Die öffentliche Forschung, inklusive der Uni, soll mehr als bisher der Wirtschaft dienen. Das gefährdert in Zeiten knapperen Geldes Uni.lu als Hochschule – aber das interessiert die Politik wenig

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d'Lëtzebuerger Land du 01.08.2014

Als Rektor Rolf Tarrach vor zwei Wochen die Strategie der Universität Luxemburg für die nächsten vier Jahre vorstellte, beklagte er eine Entscheidung des nationalen Forschungsfonds FNR: Der finanziere Postdoc-Forscher in Zukunft nur noch, wenn sie in ein Projekt mit der Industrie eingebunden seien. Für an die 50 der momentan 60 Postdoktoranden von Uni.lu stelle sich damit die Finanzierungsfrage. Da mit jedem von ihnen Personalkosten von rund 80 000 Euro jährlich verbunden seien, entstünden der Uni Mehrkosten von vier Millionen Euro im Jahr, wollte sie die Wissenschaftler selber finanzieren. Verzichten könne sie auf diese Postdoktoranden kaum, deutete der Rektor an: „Postdocs sind Leistungsträger in der Forschung. Sie haben ihre Doktorarbeit absolviert, wissenschaftliche Erfahrungen gesammelt und wissen so gut Bescheid über das, was auf ihrem Gebiet international läuft, dass sie nicht selten bessere Impulse zu geben vermögen als ein Professor.“

Wissenschaftliche Leistungsträger, die man nur noch finanziert, wenn sie mit der Wirtschaft zusammenarbeiten: Das klang nicht nur so, als sollte die Uni mehr als bisher der Stärkung der Wirtschaft dienen. Das ist auch so gemeint. Ab 1. Januar 2015, informiert die Webseite des FNR, werden Aides à la formation-recherche (AFR) für Postdoktoranden nur noch im Rahmen von Public-private partnerships mit Unternehmen vergeben. Für die öffentlichen Forschungszentren gilt das auch, aber weil sie weniger Forscherpersonal beschäftigen und ohnehin näher an der Wirtschaft tätig sind, betrifft die Neuerung sie weniger.

„Wir tun das, um Redundanzen abzubauen“, sagt FNR-Generalsekretär Marc Schiltz. Der Fonds, der dieses Jahr 71 Millionen Euro für „Programme und prioritäre Aktionen“ auszugeben plant, finanziere Forscher „über viele Kanäle“. Sei es das Pearl-Programm, mit dem Professoren von Weltruf für ein paar Jahre nach Luxemburg verpflichtet werden, um an der Uni oder öffentlichen Forschungszentren einen neuen Bereich aufzubauen, was dann auch Personal neben dem Professor einschließt. Sei es das Attract-Programm, das erstklassige junge Forscher aus dem Ausland anziehen soll. Oder sei es Core, das mit Abstand größte, über das der Fonds Projekte finanziert, die unter die von der Regierung definierten nationalen Forschungsprioritäten fallen. Über ein Core-Projekt mit Geld vom FNR könne eine Forschungseinrichtung auch Postdoktoranden bezahlen, sagt Schiltz. „Forschungsausgaben decken ja immer in erster Linie Personalkosten.“ Das Problem der Uni sei vielleicht, „dass sie viele Aktivitäten entwickelt hat, die nicht unter die nationalen Prioritäten fallen“. Die Forschungsarbeit von Mathematikern oder Juristen beispielsweise gehöre nun mal nicht dazu. Doch: „Nur ein Fünftel der öffentlichen Forschungsausgaben werden über den FNR verteilt“, erinnert Schiltz. Soll heißen: Braucht die Uni Geld für etwas, das nicht prioritär ist, muss sie sich an die Regierung wenden.

Wo der FNR-Generalsekretär Recht hat, hat er Recht, denn der Fonds unterliegt einem Leistungsvertrag mit dem Staat. Sparen muss er auch. Zwischen 2011 und 2013 waren die Zuwendungen aus der Staatskasse an den FNR noch um über 50 Prozent gestiegen. Dieses Jahr liegen sie mit 52 Millionen Euro so hoch wie 2013, und bei den 60 Millionen, die ihm für nächstes Jahr zustehen, soll es auch 2016 und 2017 bleiben. Es sei denn, nach einer „Halbzeitbewertung“ des Leistungsvertrags wird bis Ende 2015 etwas anderes festgelegt. Die Option „Neuverhandlung“ gilt für den FNR genauso wie für die Uni und die Forschungszentren mit ihren Vierjahresverträgen.

Dass der Forschungsfonds sparen muss und seine Ausgabenbereiche optimiert, führt jedoch noch nicht zur Unterstützung der Wirtschaft. Das besorgt die Forschungspolitik der Regierung.

Stipendien, die in Public-private partnerships vergeben werden, sind nichts Neues. 2008 übernahm der FNR die Verwaltung der Aides à la formation-recherche vom Hochschulministerium. Seitdem können sowohl die AFR für Doktoranden wie auch die für Postdoktoranden im Rahmen eines PPP vergeben werden. Doch in den sechs Jahren bis Ende 2013 waren von den insgesamt 288 AFR für Postdoktoranden ganze sechs Teil eines PPP.

Grund dafür dürfte kaum sein, dass mit den heimischen Betrieben keine qualitativ hochwertige Forschung zu machen ist, auch wenn sie „nur“ eine angewandte wäre. Viel eher dürfte die Mobilitätsklausel ein Hindernis sein. Sie gilt für Postdoc-AFR generell: Wer sein Postdoktorat in Luxemburg absolvieren will – ob in einer Forschungseinrichtung oder einem Betrieb –, muss in den zwei Jahren vor der Antragstellung mehr als zwölf Monate lang in einem anderen Land tätig gewesen sein. Heimische Unternehmen, die mit Postdoktoranden zusammenarbeiten und sie durch ein AFR-PPP vom Forschungsfonds finanzieren lassen möchten, müssten womöglich im Ausland rekrutieren. Wahrscheinlich spiegelt die kleine Zahl der bisherigen Postdoc-PPP wider, wie aufwändig das für eine Firma ist.

Und eben das soll sich ab 1. Januar 2015 ändern. Statt von einem Postdoktoranden „geografische Mobilität“ zu erwarten, wird „sektorielle Mobilität“ ausreichend sein. Soll heißen: Während der FNR es bislang nicht unterstützen wollte, dass jemand an seine Zeit als Doktorand heiheem gleich noch ein Postdoc anhängte, soll es nun möglich sein, nach dem PhD zum Postdoc in einem Luxemburger Betrieb zu wechseln. Weshalb der FNR-Generalsekretär auch davon ausgeht, künftig nicht mehr nur ein oder zwei Postdoc-PPP pro Jahr abzuschließen.

Dass „zu viel Luxemburg“ der Entwicklung eines jungen Forschers offenbar nicht mehr abträglich sein soll, ist ein bemerkenswerter Bruch mit dem bisher gängigen Räsonnement von Politik und Forschungsinstanzen, aber charakteristisch für den Ansatz der neuen Regierung.

Hochschul- und Forschungsminister Claude Meisch (DP) erklärte am Montag auf seiner forschungspolitischen Pressekonferenz, die Entscheidung, Postdoktoranden nur noch über PPP vom FNR finanzieren zu lassen, „steht im FNR-Gesetz“. Das stimmt nicht: Die am 2. Juli vom Parlament verabschiedete Reform des FNR-Gesetzes, die noch auf den früheren CSV-Minister François Biltgen zurückgeht, erlegt dem FNR zwar auf, auch zur „Valorisierung“ von Forschungsergebnissen beizutragen. Zu den AFR aber sagt sie nur, dass der FNR Doktoranden-Stipen-dien künftig nicht nur individuell, sondern auch „kollektiv“ vergeben kann: Die Mittel würden einer „Doktorschule“ an der Uni oder einem Forschungszentrum zufließen. Der FNR würde vorab evaluieren, ob die Themen der Doktorschule wissenschaftlich hochwertig sind, und anschließend könnten Uni oder CRP als Doktoranden dafür verpflichten, wen sie wollen. Den FNR würde das entlasten. Denn ähnlich überfordert, wie das Hochschulministerium bis 2008 mit der Bearbeitung der AFR-Gesuche war, ist es dem FNR eine Last, um die 400 Anträge pro Jahr ganz individuell zu sichten und zu entscheiden, ob das Thema einer Doktorarbeit oder der Arbeitsschwerpunkt eines Postdoktoranden im Kontext von Forschung und Entwicklung in Luxemburg „interessant“ ist.

Dass die Finanzierung von Postdoktoraten gestoppt und nur für PPP weitergeführt wird, ist dagegen neu und steht im Leitungsvertrag zwischen Regierung und FNR, der am 26. Juni unterzeichnet wurde. Der Vertrag sieht auch vor, dass die Kollektiv-Stipen-dien für Doktoranden so weit ausgebaut werden, dass sie „à terme“ die individuellen AFR ersetzen – mit Ausnahme der Stipendien für jene Doktoranden, die nicht für Kollektiv-AFR infrage kommen: „notamment les partenariats public-privé“.

PPP gesondert zu behandeln und Doktorschulen einer Qualitätskontrolle des FNR zu unterwerfen, soll eine „formation doctorale de qualité, en adéquation avec les besoins de la recherche, de la socitété et de l’économie“ gewährleisten, hält der FNR-Leistungvertrag fest. „La science, au sens large“, wird weiter vorne im Text philosophiert, „vise à engendrer des nouvelles connaissances. Mais la recherche, vue comme entreprise globale, entend aussi apporter une contribution tangible au développement de la société et de l’économie. Au-delà de la notion de qualité, le FNR se veut de soutenir une recherche qui puisse avoir un impact économique et sociétal.“

Geht so ein Druck auf Resulate zu weit? Das lässt sich schwer sagen, solange nicht klar ist, um welchen „Impakt“ es genau geht. Fest steht dagegen: Würde die gesamte öffentliche Forschung an den Prioritäten von Regierung und FNR ausgerichtet, wäre das eine Gefahr für die Uni, weil die nicht nur forscht, sondern auch lehrt. Mathematik-Forschung an Uni.lu nicht für prioritär zu halten, ist irrig: Weder eine Ausbildung von Qualität im hochgelobten und sehr prioritären Bereich IT, noch eine in der seit 2009 sehr gepflegten Systembiologie ist zu haben ohne Mathematik. Doch gute Mathe-Professoren gewinnt man nur, wenn man ihnen auch Forschungsmöglichkeiten bietet – und dazu gehören neben fest angestellten Assistenten auch Postdoktoranden. Andernfalls degradiert man Hochschullehrer zu besseren Lycéesprofs. Und was für die Mathematik gilt, trifft auch für alle anderen Bereiche zu, in denen die Universität Studenten ausbildet: Ist dort keine hochwertige Forschung möglich, leidet die Lehre.

Und eben darin besteht das politische Problem im Moment: In all der Hysterie um „positive Salden“ im Staatshaushalt und die Diversifizierung der Volkswirtschaft wird Uni.lu zunehmend als Forschungsakteur angesehen, aber immer weniger als Kulturfaktor zur Bildung der Gesellschaft. Dem mag all das Reden um die „Forschungsuni Luxemburg“ und all die Reklame ihres Rektors für „Exzellenz“ Vorschub geleistet haben; auf jeden Fall aber wird in der politischen Klasse die Verbindung von Forschung und Lehre derzeit überhaupt nicht laut: Während der Debatten im Parlament am 2. Juli um das neue FNR-Gesetz ergingen die Redner der blau-rot-grünen Mehrheit, aber auch Ex-Forschungsministerin Martine Hansen von der CSV sich in wolkigen Beschwörungen des „Nutzens“ der Forschung „für Wirtschaft und Gesellschaft“, so dass es am Ende ausgerechnet ADR-Rechtsaußenposten Fernand Kartheiser vorbehalten war, eine Lanze für die „Autonomie der Forschung“ zu brechen. Und diesen Montag war es die Piratenpartei, die in einer Pressemitteilung fragte, ob die Universität wohl nur noch als „Wirtschaftsfaktor“ verstanden werde. Niemand jedoch thematisiert im Moment in aller Öffentlichkeit die Uni als Hochschule.

Außer vielleicht Pierre Decker, Erster Regierungsrat im Forschungsministerium und neuer Regierungskommissar im Aufsichtsrat der Universität. „Wir müssen noch schauen, ob wir das so bestehen lassen“, warf er ein, als sein Minister am Montag nicht wusste, was er zu der Postdoktorandenregelung sagen sollte. Wie er das meinte, wo die Konzentration des FNR auf Postdoc PPP doch im Leistungsvertrag steht, erläuterte Decker nicht und war auch für Nachfragen nicht zu erreichen. Was vielleicht nur illustriert, wie ernst die Lage ist, in der durchaus die Zukunft der Uni auf dem Spiel steht – ganz abgesehen von den vielen Pannen und Unklarheiten um Belval.

Peter Feist
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