Der internationale Museumsrat Icom sucht eine neue Definition des Museums

Meisterwerke als Popikonen

d'Lëtzebuerger Land vom 17.05.2019

Wieso gehen wir in ein Museum? Was zieht uns dorthin? Immer schon zog es die Menschen in Museen, um sich Sammlungen unterschiedlichster Schätze anzusehen, die für das breite Publikum schwer zugänglich oder gar unerreichbar waren. Im Museum hatte man Zugang zu den wertvollen Schätzen und Kunstsammlungen von Königen und Adelshäusern, man wurde auf Abenteuerreisen rund um den Globus, bis in die unendlichen Weiten des Universums mitgenommen. Dieses Geheimnisvolle, diese Neugier auf fremde Welten und die reine Schönheit der Dinge zieht die Menschen seit jeher ins Museum.

Der Begriff Museum stammt aus dem 18. Jahrhundert und historisch betrachtet handelt die Institution Museum nach der Devise: „Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen“. Ziel eines Museums ist laut Definition, materielle und immaterielle Zeugnisse der Geschichte fachgerecht und thematisch zu katalogisieren, zu dokumentieren, für die Ewigkeit aufzubewahren und der Bevölkerung zugänglich zu machen.

Kritik an der Institution Museum wurde besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts laut. „Museen; Friedhöfe!“ heißt es im futuristischen Manifest – die Ablehnung des Alten im Namen des Neuen1. In den Sechziger- und Siebzigerjahren formierte sich Kritik am Museum im Zuge der „großen Negation“, wo immer wieder Bezugspunkte zum Kapitalismus gefunden wurden2. Nach einem kurzen Stillstand in den Neunzigerjahren erlebt das Museumswesen einen Boom und weltweit werden spektakuläre Bauten errichtet, welche die neu erlangte Popularität dieser Kulturinstitution widerspiegeln. „Alles drängt ins Museum“, schrieb Uwe M. Schneede. Nie zuvor zählten Museen so viele Besucher; sie strömen in Scharen, ob jung oder alt, zu den Ausstellungen. Kultur- und Kunstreisen werden erfolgreich organisiert, um mit Gleichgesinnten großen Blockbuster-Ausstellungen hinterher zu reisen. Immer mehr Museen bieten ein breitgefächertes Programm, Ausstellungen wechseln in kürzeren Abständen und werden von einem abwechslungsreichen Rahmenprogramm wie etwa Konzerten oder Workshops für Kinder und Erwachsene begleitet. Viele neue Museen entstehen in Regionen, in denen moderne und zeitgenössische Kunst lange Zeit unzugänglich war.

Mit der Ökonomisierung und der globalen Digitalisierung entstehen neue Perspektiven, welche die Museen vor neue Herausforderungen stellen und mit Fragen zu ihrer Rolle im Umgang mit Kunstwerken konfrontieren3. Schon seit langem ist das Museum nicht mehr nur Ausstellungsort, sondern ein Ort der Begegnungen, der Happenings, ein Veranstaltungsort, in dem Empfänge zwischen prächtigen Kunstwerken und in beeindruckender Museumsarchitektur stattfinden, ein Ort für die Zusammenkunft von Mensch und Kultur.

Die ursprünglichen Aufgabenbereiche der Institution haben sich nicht verändert, aber ihre öffentliche Rolle ist in stetigem Wandel. Die Funktionen eines Museums im 21. Jahrhundert gehen weit über das Sammeln und Bewahren hinaus. Wie der Kunsttheoretiker Heinz Schütz erläutert, dient das Museum als Lager historischen Wissens, es ist Quelle für kulturelles Prestige, ein Ort, an dem Meisterwerke wie Popikonen bewundert und verherrlicht werden, ein Podium für demonstrative Wohltätigkeit, Werbeplattform, Entertainment- und Freizeitmaschine, Touristenmagnet und Städtereklame. Gleichzeitig kann es auch ein Ort des Widerstands und der Kritik sein, und eine Plattform für alternative Praxen und Experimente4.

Immer häufiger wird hinterfragt, was ein Museum nun ist, was es sein soll und wie seine Rolle sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Je erfolgreicher und populärer ein Museum ist, desto mehr Resonanz bekommt es von der Außenwelt. Die Institution Museum profiliert sich dabei als moderne Dienstleistungseinrichtung auf non-profit-Basis5. Da stehen wir nun im 21. Jahrhundert, vier Jahrhunderte nach der Gründung des Louvre (1793), und stellen uns die Frage nach der Zukunft: Welche Prinzipien, Richtlinien, Praktiken sollen erfüllt werden? Der Internationale Museumsrat Icom (International Council of Museums), eine Organisation für Museen und Museumsfachleute, die dem Erhalt, der Pflege und der Vermittlung des kulturellen und natürlichen Welterbes verpflichtet sind, hat sich zur Aufgabe gemacht, eine zeitgemäße Definition für Museen zu erarbeiten. Der Icom lädt daher alle Beteiligten und Interessierten dazu ein, sich über eine Umfrage an der Erstellung einer neuen Definition zu beteiligen.

Über 187 Vorschläge sind bereits gesammelt worden. Beim Durchlesen fällt auf, dass die vier schon genannten Hauptaufgaben eines Museums von Sammeln bis Ausstellen sich wiederholen und somit absolut fester Bestandteil der Definition bleiben sollen. Einige sind der Meinung, das Museum solle eine gemeinnützige non-profit-Organisation sein, öffentlich zugänglich für jeden. Der Begriff Dokumentation fällt häufig, denn anders als vor Jahrzehnten ist es heutzutage einfacher geworden Ausstellungs- oder Sammelkataloge zu produzieren, die eine wichtige Komponente für die Museen und ihre Besucher/innen darstellen. Die Ausstellungen an sich sind Dokumentationen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft mit dem Ziel, nicht nur alles zur Schau zu stellen, sondern auch kritisch zu reflektieren.

Kommunikation – ein wesentlicher Faktor, um die Ausstellungen und Sammlungen zu präsentieren und die Besucher/innen für den Gang in die Museen zu begeistern. Die digitale Werbeplattform, wie das Internet ist allgegenwärtig und heutzutage nicht mehr wegzudenken. Sie gewährleistet einen grenzenlosen Zugriff auf Informationen.

Bildung und Vermittlung – neben Bewahren, Erforschen und Ausstellen sollen die Bildung und die Vermittlung im Vordergrund stehen. Die Geschichte, die Traditionen, natur- und kulturhistorische Themen, das Erbe der Menschheit, all das sind pure Inspirationsquellen, sie lehren uns, was war, was ist und was sein kann. Mithilfe neuer Technologien, beispielsweise der Virtual Reality (VR), können die Besucher/innen direkt ins Geschehen hineinversetzt werden; Porträts auf Leinwänden können interaktiv mit ihnen in Dialog treten. Das Museumserlebnis findet so in vielfältigen Dimensionen satt.

Vielleicht können wir uns auch von dem 2015 rea-
lisierten Manifest Das Museum der Zukunft des Künstlers Thomas Hirschhorn inspirieren lassen. Er schlägt vor, sich von den architektonischen Museumsbauten zu distanzieren und den öffentlichen Raum mit Kunst auszufüllen, sich für das „nicht-exklusive Publikum“ zu öffnen, jederzeit erreichbar und permanent geöffnet zu sein. Eine neue Dynamik soll geschaffen werden durch das „Nicht-programmieren“: „Der öffentliche Raum unserer Straßen, Viertel und Städte schrumpft immer mehr, von daher stellt sich die Frage nach der Erweiterung und des Umbaus des öffentlichen Raums im Museum und in den öffentlichen Einrichtungen. Ich betrachte dies als eine Notwendigkeit und als etwas, das erreicht werden kann, allerdings nur dann, wenn radikale Veränderungen vorgenommen werden (…).6“ Muss das Museum das Gebäude verlassen? Was soll es zeigen? Fragen über Fragen, was das Museum der Zukunft sein soll und an wen es sich richtet.

Das Museum regt seit jeher zum Dialog an. Es ist ein Ort des Denkens, und sein Ausdrucksmedium sind die Ausstellungen – ein einzigartiger inspirierender Ort, an dem eine multidimensionale Auseinandersetzung mit der Erdgeschichte, der Kultur und den großen Themen der Menschheit stattfindet, und wo Dinge zu erfahren sind wie nirgendwo sonst.

1 Filippo Tommaso Marinetti, „Manifest des Futurismus“, in : Le Figaro, Paris, 20. Februar 1909.

2 Heinz Schütz, „Das Museum im Fokus von Künstlerinnen und Künstlern“ in: Kunstforum International Bd. 251, 2017, S. 139.

3 Heinz Schütz, „Museumsboom, Wandel einer Institution“, in: Kunstforum International Bd. 251, 2017, S. 44.

4 Heinz Schütz, „Soft Power und Hard Interests. Musealer Fluchtpunkt: Gegenwart“, in: Kunstforum International Bd. 251, 2017, S. 68.

5 Uwe M. Schneede (Hg.), Museum 2000 – Erlebnispark oder Bildungsstätte?, Köln 2000, S. 8.

6 „Das Museum der Zukunft. Ein Manifest von Thomas Hirschhorn“, in: Kunstforum International Bd. 251, 2017, S. 158-161.

Sandra Schwender
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