken. Die neuen Eintrittsstraßen in die Hauptstadt sollen alle, dort wo notwendig, angepasste Busspuren erhalten. Jeder neue Kreisverkehr soll, wenn angebracht, eine separate Einfädelungsspur für den Bus erhalten. Auch ungewöhnliche Lösungen werden erarbeitet. Am Hesperinger Berg zum Beispiel könnte vielleicht eine Busspur in der Fahrbahnmitte angelegt werden, die je nach Verkehrsaufkommen in die eine oder in die andere Fahrtrichtung freigegeben wird.

Mit welchem Fahrplantakt wird ein solches Buskonzept arbeiten können? Man müsste ja, um Autofahrer zum Umstieg zu bewegen, eine beträchtliche Qualitätsverbesserung herbeiführen.

Das kann ich so allgemein nicht beantworten. Ich habe keine Faustregel für künftigen Taktverkehr. Aber wir analysieren ständig, wo es welchen Bedarf gibt, und verbessern das Angebot konstant dort, wo dies sich als notwendig erweist.

Ist man konzeptuell gewappnet für den Fall, es würde tatsächlich der Gratis-Transport eingeführt? Er wäre ja politisch angreifbar. Irgendwann könnte jemand kommen und sagen: Die Linie hier, den Takt da brauchen wir nicht, das System ist schließlich gratis.

Ich weiß nicht, welche Auswirkungen auf die Nutzung es gäbe, falls der Transport gratis würde – ob die Nutzung in dem Fall um zwei Prozent stiege oder um 20 Prozent. Wir haben dazu auch keine Untersuchungen gemacht. Bisherige Diskussionen um die Gratis-Frage führten immer zur Antwort: „Das bringt nichts, es fehlt ja an der Qualität.“ Also gut. Aber alle Studien, alle Arbeiten, die wir derzeit erledigen, sind eine Antwort auf die Frage, wie wir die Qualität verbessern können. Käme ein Gratis-Transport, würde lediglich der Druck größer.

Peter Feist
© 2023 d’Lëtzebuerger Land