Portugiesische Privatschule

Notausgang

d'Lëtzebuerger Land du 22.05.2008

„Ich kann es nicht mehr hören“, entrüstete sich eine portugiesische Mutter am Dienstagabend auf der Kon­ferenz École de demain an der Uni Luxemburg in Walferdingen. Trennung sei keine Lösung, hielt sie zornig einem Petinger Lehrer entgegen. Der hatte angesichts massiver Leistungsdefizite gefordert, Schüler in Préparatoire-Klassen nochmals in stärkere und schwächere Lerngruppen zu unterteilen. 

Mit ihrer Wut und Empörung über die „immer gleichen“ Antworten der öffentlichen Schule steht die portugiesische Konferenzteilnehmerin nicht allein. Der Unmut der rund 40 Prozent Migranten in Luxemburg über das hiesige Schulsystem wächst und hat nun den größten privaten Bildungsanbieter aus Portugal, die Grupo Lusófona, auf den Plan gerufen. Deren Präsidentin Teresa do Rosário Damásio hatte im März Luxemburg besucht, um mit ihren Landsleuten und dem Ministerium über die Möglichkeit einer portugiesischsprachigen Privatuniversität zu beraten. Überwältigt von der Flut elterlicher Klagen über das hiesige Schulsystem wurde der Plan kurzfristig geändert, keine Uni, eine Schule für die Fünf- bis 18-Jährigen soll es nun werden. 

Ein pädagogisches Konzept für die Privatschule gibt es noch nicht. Fest steht lediglich, dass sich der Unterricht am ersten, zweiten und dritten Zyklus in Portugal anlehnen soll und Luxemburgisch, Französisch und Deutsch als Fremdsprachen unterrichtet werden sollen. „Das Angebot könnte denjenigen helfen, die im dreisprachigen Luxemburger Schulsystem auf der Strecke bleiben“, fasst Mili Tasch-Fernandes von der Confédération de la communauté por­tugaise à Luxembourg (CCPL) die Hoffnung vieler portugiesischer und kapverdischer Eltern zusammen. 

Eine trügerische Hoffnung, warnt die Asti, in deren Reihen sich ebenfalls etliche Portugiesen befinden. In einer Pressemitteilung nennt die Einwandererorganisation die Überlegungen „une réponse inadéquate à une véritable question“. Das Recht der Portugiesen, eine Privatschule zu gründen, stellt sie selbstverständlich nicht in Frage, davon haben neben Franzosen (Lycée Vauban), Engländer (Saint George) und Ame­rikaner (International School of Luxembourg) auch schon Japaner in den 90-er Jahren Gebrauch gemacht. Die Träger müssen sich lediglich an Luxemburgs Gesetz halten. Eine Lösung auf die Nöte des luxemburgischen Schulsystems sei die Initiative dennoch nicht, so die Asti weiter, die neue Schule riskiere „de devenir un ghetto payant (...), qui contribuera à cimenter l’impasse sociale pour celles et ceux qui pourraient se la payer“.

Das sind starke Worte – und ist wohl  etwas übertrieben. Nichts spricht da­gegen, dass in der geplanten Schule nicht auch Kinder aus sozial benachteiligten Schichten unterkommen, sei es über Stipendien oder Freistellungen. In der portugiesisch­sprachigen Tageszeitung Contacto hatte Lusófona-Präsidentin Damasio ent-sprechende Überlegungen be­reits angekündigt. Bei der Europaschule, der International School of Luxembourg und dem Lycée Vauban sorgt sich überdies auch niemand um eine Ghettoisierung der Schüler. 

Der Unterschied zum Vorhaben der Grupo Lusófona sei, dass sich das Angebot der anderen Privatschulen in erster Linie an Familien richte, die nur vorübergehend im Land bleiben, gibt Siggy König, Erster Regierungsbeamter aus dem Un­terrichtsministerium, zu bedenken. Das stimmt nur bedingt: Nicht wenige Schüler der Europaschule haben Eltern, die früher selbst dort die Schulbank gedrückt haben. Manche von ihnen le­ben und arbeiten seit Jahrzehnten in Luxemburg. Womit auch die von Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) vor zwei Wochen geäußerte Befürchtung, fehlende Luxemburgischkenntnisse würden die Integration erschweren, zumindest bei Kindern der Bildungseliten relativiert wäre. 

Überhaupt fällt auf, dass sich plötzlich alle Welt Sorgen um die Integration der Einwanderer macht – aber weniger um die Verantwprtung der öffentliche Schule. Dass sie die Kluft zwischen Arbeiter- und Migrantenkinder auf der einen und luxemburgischen Mittelschicht-Kindern auf der anderen Seite vertieft, hat mit Pisa 2006 bereits die dritte Bildungsstudie eindeutig belegt. Ebenso bekannt ist, dass ein Großteil der Schüler, denen die höhere Schullaufbahn verwehrt bleibt, an ungenügenden Deutschnoten scheitert und Fördermaßnahmen zu wünschen übrig lassen. In den Förderkursen im Primärunterricht sitzen mehrheitlich Ausländer, der Anteil an Hilfslehrer ist dort mit 36 Prozent besonders groß. Ähnlich trist ist das Bild in den classes d’accueil für primo arrivants, von denen aber niemand gesichert sagen kann, was sie wirklich bringen.

Dass ausländische Eltern angesichts dieser Dauer-Missstände das Vertrauen in die öffentliche Schule verlieren und ihre Kinder lieber auf Privatschulen oder ins benachbarte Ausland schicken, ist da völlig nachvollziehbar. „Wir möchten die besten Chancen für unsere Kinder“, betont Mili Tasch-Fernandes von der CCPL. Insgesamt gingen 2004/2005 rund 3 500 luxemburgische und ausländische Schüler jenseits der Grenzen zur Schule, fast vier Prozent der Gesamtschülerpopulation. In Luxemburg selbst erfreut sich außer dem Lycée Vauban die portugiesische Sektion der Europaschule regen Zulaufs; und wahrscheinlich würden noch mehr Eltern vom Angebot Gebrauch machen, wenn sie zu den privilegierten EU-Beamten gehörten und sie die Schulgebühr von 3 500 Euro jährlich pro Kind (Primärschule) bezahlen könnten. Das Gros der portugiesischen und kapverdischen Zunwanderer stellen Arbeiter mit niedrigem Einkommen. Ihnen bleibt als Alternative höchstens die staatlich subventionierte katholische Mädchenschule Fieldgen, nicht nur unter Portugiesen ein Geheimtipp, weil die dortigen Allet-Klassen schon so mancher Tochter zum Abitur verholfen haben – oder die öffentliche Schule. Die Spaltung der Gesellschaft ist längst da.

Vier Jahre nach Amtsantritt tut sich Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) noch immer schwer, ihr Versprechen von mehr Bildungsgerechtigkeit einzulösen: Neben einer Generalüberholung des 1912-er-Grundschulgesetzes und dem neuen Sprachen-Aktionsplan ist die Einführung von Kompetenzen ihre größte Reform. Bloß was nützt Migrantenkindern ein kompetenzorientierter, differenzierter Unterricht, wenn am Ende noch immer die schriftliche Note im Deutschen darüber entscheidet, ob sie später das Abitur machen können oder nicht? Die Gewichtung der Noten im Sprechen, Schreiben, Lesen und Textverstehen bestimmen die Programmkommissionen, sagte Delvaux-Stehres auf einer Pressekonferenz vor zwei Wochen.

Auch der Sprachen-Aktionsplan wirft grundlegende Fragen auf. Das Ministerium will den Sprachenunterricht verbessern, allerdings un-ter einer Prämisse: An den Grundfesten der Mehrsprachigkeit, mit Luxemburgisch, Französisch und Deutsch eher als Dreisprachigkeit definiert, darf nicht gerüttelt werden. So wichtig ist der Regierung dss Anliegen, dass sie es mit den Fakten nicht so genau nimmt. Im kürzlich veröffentlichten Leitfaden für den kompetenzorientierten Sprachen­un­terricht an Luxemburger Schulen heißt es unter Berufung auf Pirls und Pisa, die Probleme des Luxemburger Schulsystems seien „nicht ursächlich durch die Situation der Mehrsprachigkeit verursacht“. Weshalb das Ministerium und die von ihm beauftragten Wissenschaftler, die Förderung des Luxemburgischen als „schulische und soziale Integrationssprache“ in Kindergarten und Vorschule propagieren. 

Übersehen wird dabei, dass die wissenschaftlichen Befunde so eindeutig nicht sind: Sowohl Pisa als auch Pirls nennen die Mehrsprachigkeit und ihre „Handhabung“ (Pisa 2006, Seite 34) als eine der Ursachen für den schulischen Misserfolg insbesondere von Ausländer- und Arbeiterkindern. Ausgerechnet ihnen hilft die (Früh)-Förderung ziemlich wenig: Portugiesische Grundschüler erzielten in der Lesestudie Pirls deutlich schlechtere Resultate als der Durchschnitt, ganz gleich, ob sie die Vorschule besucht hatten oder nicht. Was wiederum Wasser auf die Mühlen der Kritiker der aktuellen Sprachenpolitik ist. Für die Sprachwissenschaftler Kristine Horner und Jean-Jacques Weber bleibt die alte – unbequeme – Frage deswegen topaktuell: ob mit einer Alphabetisierung auf Französisch romanophonen Kindern nicht besser geholfen wäre.1

Ähnlich kritisch äußert sich Bildungsforscher Romain Martin über den jetzigen Sprachenunterricht: Es sei wissenschaftlich nach wie vor nicht erwiesen, „welche Alphabetisierung für welche Kinder die bessere ist“. Dagegen seien die schulischen Selektionsmechanismen, die Zuwanderer- und Arbeiterkinder diskriminieren, allesamt bekannt, dazu zähle neben der Orientierung auch der deutschlastige Sprachenunterricht. „Jetzt muss es darum gehen, diese Mechanismen zu ändern“, schlussfolgert er. 

Doch dafür müsste sich die schwarz-rote Koalition zunächst einmal einigen, welche Bedeutung sie welchen Sprachen beimisst, was sie überhaupt unter Integration versteht – und wie sie selbst zu derem Gelingen beitragen will. An die Immigranten sendet die Regierung nicht nur mit  verlängerten Fristen bei der Einbürgerung widersprüchliche Signale: Wenn die „wahre Muttersprache“ der Luxemburger die Mehrsprachigkeit ist, wie es die Autoren des Sprachen-Aktionsplans behaupten, und wenn es wirklich darum geht, alle Sprachen gleichwertig nebeneinander zu stellen sowie die Muttersprachen der zugewanderten Neu-Luxemburger stärker zu valorisieren, ist nicht nachzuvollziehen, warum an der einheitlichen Alphabetisierung auf Deutsch so erbittert festgehalten wird. 

Zumal auf dem globalisierten Arbeitsmarkt zunehmend Französisch- und Englischkenntnisse verlangt werden und die meisten Grenzgänger ohnehin nur ein oder zwei der drei offi­ziellen Amtssprachen Luxemburgs sprechen. Die Diskussion um den congé linguistique, der eine Freistellung der Arbeitnehmer nur für Luxemburgisch-Kurse vorsieht, zeigt, dass es mit der „muttersprachlichen Mehrsprachigkeit“ nicht weit her sein kann. Es war Ex-Bildungsministerin Anne Brasseur (DP), die sich die wahlweise Alphabetisierung auf Deutsch oder Französisch als erste auf die Fahne schrieb. Leider fand sich damals keine Gemeinde, die bereit gewesen wäre, das Experiment einer Alphabetisierung auf Französisch zu versuchen. Brasseurs  Nachfolgerin hat die Idee in der Form bisher nicht aufgegriffen.

„Es muss dringend etwas geschehen“, so der verzweifelte Appell der portugiesischen Konferenzteilnehmerin in Walferdingen an die politischen Verantwortlichen. Den allerneusten Vorstoß der Rechtspartei ADR, Einwandererkinder ein Jahr lang in speziellen Luxemburgisch-Klassen für das hiesige Schulsystem zu trimmen, hat sie aber sicherlich nicht gemeint. 

1Kristine Horner und Jean-Jacques Weber, "The Language Situation in Luxembourg", in: Current Issues in Language Planning, Vol. 9, Nr. 1, 2008

Ines Kurschat
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