Die kleine Zeitzeugin

Die Schönen und das Biest

d'Lëtzebuerger Land du 27.10.2017

Das Bild eines überheblichen, übergewichtigen Mannes geht derzeit um die Welt. Etwas Schweinisches geht von ihm aus, das darf ich durchaus sagen. Das wird frau ja wohl noch sagen dürfen, denn es handelt sich um einen Mann.

Um einen bösen Mann. Um den Inbegriff des Bösen, zumindest des momentanen, IS hat gerade Tiefkonjunktur. Und weil viele, die das Sagen haben, und nicht nur das Meckern und Murren, das momentan sagen. Über den Triebtäter und Betriebstäter, den im Bürobetrieb und im Kunstbetrieb und in all den Getrieben. Der Mann. Als hätten wir es nicht immer gewusst. Aber jetzt sollen es alle wissen.

Das angeprangerte Abbild des Mannes prangt auf allen Kanälen, er wird von den Schwestern angespuckt, man nennt sie mutig, immer mehr kommen und spucken das Götzenbild an. War er nicht eben noch ein Gott oder Abgott? Mir wird mulmig bei diesem mittelalterlichen Ritual. Balance ton porc!, heißt es in Frank-

reich, die französischen Feministinnen lieben es seit jeher deftig. Und warum schlage ich mich nicht gleich und vollmundig auf die Seite der Schwestern und zeige auf und sage: Ich auch! Ich auch? Wobei, ähm, was genau ich auch, oder mich auch? Reden wir von Gewalt, echter, also Vergewaltigung? Oder von Nötigung, Machtmissbrauch, allem zusammen? Oder von Belästigung? Und was ist Belästigung genau? Welcher Mensch wurde noch nicht belästigt oder hat noch nicht belästigt? Ab wann ist der Junge, der sich unbeholfen an ein Mädchen heranmacht, ein Belästiger? Warum schrecke ich zurück, wenn die Sau durchs virtuelle Dorf getrieben wird? Warum reagiere ich zugleich abgebrüht und mütterlich? Warum überkommen mich mütterliche Reflexe, wenn ein Politiker aus einem anderen Jahrtausend nachts an der Bar ein Dirndl-Dekolletee verbal ansabbert und damit einen Aufschrei auslöst? Und zwar dem Unhold, Saufbold, antiken Relikt gegenüber? Wenn der Chefredakteur einer Zeitung fristlos entlassen wird, weil er einer jungen Journalistin, die sich eine Festanstellung erhofft, eine SMS mit schmierigen Avancen schickt. Wie anstrengend muss das alles sein, vom Trieb getrieben, dauernd diese Erektionen, diese Naturkatastrophen, ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.

Männerversteherin, Männerverharmloserin, Mittäterin, Kollaborateurin? Oder grübelgrübel Gerontophilie, Solidarität mit der eigenen Degeneration? Advocatae Diaboli? Trivial Trollin? Etwas Verdrängtes, leide ich am Stockholm-Syndrom?

Die Männer machen einer genug Sorgen in der letzten Zeit, das Geschlecht, das bei Pisa schlecht abschneidet und immer die Falschen wählt. Wenn sie weiß sind und alt sind, ganz schlecht. Wenn sie jung sind und schwarz, noch mehr schlecht. Es ist primitiv antiquiert, sie kommen nicht mehr ganz mit, sind Patriarchen und Höhlengummibären und lächerliche Kriegshelden. Zugleich Computernerds, Nulltasker, Weicheier. Aber dann, haha, Scherz!, erstehen an allen Fronten die jungen, geschmeidigen Männer wieder auf, in perfekt geschnittenen Anzügen.

Dann sind sie auch noch mitten unter uns! Die Crux ist, sie sind sehr oft über uns, kleiner Herrenwitz nebenbei. Und jetzt ist auch noch das Europaparlament eine „Brutstätte sexueller Belästigung“, wie eine Abgeordnete formuliert hat. Die sterile Machtzentrale der grauen Herren, wer hätte das nicht gedacht? Kommt es jetzt zu einem Grauen-Köpfe-Rollen? Die Herren können froh sein, dass wir keine Scharia haben, die mit dem Corpus Delicti kurzen Prozess macht, kichert der Club der Teufelinnen.

Also kein Gegrabsche mehr und keine SMS-Sexnotrufe und keine Anzüglichkeiten der Anzugträger, keine witzlosen Witzchen und bitte Abstand im Aufzug zur Chefinnenetage. Keine Untergrenze wird mehr unterschritten. In den zivilisierten Medien kommt es zu Selbstbezichtigung und Bekehrung, Mea Culpa, Nie wieder, zu Vorschlägen zur Verkehrsregelung, How I will change. Junge Männer geloben, keine geilen, alten Böcke zu werden, süße, junge Männer, will ich gerade schreiben.

Sicher ist das sexistisch? Und könnte die letzte Bemerkung vielleicht als zynisch aufgefasst werden?

Ich glaube, I will never change.

Aber das ist ja nicht so schlimm. Bin ja kein Mann.

Michèle Thoma
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