Schulz, Günther J.: Der Keenote

Wo, zum Teufel, ist der Faust?

d'Lëtzebuerger Land vom 03.06.2010

Literaturkritiker leiden gewöhnlich an der berufsbedingten Deformation, ihre Einschätzung von Romanen vorrangig an der literarischen Qualität des Textes ausrichten zu wollen. Hin und wieder ist das aber gar nicht im Sinn des Verfassers. Günther J. Schulz macht keinen Hehl daraus, dass die pädagogischen Absichten ganz oben auf der Prioritätenliste seines neu gegründeten Verlags stehen. Die Internetseite gibt Auskunft über die programmatische Orientierung (die sog. „Philosophie“) von „Open Mind Publisher Ltd.“: Es gehe um die „Vermittlung neuer Visionen und Dimensionen, ohne dogmatisch oder lehrhaft aufzutreten1“; man wolle „neues Wissen vermitteln, sei es als ein Märchen oder ein Krimi verpackt“. Schulz ist offenbar darauf aus, mit gutem Beispiel voranzugehen, indem er als erstes einen Roman aus seiner eigenen Feder veröffentlicht hat. Laut Klappentext handelt es sich dabei um „ein Buch rund um die Moral in unserer Gesellschaft: Dabei spannend, komisch und unterhaltsam.“

Aus literaturwissenschaftlicher Sicht sind solche Ankündigungen bedenklich. Natürlich werden schon immer ethische Fragestellungen in der Literatur verhandelt, manchmal auch mit dem Anspruch, zur moralischen Läuterung des Rezipienten beizutragen. Dagegen ist kaum etwas einzuwenden, solange der Autor nicht vergisst, dass seine inhaltlichen Anliegen, so interessant sie aus sachlicher Perspektive sein mögen, die literarische Qualität des Textes niemals aufwiegen oder sogar ersetzen können. Ein schlecht geschriebenes Buch bleibt ein schlecht geschriebenes Buch, und wenn es thematisch noch so hehre Ziele verfolgt. Schulz’ Roman führt dem Leser mit nahezu jeder Seite erneut vor Augen, dass in der Literatur der Zweck nicht die Mittel heiligt. Anders als der Klappentext behauptet, ist Der Keenote nämlich weder spannend, noch komisch oder unterhaltsam.

Die Hauptfigur, Steven Dorset, ist Manager einer Firma, die in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Er geht einen Pakt mit dem Teufel („Meph“) ein, bedient sich unlauterer Methoden zur Ausbootung seiner Mitarbeiter und Konkurrenten und hat auf einmal auf der ganzen Linie Erfolg. Er verliebt sich in seine Psychotherapeutin, die sich, ihrer Rolle als Gretchen gemäß, als Widersacherin des Teufels entpuppt. Als ihr nach einem Mordversuch an dessen bestem Freund das Ausmaß von Dorsets krimineller Verstrickung deutlich wird, trennt sie sich von ihm. Dorset beschließt, dem Teufel eine Absage zu erteilen und sein Leben von Grund auf zu ändern.

Dazu sucht er die Lehrmeisterin seiner großen Liebe in Japan auf, die ebenfalls eine Widersacherin des Teufels ist, eine sogenannte „Keenote“, und findet dann heraus, dass er selbst zu dieser mystisch verklärten Gruppe von „Keenoten“ gehört. Unter Anleitung der japanischen Heilerin macht er sich auf die Suche nach seinem „inneren Kind“, arbeitet die Traumata seiner Vergangenheit auf und findet so zu neuem Selbstvertrauen. Der Teufel kann ihm nichts mehr anhaben, er hat nach wie vor beruflichen Erfolg, der Freund wird ihm verzeihen und die Frau will ihn wiederhaben. Alles wird gut.

Einmal abgesehen von Faktoren, die der Autor nicht zu verantworten hat, wie das drittklassige Layout und das nachlässige Lektorat, leidet der Roman an erheblichen erzählerischen Schwächen. Die fehlende sprachliche Ambition und kleinere logische Fehler, wie dass Figuren eines Romans, der in England spielt, einander das Du anbieten, ließen sich noch verschmerzen. Doch es gibt wenige Bücher, die sich so anhaltend einer Poetik der puren Behauptung verschreiben wie Der Keenote. So gut wie nichts von dem, was der Text vorgibt, wird erzählerisch eingelöst oder unmittelbar für den Leser erfahrbar gemacht. Da liest man von „tiefen Löchern“, in die die Figuren fallen, von „unglaublichen Katastrophen“ und davon, dass Entscheidungen ihnen „das Herz brechen“, aber das alles wird völlig dröge und emotionslos vorgetragen, als sprächen die Figuren gar nicht für sich selbst.

Aber sollen sie das überhaupt? Dient nicht vor allem Steven Dorset als Sprachrohr für die Möglichkeiten einer moralischen Selbstfindung? Leider lässt sich der Roman auch nicht retten, indem man ihn von dieser Seite betrachtet. Den Konflikt zwischen „Gut und Böse“, den das Buch in Bezug auf das kapitalistische Erfolgsstreben entwickeln soll, nimmt der Autor nicht wirklich ernst. Sein Teufel ist ein albernes, störrisches Kasperle, das zwar am Ende als psychische Projektion des Protagonisten enttarnt wird, aber trotzdem faktisch auf die Handlung einwirkt.

Darüber hinaus hantieren die Figuren zum Teil nur mit Scheinproblemen. Zum Beispiel mag es nicht besonders nett sein, zwei Affären gegeneinander auszuspielen, wie es Dorsets Exfreundin Jane tut, aber ob sie mit derart geringfügigen Verfehlungen als „Schützling des Teufels“ gelten kann, wirkt doch eher fraglich. Auch Dorset selbst ist meilenweit von der Großartigkeit und Komplexität eines Faust entfernt.

Steven Dorset soll lernen, Verantwortung zu übernehmen und einen „Selbstwert“ zu entwickeln. Wie restlos seltsam nur, dass der Autor und Verleger Günther J. Schulz es mit diesen Eigenschaften selbst nicht so genau zu nehmen scheint. Nicht nur, dass er die Bücher nicht nennt, denen er die psychologischen Konzepte (wie das des „inneren Kindes“) für seinen Roman entnimmt. Der Inhaltsangabe im Klappentext sind außerdem Scheinzitate hinzugefügt, – zwar mit Anführungszeichen versehene Aussagen über das Buch, die jedoch jeglicher Quellenangabe entbehren. Man würde zu gern wissen, wer anders als der Autor meinen könnte, ein so einfach gestrickter Roman entwickele „eine neue Sicht auf die Zusammenhänge von Gut und Böse“ und würde so „für jeden Leser zu einer echten Bereicherung“.

1http://openmindpublisher.com/philosophie.html am 01.06.2010.
Elise Schmit
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