Arbeitszeiten der Lehrer

Schlacht der Worte

d'Lëtzebuerger Land du 06.04.2006

Die Diskussion hat kaum begonnen, da scheint sie auch schon wieder zu Ende zu sein. Am 23. März hatte Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres die Gewerkschaften eingeladen, um mit ihnen über das zukünftige Lehrerprofil und damit verbundene Änderungen der Lehrer-Tâche zu beraten (d’Land vom 10. März). Sie wolle zunächst mit dem Sozialpartner reden, hatte Delvaux-Stehres vor dem Treffen betont und neugierige Anfragen der Presse daher stets abgewehrt. Man werde sich erst äußern, wenn die Vorstellungen und Vorschläge beider Parteien auf dem Tisch lägen; das sei frühestens beim nächsten, für den 3. Mai anberaumten Treffen der Fall. Alles Beschwören des Dialogs hat offenbar doch nichts genützt: Keine zwei Wochen später beschuldigen sich Ministerium und Gewerkschaften gegenseitig eines unfairen Verhaltens.

Dass das Lehrerprofil, eine Art Job-description für die Sekundarschullehrer, und die tâche zusammengehören und darum gemeinsam diskutiert werden sollen, hatte das Ministerium schon vor fast einem Monat vorgegeben. Wenn Lehrer nicht nur Wissensvermittler sind und Schule mehr sein soll als nur Unterricht, müsse man zwangsläufig auch über die Gestaltung der Arbeitszeit reden, sagte sie damals dem Land. Ähnlich steht es im schwarz-roten Regierungsabkommen: „L’amélioration du fonctionnement de l’école et de l’épanouissement professionnel de l’enseignant requièrent une redéfinition essentiellement qualitative de la tâche de l’enseignant.“ Erzieherische Aufgaben, die Zusammenarbeit mit den Eltern und die obligatorische
Weiterbildung sollten im Rahmen einer „approche qualitative“ berücksichtigt werden. Über eine quantitative Änderung der Arbeitszeit verliert das Abkommen indes kein Wort – und doch hatte die Ministerin in der Unterredung mit den Gewerkschaften genau diese auch in Aussicht gestellt. Angesichts des Lehrermangels müsse man den Ministerbeschluss von 1965 (lèttre ministerielle), der Vollzeitlehrern eine Stunde zur Fortbildung einräumt, eine weitere, an die Dienstzeit gebundene freie Stunde sowie die Koeffizienten-Regelung überdenken.

Die Gewerkschaftsvertreter, ganz gewerkschaftlich und ziemlich sauer, mobilisierten daraufhin die Basis und forderten die Lehrer auf, über die Pläne der Ministerin abzustimmen. Deren qualitative Änderungsvorschläge ignorierten sie in ihrem kampfesfreudigen Aufruf freilich fast vollständig. Delvaux-Stehres konterte mit einem Brief an alle Lyzeen, worin sie den Vertretern der Intersyndicale eine unvollständige Berichterstattung vorwirft und die ihrer Meinung nach zu kurz gekommenen Qualitätsüberlegungen erläutert. Was wiederum die Gewerkschaften erboste: Mit scharfen Worten weisen sie die „Anschuldigungen“ in ihrem Antwortbrief zurück, von mangelnder Dialogbereitschaft und Drohungen ist die Rede – und einmal mehr vom Versprechen, alles zu tun, um die „tentative de démantèlement massive d’éléments constitutifs de la carrière des professeurs“ zu verhindern.

Die Unterstützung der meisten Lehrer ist ihnen sicher: Laut Intersyndicale äußerten sich auf 2 183 abgegebenen Stimmzettel 98,8 Prozent gegen die Vorschläge.

Der große Zorn der Gewerkschaften hat aber nur vordergründig mit dem Gesprächsverlauf im Ministerium zu tun, die Ursachen dafür liegen tiefer. Immer wieder hatten die Verbände vor dem anhaltenden Lehrermangel gewarnt und das Ministerium aufgefordert, bedarfsgerecht einzustellen (d’Land vom 17. Februar). Die Politik reagierte in gewohnter Manier: Sie unternahm all die Jahrzehnte nichts. Lieber schraubte der Staat die Überstunden hoch und stellte weitere Lehrbeauftragte ein, die wegen der befristeten Verträge oft mehrere Jahre über ihre berufliche Zukunft im Ungewissen blieben; dies, um Kosten zu sparen. Erst als das nicht mehr ging, weil Richter die illegale Praxis verurteilten, legte die jetzige Ministerin ein Gesetz vor – um die Situation der Lehrbeauftragten wenigstens zu regularisieren.

Es sind diese drastischen Fehlplanungen ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger, die der LSAP-Politikerin nun um die Ohren zu fliegen drohen. In seiner März-Ausgabe des Newsletter Edunews berichtet das Unterrichtsministerium selbst, dass allein im ersten Trimester des laufenden Schuljahrs mehr als 12 000 Förderkursmaßnahmen (remédiation) in den Lyzeen erfolgten, darunter 6 800 Arbeiten, die von engagierten Lehrern zusätzlich korrigiert werden mussten. Deren Belastung ist schon jetzt enorm. Einen schlechteren Zeitpunkt für eine Diskussion um Arbeitszeitverlängerung hätte sich die Politik kaum aussuchen können.

Hinzu kommt, dass die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen in den vergangenen Jahren zumindest offiziell nie ein Thema war. Zwar hat das Ministerium vor zwei Jahren damit begonnen, die Bildungskosten endlich in einer übersichtlichen Statistik
zusammenzufassen (www.script.lu). Doch darüber, dass das Luxemburger Bildungssystem im internationalen Vergleich und gemessen am Ergebnis, teuer oder nicht ausreichend effizient sein könnte, wurde bisher nicht geredet. Sogar jetzt, wo zunehmend Kostenargumente für tief greifende Änderungen ins Feld geführt werden, liegen noch immer keine offiziellen Angaben über Ausgaben für künftige Schwerpunktsetzungen und geplante Einsparungen vor, und dies gilt nicht nur für den Bildungssektor. Derweil pilgert der Budgetminister mit dem Klingelbeutel durch die Ministerien. Da wundert es nicht, wenn von Gewerkschaftsseite geargwöhnt wird, die Regierung wolle sich auf Kosten der Lehrerschaft gesund schrumpfen. Deren hohe Gehälter und lange Ferien eignen sich schließlich gut für populistische Sparkampagnen.

Dabei gerät aus dem Blick, dass sich im hiesigen Schulwesen tatsächlich einiges verbessern ließe – und auch verbessern muss. Viele wollen zwar immer noch nichts davon hören, aber das System steht unter Druck. Seine Resultate – nicht nur die
internationalen wie Pisa, sondern auch jene eigener nationaler Untersuchungen – sind schlecht und aus sozialer Sicht skandalös ungerecht. Wie sehr eine andauernde (Aus-)Bildungskrise und über Jahre auf die lange Bank geschobene, überfällige Schulreformen den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden, lässt sich derzeit in Deutschland und Frankreich beobachten.

Das ist auch der Grund, warum beim Streit um die tâche nicht nur das Unterrichtsministerium seine nächsten Worte und Schritte gut überlegen sollte; es geht um viel mehr als die tâche. Auch die Lehrer und ihre Vertretungen täten gut daran, sich zumindest
den qualitativen Argumenten nicht von vornherein zu versperren. Zumal sie dabei gewinnen könnten. Die in Luxemburg vorherrschende Unterrichtsmethode, der Frontalunterricht, ist, wird er als alleinige Methode angewandt, wenig effektiv und zugleich die anstrengendste Art des Unterrichtens. Lehrer müssen ständig geistig präsent sein, Schüler sind häufig gelangweilt
oder kommen nicht mit. Schüler ermuntert die Unterrichtsform kaum, eigenständig nach Lösungen zu suchen. Weshalb Erziehungswissenschaftler ihr nur eine begrenzte pädagogische Wirkung attestieren. Dass der Unterricht an vielen Schulen zudem zunehmend auf den Vormittag und den frühen Nachmittag begrenzt ist und die Unterrichtsstunden mit 50 Minuten relativ
kurz sind, verstärkt den Stress, denn es bleibt kaum Zeit für alternative Unterrichtsformen. Von den arbeitsaufwändigen
zahlreichen Prüfungen einmal abgesehen.

Auch wenn sie am Anfang mehr arbeiten und die Unterrichtsvorbereitungen noch nicht alle in der Schule geschehen – die Lehrer am Neie Lycée bereuen nach eigenen Aussagen ihre verstärkte Präsenz in der Schule nicht. Die Aussicht auf mehr Spaß am Lehren und Lernen, auf mehr Zeit für die Schüler und auf einen besseren Unterricht sind auch die Motive, warum sich vor kurzem in Esch acht Lehrer zu einem alternativen Ganztags-Primärschulprojekt zusammengetan haben.

Die Gewerkschaften haben auf derlei reformpädagogische Ansätze und damit verbundene verlängerte Präsenzzeiten stets mit Skepsis, teils sogar mit offener Ablehnung reagiert. Wie aber ist ein anderer Unterricht, eine andere Schule möglich, wenn dafür kein Raum und keine Zeit geschaffen werden?

Was sind – neben der Politik – die Lehrer bereit, beizutragen? Die Frage haben die Gewerkschaften bislang nicht beantwortet. Es ist sicher kein Zufall, dass selbst fortschrittliche Gewerkschafter zwar Reformen à la Finnland fordern, die Frage nach der Arbeitszeit und dem Status skandinavischer Lehrer jedoch immer ausgeklammert haben. An der Antwort auf diese Frage misst sich aber nicht nur die Bereitschaft der Gewerkschaften zu Schulreformen, sondern letztlich ihre Glaubwürdigkeit.

Dass reformwillige Lehrer an einer Diskussion um die Arbeitszeit nicht herumkommen, meint auch Achim Albrecht*, pädagogischer Leiter der Offenen Schule Waldau und zwölf Jahre stellvertretender Bundesvorsitzender der größten deutschen Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): Eine Debatte um eine grundlegende Bildungsreform, die den Status der Lehrer ausspart, vergesse ein wichtiges Feld. Damit sich die Qualität der Schulen verbessern kann, brauche es aber eine echte „Kultur des Aushandelns von Aufgaben und Arbeitsbedingungen zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften“. Bis dahin, das zeigen die aktuellen Auseinandersetzungen, ist es noch ein weiter Weg.

* Achim Albrecht, "Wie ernst meinen wir es mit der Bildungsreform?", Die Deutsche Schule, Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Bildungspolitik und pädagogische Praxis, 4/2002. Herausgeber: GEW im DGB, Frankfurt am Main

Ines Kurschat
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