Die CSV hat Angst, als Relikt vergangener Zeiten in einer Kiste zu verschwinden und will deshalb mehr wie die Piraten sein. Bislang gelingt es ihr noch nicht

„Keng Këscht grouss genuch fir eis dran ze drécken“

d'Lëtzebuerger Land du 01.10.2021

„Mir si net rechts, mir si net lénks, mir si bei de Leit“ Mit diesem Statement erklärte Parteipräsident Claude Wiseler den Teilnehmer/innen des Statutenkongresses am vergangenen Samstag in Oberkorn die zukünftige politische Ausrichtung der CSV, die seit über zehn Jahren nach einer neuen Identität sucht, um sich in der von einer zunehmenden Zersplitterung der Parteienlandschaft geprägten postmodernen Welt politisch zu positionieren. „Et ass keng Këscht grouss genuch fir eis dran ze drécken“, meinte Wiseler, und wollte sich mit seinen Aussagen vor allem vom in der Presse geäußerten Vorwurf befreien, ausgerechnet er, der sanftmütige und verständnisvolle ehemalige Spitzenkandidat und designierte Juncker-Nachfolger, wolle die CSV wieder auf einen konservativen Kurs bringen. Hintergrund dieses Vorwurfs war seine Aussage gegenüber RTL Ende August, dass wegen der Afghanistan-Krise kein „Asyltourismus“ entstehen dürfe. Daraufhin hatten politische Konkurrenten und mehrere Medien ihm unterstellt, an den rechten Rand zu schwimmen. Wiseler war anschließend zurückgerudert.

Anfang August hatte der Parteivorsitzende in einem Interview mit Reporter noch erklärt, die CSV könne und wolle konservativ sein. Allerdings sollte sich seine Auslegung des Begriffs von der der ADR abgrenzen, die sich als konservativ im traditionellen Sinn versteht. Die CSV propagiert hingegen einen weltoffeneren Konservatismus: Konservative Werte zu vertreten heiße für die CSV heute, das Klima und die Umwelt zu schützen. Aber auch die Freiheit des Einzelnen und die Familie. „Der Schutz des Lebens und der Erhalt dessen, was lebenswert ist“, sagte Wiseler am Samstag, ohne näher zu erläutern, was oder wen seine Partei denn als lebenswert erachtet und wen oder was nicht.

„Vollekspartei heescht, sech all deenen zentrale Froen, déi an eiser Gesellschaft wichteg sinn, ze widmen“ Die Strategie der CSV ist offensichtlich. Sie versucht die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen mit ihren traditionellen Werten und ihrem Selbstverständnis als Volkspartei in Einklang zu bringen. Ob das so einfach funktioniert, ist jedoch fraglich. Ein Beispiel dafür ist der Angstdiskurs, den die Partei in den vergangenen Monaten angezettelt hat, indem sie nicht nur das Bahnhofsviertel der Stadt Luxemburg, sondern auch die von der CSV mitregierten Städte Esch/Alzette, Ettelbrück und Differdingen (und sogar Wiltz, die sich als einzige vehement dagegen gewehrt hat) im Handumdrehen zu sozialen Brennpunkten erklärte, wo die vermeintliche Kriminalität nur mit Überwachung und repressiver Polizeigewalt in den Griff zu bekommen sei. Diesen konservativen Ansatz, der auch von der ADR hätte kommen können, verkauft die CSV zwar als „no bei de Leit“, doch tatsächlich ist es eine perfide und populistische Strategie, einerseits mit Vorurteilen, nicht überprüfbaren Behauptungen und uneindeutigen Statistiken ein Bedrohungsszenario zu konstruieren und andererseits gleich vermeintliche Patentlösungen mitzuliefern, die diese fiktive Bedrohung beseitigen könnten. Anders als von der CSV (und bisweilen von der DP) behauptet, wird die Freiheit des Einzelnen durch den Einsatz von Videoüberwachung oder die Anwendung des Platzverweises nicht garantiert, sondern massiv eingeschränkt. Ferner diskriminiert die Law-and-Order-Politik ganze Gruppen von Bürger/innen, die obdachlos, krank und/oder drogensüchtig sind, oder ihr Geld damit verdienen, dass sie die Lücken einer verfehlten Drogenpolitik ausnutzen, indem sie die gesellschaftliche Nachfrage nach Rauschmitteln bedienen, die der Staat nicht befriedigen will. Nicht zuletzt führt der diskrete Hinweis darauf, dass es sich bei den Drogenverkäufern häufig um illegale Einwanderer („Asyltouristen“) aus Afrika handle, zu einem allgemeinen Misstrauen gegenüber afrikanischstämmigen Menschen und schürt rassistische Ressentiments. Wie dieser Ansatz mit den christlichen Werten vereinbar ist, die die CSV noch immer für sich beansprucht, ist nicht nachzuvollziehen.

„Mir si wirtschaftsfrëndlech a mir si sozial“ Ein anderes Beispiel ist der Klimaschutz, der laut Ko-Fraktionspräsident Gilles Roth „zur DNA der CSV“ gehört. Die „ideologische Verbotspolitik“ der Grünen lehnt die CSV jedoch ab und will stattdessen „pragmatische Lösungen“ finden, wie Roth am Samstag erläuterte. Dazu gehört, dass Klimainvesti-tionen für Unternehmen steuerlich absetzbar sein sollen und die CO2-Steuer in den Index-Warenkorb aufgenommen werden soll. Ob diese Maßnahmen jedoch ausreichen, um den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, darf bezweifelt werden. Eher klingt es wie der verzweifelte Versuch, Reichen und Armen gleichermaßen Steuergeschenke in Aussicht zu stellen.

Gleiches gilt für den sozialen Bereich. Vordergründig hat die CSV am Samstag gewerkschaftsnahe Positionen vorgetragen. Roth forderte von der Regierung Steuererleichterungen für Alleinerziehende, das Kindergeld an den Index zu koppeln und die breite Mittelschicht steuerlich zu entlasten. Ähnliche Forderungen hatten OGBL, LCGB und CGFP vergangene Woche bei der Bipartite gestellt. Anders als der OGBL lehnt es die Volkspartei jedoch ab, große Vermögen und hohe Einkommen stärker zu besteuern. Auch eine Anhebung der Betriebsbesteuerung kann die CSV nicht unterstützen. Wie sie die angestrebten Steuererleichterungen finanzieren will, lässt sie demnach offen.

Inhaltlich und programmatisch hat die CSV ihre Linie noch längst nicht gefunden. Es sei denn, der bewusste Verzicht auf Ideologie und der selbsterklärte Rückzug aus politischen Klassifikationssystemen erfordern keine einheitliche Linie. Bei einer kleinen Oppositionspartei wie den Piraten mag der pragmatische und opportunistische Ansatz, eigene Positionen erst durch die situationsbedingte Auseinandersetzung mit spezifischen Fragen und Problemstellungen zu entwickeln, vielleicht funktionieren, doch für eine Volkspartei, die den Anspruch hat „2023 wieder dorthin zu kommen, wo wir hingehören, nämlich in die Regierung“, reicht reiner Pragmatismus nicht aus.

„Rechts oder lénks, et ass mer komplett egal. Sou ass fréier Politik geduecht ginn“ Zumindest ihre strukturelle Erneuerung hat die CSV am Samstag vorangetrieben. Fast einstimmig haben die 243 wahlberechtigten Delegierten die Statutenänderung angenommen, die es ermöglicht, sowohl die nationale Spitzenkandidatur bei den Kammerwahlen als auch die Parteipräsidentschaft und das Generalsekretariat doppelt und paritätisch zu besetzen. Bei den Parteiämtern müssen jeweils beide Kandidat/innen als Paar antreten. Bevor Elisabeth Margue und Stéphanie Weydert, die bereits auf dem ordentlichen Parteikongress Ende April zu Stellvertreterinnen von Präsident Wiseler und Generalsekretär Christophe Hansen designiert worden waren, sich zur Wahl stellen können, gilt es aber noch, einige „Hürden zu überspringen“. Margue und Weydert sind nämlich im Frëndeskreess-Prozess um den mutmaßlich rechtswidrigen Arbeitsvertrag des früheren Parteipräsidenten Frank Engel wegen Escroquerie und Abus de confiance mit angeklagt, genau wie Félix Eischen, André Martins Dias, Georges Pierret und Georges Heirend (letzterem wird „nur“ Abus de confiance vorgeworfen). Die auf drei Tage angesetzte Verhandlung beginnt am 19. Oktober, bis ein Urteil gesprochen wird, könnten anschließend noch einige Wochen vergehen. Erst nach einem möglichen Freispruch sollen Margue und Weydert auf einem weiteren außerordentlichen Kongress bestätigt werden und die Verjüngung der Parteispitze kann endlich abgeschlossen werden.

Die personelle Erneuerung in der Kammerfraktion gestaltet sich fast noch schwieriger. Am Samstag wurde erneut wiederholt, dass das daran liege, dass die CSV in der Opposition sei. Wie es trotzdem funktionieren kann, hat Françoise Hetto-Gaasch (61) gezeigt, die vor drei Wochen ihr Mandat dem Nächstgewählten im Ostbezirk, Max Hengel (44), überlassen hat. Die Parteiführung würde sich wünschen, dass solche Wechsel auch in anderen Bezirken möglich seien, doch Ali Kaes (66), Viviane Reding (70) und Jean-Marie Halsdorf (64) wollen dem Vernehmen nach nur ungern vorzeitig auf ihr Mandat verzichten, um den Weg für Jeff Boonen (36), Elisabeth Margue (31) und Laurent Zeimet (46) frei zu machen.

Seit dem Weggang von Jean-Claude Juncker hat die CSV beständig an Zustimmung verloren, bei den letzten Umfragen von Wort und RTL kam sie nur noch auf 24,6 Prozent und 17 Sitze. Wenn dieser Trend bis 2023 anhält, könnte die CSV zum ersten Mal seit 1964 nicht stärkste Partei in Luxemburg werden. Die Wahlniederlage von CDU und CSU bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag dürfte nicht dazu beitragen, dass dieser Abwärtstrend gebrochen werden kann.

Luc Laboulle
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