Die Corona-Krise weitet sich aus. Das Virus zirkuliert nun auch in Luxemburg, und schneller als man hätte meinen können, musste das erste Spital sein Sicherheitsprotokoll aktivieren

In der Pandemie

Eine Apotheke in Luxemburg, wo Atemschutzmasken schon lange nicht mehr im freien Verkauf sind
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 13.03.2020

„Und: Händewaschen!“ rief Premier Xavier Bettel (DP) dreimal in den Raum, in dem er am Mittwochnachmittag mit der Gesundheitsministerin, dem Wirtschafts- und dem Mittelstandsminister die Presse zum Covid-19-Briefing empfing. Am Vormittag hatte das Kabinett über die Coronavirus-Epidemie beraten.

Der Termin des Pressebriefings sollte sich im Nachhinein als der Entwicklung sehr angemessen erweisen: Keine zwei Stunden später erklärte die Weltgesundheitsorganisation Covid-19 zur Pandemie. Das hatte die WHO bisher vermieden, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass das Coronavirus Sars CoV-2 nicht zu stoppen sei und Eindämmungsversuche nichts mehr brächten. Am Mittwoch aber waren mehr als 120 000 Menschen damit infiziert, fast 4 400 Todesfälle gezählt worden, und Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein Ende noch nicht abzusehen ist.

Die nächste Epidemie Christian Drosten etwa, Chef-Virologe der Berliner Universitätsklinik Charité, sagte am Montag auf einer Pressekonferenz, jüngste epidemiologische Studien deuteten nicht darauf hin, dass das Virus in den wärmeren Jahreszeiten verschwinden werde. Die Infektionsrate könne sich abschwächen, anschließend aber „werden wir in die nächste Epidemie rennen“, wenn es wieder kälter wird. Am Mittwochnachmittag sagte Drosten, die „Realität in Italien“ komme auch auf Deutschland zu, falls nicht weiter versucht werde, die Infektionswelle zu verlangsamen. Zu hoffen, dass bald Impfstoffe und Medikamente gegen Covid-19 zur Verfügung stehen werden, sei „Sciencefiction“. Die New York Times schrieb gestern, in China liefen zurzeit mehr als 200 klinische Versuche für ein anti-virales Covid-Medikament. Getestet würden unter anderem zwei HIV-Medikamente und ein 70 Jahre altes Malaria-Mittel. Außerdem eines, das gegen Ebola getestet worden war, aber nicht wirkte, sowie ein neues Grippe-Mittel aus Japan. Resultate gebe es noch keine, und chinesische Forscher hätten Mühe, genug Patienten für die klinischen Studien zu finden, da in China die Zahl der in Spitälern Betreuten rasch sinkt. Was ein Erfolg des „Containment“ ist, das darauf abzielt, die Infektionswelle zu verlangsamen.

Versucht wird dies auch in der EU. In Italien, das Anfang der Woche komplett zur Zona rossa erklärt wurde, wie in Luxemburg. Doch während es hierzulande am Mittwochabend noch sieben bestätigte Fälle gab und 79 Personen in häuslicher Quarantäne ausharrten, machte das Gesundheitsamt zwölf Stunden später zwölf weitere Fälle auf einmal publik. Einer davon wurde am Hôpital de Kirchberg festgestellt. Außerdem gab es bei zwei der zwölf neuen Fälle eine „lokale Übertragung“. Soll heißen: Das Coronavirus zirkuliert nun auch hier, Infektionen werden nicht mehr nur „importiert“, wie die WHO das nennt.

Sehr wahrscheinlich werden deshalb neue Eindämmungsmaßnahmen folgen. Am Mittwoch entschied die Regierung, bis Ende März Veranstaltungen mit mehr als 1 000 Teilnehmern zu untersagen. Schon in den Tagen vorher waren viele annulliert worden. Das Schulministerium sagte die diesjährigen LuxSkills ab, der Handwerkerverband den Brezelmarsch der Bäcker und Konditoren. Die Spitäler in Ettelbrück und Esch verzichteten auf ihre Veranstaltungen zum Tag der Niere und dem Tag des Schlafs, die Gemeinde Remich auf Kavalkade, Kinderflohmarkt und Konzert zu Halleffaschden. Clearstream verschob seine Fünfzigjahrfeier, der OGBL den Friddensmarsch.

Zu den am Mittwoch beschlossenen Maßnahmen gehört eine Erweiterung des Congé pour raisons familiales: Ihn kann ein Elternteil erhalten, falls einer Schule wegen eines Covid-19-Falles Quarantäne verordnet wird, was bisher noch nicht nötig war, und ein Kind betreut werden muss. Vermieden werden soll damit einerseits, dass die betroffene Schule Kinderbetreuung organisieren müsste, andererseits, dass Kinder bei Großeltern abgegeben werden: Älteren kann der Coronavirus besonders gefährlich werden. Der Familienurlaub bei Quarantäne ist ein Sonderurlaub, der nicht von dem jährlich möglichen Congé pour raisons familiales abgezogen wird.

„Nicht in einen Wartesaal gehen!“, rief Premier Bettel am Mittwoch ebenfalls mehrfach in den Raum. Offenbar hat sich noch nicht ausreichend herumgesprochen, dass Personen, die unter Husten, Fieber oder Atemnot leiden und in letzter Zeit in einem „Risikogebiet“ waren, die Hotline 8002 8080 anrufen sollen, statt sich zu einem Hausarzt oder in die Notaufnahme eines Krankenhauses zu begeben. Dort könnte, wer Covid-19 hat, nicht nur andere Patienten anstecken, sondern auch medizinisches Personal. Das ist auch schon geschehen, Land-Informationen nach ist ein Hausarzt in Quarantäne. Ob das noch auf weitere zutrifft, ist unbekannt. Um Hausärzte und Notaufnahmen zu entlasten, werden ab nächster Woche die drei Maisons médicales im Stater Bahnhofsviertel, in Esch/Alzette und in Ettelbrück nicht nur nachts und an Wochenenden mit einem Allgemeinmediziner besetzt sein, sondern generell auch tagsüber zwischen 8 und 16 Uhr. Darüberhinaus bekommen Patienten die Möglichkeit, ihren Arzt per Telefon zu konsultieren und auf diesem Weg sogar einen Krankenschein anzufordern.

Krisenprotokoll am HKB Dass ein Covid-19-Fall in einem Krankenhaus diagnostiziert wurde, setzt das Krisenmanagement der Regierung unter zusätzlichen Druck. Gestern löste das Hôpital de Kirchberg sein Protokoll zum Schutz der öffentlichen Gesundheit aus: Der Zugang zum Haupteingang wird kontrolliert. Krankenbesuche wurden eingeschränkt. Die Tiefgarage des Spitals ist nur noch Klinikpersonal vorbehalten. Ambulante Konsultationen wurden substanziell reduziert. Geplante chirurgische Eingriffe wurden für unbestimmte Zeit ausgesetzt.

Letzteres könnte Auswirkungen auf sämtliche Luxemburger Spitäler haben. Krisenprotokolle bestehen an jedem Krankenhaus. Am CHL zum Beispiel existiert ein Stufenplan, über den die Krankenhausaktivität je nach Bedarf nach und nach in den Modus „Santé publique“ geschaltet wird, so Generaldirektor Romain Nati vergangene Woche dem Land gegenüber. Im Falle eines großen Ausbruchs einer Infektionskrankheit würden Zones infectieuses und Zones propres definiert. In Letzteren fände dann statt, was nichts mit der Epidemie zu tun hat.

Noch ist Luxemburg nicht in dieser Situation. Doch die Suspendierung geplanter, also nicht dringender Operationen auf dem Kirchberg deutet an, dass es eines Tages nötig werden könnte, eine Arbeitsteilung zwischen den Kliniken einzurichten.

Entspannung in China Die Weltgesundheitsorganisation betonte am Mittwoch, als sie die Pandemie ausrief, die Eindämmungsmaßnahmen müssten weitergehen. Dass Containment Erfolg hat, wenn es konsequent durchgezogen wird, zeigt Chinas Beispiel: Am Mittwoch wurden dort landesweit 31 neue Fälle gezählt, in der Provinz Hubei, wo alles begonnen hatte, 13. Dagegen waren es in Italien 977. Derweil berichtete Spiegel Online diese Woche von chinesischen Wissenschaftlern, die dabei sind zu ergründen, wie genau das Coronavirus in die Zellen eines menschlichen Wirts eindringt und welche Folgen das im Organismus hat. Viren benötigen, um im Körper aktiviert zu werden, ein bestimmtes Protein. Das Schlüsselprotein für Sars CoV-2 hatten US-amerikanische Forscher schon Mitte Februar dingfest gemacht. Es kommt beim Menschen nicht nur in der Lunge, sondern auch in der Leber und im Dünndarm vor. Vermutet wird, dass Covid-19 deshalb in manchen Patienten zum Leberversagen führt. Chinesischen Wissenschaftlern zufolge verbindet sich das Schlüsselprotein auch sehr stark mit einem Enzym, das im menschlichen Körper den Blutdruck regelt. Die Verbindung zwischen Protein und Enzym sei zehn Mal stärker als beim Sars-Coronavirus, das 2002 in Südchina ausgebrochen war. Vielleicht verlaufen deshalb Covid-19-Erkrankungen bei Patienten, die unter Bluthochdruck leiden, häufig schwerer.

Angeschlagen ist bereits heute die Wirtschaft. Für sämtliche Branchen beschloss die Regierung am Mittwoch, den Rückgriff auf Kurzarbeit zu gestatten; beim Chômage technique trägt der Beschäftigungsfonds 80 Prozent der Gehaltskosten. Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) und Mittelstandsminister Lex Delles (DP) stellten einen Gesetzentwurf vor, der Klein- und Mittelbetrieben helfen soll, deren Trésorie wegen eines „événement exceptionnel et imprévisible d’envergure nationale ou internationale“ unter Druck geraten ist. Dann sollen Vorschusszahlungen an den Betrieb aus der Staatskasse in Höhe von bis zu 200 000 Euro möglich sein. Die geschraubte Definition des Ereignisses geht auf die EU-Beihilferegeln zurück, die derartige Sonderhilfen auf 200 000 Euro deckeln. Xavier Bettel erklärte am Mittwoch, er setze sich im Rat dafür ein, den Plafond auf eine halbe Million anzuheben. Er berichtete auch, die Benelux-Staaten stünden unter anderem in engem Kontakt, um einander mit medizinischem Material auszuhelfen, falls es knapp werden sollte.

Labortests Da das Coronavirus nun offenbar in Luxemburg zirkuliert, dürften mehr Labortests nötig werden. Zurzeit nimmt allein das Laboratoire national de santé sie vor, hat dafür die Prozedur absolviert, die ersten zehn negativen und die ersten zehn positiven Tests von einem Referenzlabor im Ausland überprüfen zu lassen und testet seit Montag autonom. Wie LNS-Direktor Friedrich Mühlschlegel am Dienstag dem Land erklärte, sei das wegen des Coronavirus eigens eingesetzte Team unter „normalen“ Bedingungen in der Lage, täglich 250 bis 300 Tests auszuführen. Nach fünf Stunden lägen die Resultate vor. Bisher teste das LNS täglich, auch am Wochenende. Teste man täglich rund um die Uhr, worauf das Team eingestellt sei, ließen sich die Zahlen erheblich steigern. Würden die Tests automatisiert, wofür die Maschinen bestellt sind, könne man sie weiter erhöhen. Mühlschlegel unterstrich, dass das LNS verschiedene von der WHO validierte Testverfahren auszuführen imstande sei. Sie setzen molekularbiologisch unterschiedlich an und erfordern zum Teil unterschiedliche Reagenzien. So lasse sich vermeiden, dass nicht mehr getestet werden könnte, falls bestimmte Reagenzien wegen der Pandemie knapp werden.

Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) schloss am Mittwoch nicht aus, auch die drei Privatlabors an den Tests zu beteiligen. Sie seien „bereit“. Drive-through-Schnelltests, wie es sie in Deutschland und den USA neuerdings gibt, schloss sie ebenfalls nicht aus, und sie versprach, das Ministerium werde die genaue Zahl der Tests öffentlich machen. Damit reagiert die Regierung auf eine Debatte, die in verschiedenen EU-Ländern Kreise zieht: In Frankreich gehen Vorwürfe um, es fänden zu wenig Tests statt; dadurch wisse man nicht gut genug über die Lage Bescheid. Deutschland dagegen hält sich zugute, über ein dichtes Netz an Labors zu verfügen, und unter anderem deshalb liege die Zahl der Todesfälle nur bei drei, Stand Mittwoch. In Frankreich waren bis dahin 48 Menschen an Covid-19 verstorben.

Letztlich sind die Versuche, das Coronavirus einzudämmen, so gut es geht, der Kampf gegen eine Gauß’sche Glockenkurve: Geht ein neues Virus um, stecken sich mit der Zeit immer mehr Menschen an. Eine Faustregel der Epidemiologie lautet, dass rund 70 Prozent einer Bevölkerung infiziert gewesen sein müssen, damit das Virus sich immer schlechter verbreitet. Der Verlauf der Glockenkurve geht dann wieder gegen Null. Emotionslos ausgedrückt, haben die 70 Prozent einer Bevölkerung die Infektion entweder überstanden und Immunität erworben oder sind verstorben. Containment heißt, die Glockenkurve möglichst weit in der Zeit zu strecken – damit inzwischen die saisonale Grippewelle abklingt, die Gesundheitssysteme nicht überfordert werden und möglichst wenig besonders Gefährdete sich infizieren. Das meinte die deutsche Bundeskanzlerin, als sie am Mittwochnachmittag erklärte, 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung könnten sich anstecken, und das meinte Premier Xavier Bettel, als er auf eine Journalistenfrage entgegnete, das könne auch in Luxemburg der Fall sein. Was die besonders Gefährdeten betrifft, rief Bettel am Mittwoch dazu auf, Sonntagsbesuche bei den Großeltern besser bleiben zu lassen. Was vermutlich nicht reicht, wenn Sars CoV-2 nun frei zirkuliert; in Frankreich wurden Besuche in Altenheimen bis auf Weiteres verboten. Vermutlich aber beschloss die Regierung gestern weitere Maßnahmen. Das Pressebriefing nach der außerplanmäßigen Kabinettsitzung fand nach Redaktionsschluss dieses Artikels statt.

Peter Feist
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