In Not Time To Die ist James Bond nur mehr ein Schatten im Totenreich seiner eigens nach ihm betitelten Filmreihe

Das Ende

d'Lëtzebuerger Land vom 08.10.2021

No Time To Die – wohl kaum ein Filmtitel dieser nun fast sechzig Jahre andauernden Reihe beschreibt seinen Helden treffender: James Bond, dieser unsterbliche Agent, geboren im Kalten Krieg, bestreitet unter der Regie von Cary Fukunaga sein mittlerweile fünfundzwanzigstes Abenteuer. Wahrlich, Bond war seit seinem ersten Auftritt in Dr. No (1962) schlichtweg zu beschäftigt, um zu sterben – immerhin geht es auch in diesem Abenteuer um nichts anderes als die Rettung der Welt. Deshalb ist auch der idyllische Ruhestand, den Bond in Italien genießt, schnell wieder vorbei. Sein ehemaliger Kollege bei der CIA, Felix Leiter (Jeffrey Wright), bittet ihn um Hilfe, einen gefährlichen russischen Wissenschaftler ausfindig zu machen, der im Auftrag des größenwahnsinnigen Safin (Rami Maleck) agiert, und es ist dieser Safin, der danach trachtet, die Welt in ein fürchterliches Chaos zu stürzen...

Wir wissen seit Casino Royale (2005), dass der Daniel-Craig-Bond doch eigentlich ein Mensch wie du und ich ist, der sich nichts sehnlicher wünscht als eine ganz und gar friedvolle, bürgerliche Existenz. Nichts ist weniger utopisch. So stellt sich denn auch heraus, dass die mysteriöse Madeleine (Léa Seydoux), die noch in einer allzu trügerisch-heilvollen Geste am Ende von Spectre (2016) mit Bond im Aston Martin davonfährt, eine ganz zwielichtige Person ist, die Bond das Herz bricht. Der von Billie Eilish interpretierte Titelsong ist in dieser Hinsicht vielsagend. Seit Casino Royale (2005) dürfte diese Wendung kaum überraschen, es ist nur noch mehr Seelenpein für diesen ohnehin schon gemarterten Agenten (d’Land vom 4.12.2020). Und diese Romanze lässt No Time To Die stärker als irgendein anderer Bond-Film in die Gefilde des Melodramas abdriften; mit einem Super-Agenten-Film, der immer schon in seiner Essenz auf Superlativen gründete und ohne überdeutliche Ironie überhaupt nicht auf der Leinwand funktionieren könnte, hat dieser Film nur mehr wenig gemein. Wenn mit Skyfall (2012) die Grabsteine der Eltern Bonds ins Bild gesetzt werden, dann hat er zweifelsohne einen Ursprung, und wer einen Anfang hat, hat auch ein Ende. No Time To Die – ja, die Lüge steckt bereits im Titel.

Und darin liegt die Krux und gleichzeitig die letzte Konsequenz in dieser narrativen Sackgasse, die mit No Time To Die nun endgültig erreicht ist. Er schließt die Filme der Craig-Reihe ab und lässt ebenso auf einen Abschluss der Formel „Bond als Mensch“ in Aussicht stellen, folglich könnte er 007 – der Titel ist insofern ausblickend bedeutsam – für weitere Abenteuer wieder unsterblich machen. Bond war nie Mensch, durfte es nie sein, wie sonst konnte er über entsprechend viele Jahre als Projektionsfläche für derart viele Männer- und Frauenfantasien herhalten? Wie sonst konnte er sich so grazil am Puls der Zeit bewegen? Um es lapidar zu sagen: Wenn James Bond sich die Zähne putzt oder obendrein noch im Dienste der Kinderküche agiert, dann ist das Ende nahe.

„Continuity and change“ – so bringt James Chapman den Erfolgsfaktor der Reihe auf den Punkt1. Hier nun aber kommen sich die Anforderungen des „change“ und des „continuity“ unrettbar in die Quere.

Nachdem Christopher Nolan seinem Publikum mit John David Washington in Tenet bereits den schwarzen männlichen Bond gegeben hat, kennzeichnet No Time To Die das Erproben identitätspolitischer und allzu pseudofeministischer Geschlechtervarianz. Es ist die schwarze Agentin Nomi (Lashana Lynch), die den Doppelnull-Status und damit die Lizenz zum Töten errungen hat. Seit zwei Jahren nun ist sie im Dienste ihrer Majestät tätig. Überhaupt will der Film mit Bond abrechnen, er wirkt wie aus der Zeit gefallen, ja sein Name scheint in Vergessenheit zu geraten. Der Film verhält sich wie im Konflikt mit sich selbst und dem Darsteller Daniel Craig, und mit dem Männlichkeitsbild, das er verkörperte und welches nun korrigiert werden muss. Bond wird gleichsam von den Faktoren des Zeitgeistes, die für die Reihe immer schon konstitutiv waren, ins Abseits gedrängt. Er ist nur mehr ein Schatten im Totenreich seiner eigens nach ihm betitelten Filmreihe.

1 Chapman, James (2007): Licence To Thrill. A Cultural History of the James Bond Films. London: I.B. Tauris

Marc Trappendreher
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