Der (noch) unbekannte Tonnar

d'Lëtzebuerger Land vom 26.08.2022

Manuel Tonnar weilt diese Woche in Tunesien. Auf Mission ist der Leiter der Direction de la coopéra-tion au développement et de l᾽action humanitaire dort nicht; mit seiner Ehefrau Nathalie und seinen beiden Kindern macht er ganz normal Urlaub. Nach den Ferien wird er die Leitung der Lux-Development SA übernehmen. Der jüngere Bruder des Musikers Serge Tonnar, ältere Bruder des Filmemachers Yann Tonnar und Onkel des Rappers Tun Tonnar ist mit 51 nur zehn Jahre jünger als sein Vorgänger Gaston Schwartz, der am 31. August in Rente geht. Neuer Direktor im Kooperationsministerium wird der LSAP-Politiker und Staatsratspräsident Christophe Schiltz (43), der seit Februar 2020 Generalkoordinator von Ressortminister Franz Fayot (LSAP) ist.

Gegründet wurde Lux-Development 1978 als Ergänzung zum 1961 geschaffenen Office du Du-croire. Luxemburg litt damals unter der Stahl- und Ölpreiskrise, das Wirtschaftswachstum ging zurück. Um mit staatlicher Unterstützung neue Absatzmärkte in Drittstaaten zu erschließen, fanden sich Fedil, Handels- und Handerwerkammer und rund 25 Unternehmen nach dem Vorbild der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit in einer Sàrl. zusammen. Der Staat war durch die Société nationale de crédit et d‘investissement (SNCI) beteiligt. Vordergründig ging es darum, einen Beitrag zur Entwicklungshilfe zu leisten, worauf Luxemburg bis dahin größtenteils verzichtet hatte. Lux-Development hatte die Aufgabe, „erauszefannen op wat fir engem Marché eppes fir d᾽Lëtzebuerger Entreprisen dran ass“, erklärte Paul Helminger (DP), damals Staatssekretär im Außenministerium, bei einer Kammerdebatte im Oktober 1980. Als Gegenleistung für „Cadeauen“ in Form eines „gréissere Volume vun Aide au développement“ wollte Luxemburg wissen, „ob net iergendwéi eppes an dem Land gemaach gëtt wat fir ons kënnt interessant sinn“. Die großen Nationen täten das schließlich auch.

Das Unterfangen hatte nur mäßigen Erfolg: Arbed und Paul Wurth waren nicht auf Lux-Development angewiesen, um global zu expandieren; BIL, Banque Générale und Kredietbank wegen dem sich prächtig entwickelnden Bankenplatz ebenfalls nicht; mittelständische Unternehmen wie Elco, A&P Kieffer, TR-Engineering oder Luxconsult hatten auf dem nationalen Markt eigentlich genug zu tun. Entkolonialisierung, Globalisierung und das Engagement einer erblühenden NGO-Szene haben in den 1990-er Jahren die Vorstellung von Entwicklungshilfe verändert. Nach Beanstandungen der EU-Kommission wegen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen ohne Ausschreibung wandelte der Staat unter Außenminister Jacques Poos und Staatssekretär Georges Wohlfahrt (beide LSAP) 1998 Lux-Development in eine Aktiengesellschaft um und übernahm zwei Drittel der 400 Anteile. Nach einem Audit von KPMG wurde der Staat 2004 unter DP-Minister Charles Goerens alleiniger Anteilseigner, der Verwaltungsrat wurde mit ranghohen Beamten besetzt, Handwerker- und Handelskammer stellen bis heute nur noch jeweils einen Vertreter, genau wie der Cercle de coopération des ONGD, OGBL und LCGB. Gleichzeitig wurde der Betrag, den Luxemburg für die Aide publique au développement (APD) ausgibt, kontinuierlich erhöht. Betrug ihr Anteil am Bruttosozialprodukt 1985 noch 0,14 und zehn Jahre später 0,33 Prozent, liegt er seit 15 Jahren bei rund einem Prozent.

Nach der staatlichen „Übernahme“ konnte Lux-Development sich als internationaler Akteur etablieren, ist inzwischen auf europäischer Ebene gut vernetzt, führt Aufträge für die EU-Kommission, Dänemark, die Niederlande und die Schweiz aus. Auch personell hat sie sich stabilisiert. Nachdem der einst im Iran und Kongo tätige, wirtschaftsnahe Entwicklungshelfer Ferdinand A. Koos ab 1992 die Agentur als Direktor professionalisiert hatte, blieben seine Nachfolger – der Ingenieur und DP-Mitglied Eugène Rausch (2002-2003) sowie der LSAP-nahe, frühere hohe Beamte im Kulturministerium, Raymond Weber (2003-2007) – nur wenige Jahre im Amt. 2007 ernannte Minister Jean-Louis Schiltz (CSV) mit dem Bauingenieur Gaston Schwartz einen „Mann vum Terrain“ zum Generaldirektor, der gleich nach seinem Stu-dium zur Regierungsagentur für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit gekommen war und sich innerhalb von 20 Jahren vom Chargé de programme zum Directeur des opérations hochgearbeitet hatte.

Mit Manuel Tonnar wird nun erstmals ein hoher Beamter aus dem Kooperationsministerium Generaldirektor von Lux-Development. Nach seinem Wirtschaftsstudium in Aix-en-Provence, Montpellier und Toulouse hat er ein Master in Business Administration in Nancy samt Forschungssemester in Mexiko erworben. Nach dem Studium verkaufte er zwei Jahre lang Hochöfen für Paul Wurth. 1999 bewarb er sich bei den Vereinten Nationen und trat eine vom Luxemburger Außenministerium mitfinanzierte Stelle an. Er förderte in den Luxemburger Zielländern Mali und Vietnam die lokale Entwicklung – in Zusammenarbeit mit Privatwirtschaft und Mikrofinanz-Industrie. 2003 kehrte er nach Luxemburg zurück, wo das Außenministerium ihn in der Kooperation einstellte. Nach dem Regierungswechsel von 2013 ernannte der zuständige Minister Romain Schneider (LSAP) ihn zum stellvertretenden Leiter der Direction de la coopération, 2017 dann zum Direktor.

Manches spricht dafür, dass Tonnars Wechsel zu Lux-Development politisch motiviert ist. In einer Partei habe er sich lange Zeit nicht engagiert, weil ein hoher Posten im Außenministerium nicht mit einer politischen Karriere vereinbar sei, erklärt er im Gespräch mit dem Land. Als klar war, dass er den Staatsdienst verlassen werde, sei er kürzlich den Sozialisten beigetreten und werde 2023 bei den Gemeindewahlen in der Stadt Luxemburg kandidieren, erzählt der Bonneweger, der in Limpertsberg aufgewachsen ist. Präsident der Stater LSAP-Sektion ist Franz Fayot, Generalsekretär Christophe Schiltz.

Auch sein Bruder Serge will in diesem Jahr erstmals bei den Gemeindewahlen antreten, allerdings in Mersch und auf der Liste von déi Lénk. Selbst wenn beide ihre Entscheidung fast zeitgleich trafen: Abgesprochen gewesen sei das nicht, beteuert Manuel Tonnar.

40 Prozent von Luxemburgs APD aus dem staatlichen Entwicklungshilfefonds gehen an Lux-Development, 2021 waren das 130 Millionen Euro. Die Agentur beschäftigt weltweit rund 700 Menschen, 70 davon an ihrem Hauptsitz in Luxemburg und über 100 in ihren Außenstellen in den jeweiligen Partnerländern. 500 Beauftragte und Experten arbeiten an den unterschiedlichen Projekten mit. Sie sind einer der Gründe, weshalb Lux-Development eine Société anonyme geblieben ist und nicht in eine staatliche Verwaltung oder öffentliche Einrichtung umgewandelt wurde. Der Luxemburger Staat könnte sie nicht zu den Bedingungen beschäftigen, die er seinen Beamten und Angestellten in Luxemburg bietet. Allerdings wird zurzeit darüber nachgedacht, die Agentur von einer Aktiengesellschaft in ein Sozialunternehmen (SIS) umzuwandeln.

Mit Tonnars Ernennung stellt die Regierung die Weichen für eine weitere Annäherung zwischen Wirtschaftsministerium, Kooperationsministerium und Lux-Development. Sie könne es erlauben, „Synergien besser umzusetzen“, sagt der neue Direktor. Erst kürzlich hat Lux-Development seine Statuten an das modernisierte Gewerbegesetz angepasst, was es ihr ermögliche, enger mit der Wirtschaft und insbesondere der Finanzindustrie zusammenzuarbeiten, erläutert Tonnar. Franz Fayot hatte bereits im März in einem Interview im Forum bekundet, er wolle „Mittel und Wege“ finden, um die „Fondsindustrie verstärkt an der Projektfinanzierung“ zu beteiligen, weil der Staat seine Nachhaltigkeitsziele allein mit der APD nicht erreichen könne. Auch in den Bereichen Digitalisierung, Umwelt und Klima will Lux-Development künftig stärker mit privaten Unternehmen zusammenarbeiten. Ein Vorbild ist die Katastrophenschutz-Plattform Emergency.lu, die der Staat gemeinsam mit SES, Hitec und Luxembourg Air Rescue entwickelt hat. Vor einer Woche kündigte Fayot auf einer Pressekonferenz an, er wolle in den nächsten Monaten noch ein ähnliches Projekt zur Ausschreibung bringen.

Manuel Tonnar sieht seine Hauptaufgabe darin, solche Programme in Abstimmung mit der Regierung umzusetzen. Als Wirtschaftswissenschaftler bringe er dafür die notwendigen Voraussetzungen mit. Mit der ONG Ada, die mit großen Investoren und globalen Impact Fonds im Bereich der Mikrofinanz zusammenarbeitet, hat das Ministerium 2020 noch unter Fayots Vorgängerin Paulette Lenert (LSAP) das von der Schweiz und Liechtenstein unterstützte SSNUP-Programm zur Kreditvergabe an Kleinunternehmer gestartet. Vor 20 Jahren sei auch er Mitglied von Ada gewesen, sagt Tonnar. Bei solchen Projekten handle es sich aber nicht um gebundene Entwicklungshilfe (aide liée), wie sie früher angestrebt wurde; Projekte würden nur dann umgesetzt, wenn im Partnerland Bedarf dafür bestehe, versichert der neue Direktor, nicht um den Unternehmen einen Gefallen zu tun.

Obwohl Entwicklungshilfe heute Entwicklungszusammenarbeit heißt, Zielländer inzwischen Partnerländer genannt werden, der Fokus auf Themen wie Gender liegt, Wert auf Due Diligence gelegt wird und es offenbar nicht mehr darum geht, herauszufinden, „op wat fir engem Marché eppes fir d᾽Lëtzebuerger Entreprisen dran ass“, kann dieser Aspekt doch nicht ausgeblendet werden. Die Kommunikation hat sich zwar verändert, doch nach wie vor sind geopolitische und neokolonialistische Interessen im Spiel – internationaler Wettbewerb und die Durchsetzung von Gesellschafts- und Wirtschaftsmodellen bilden den politischen Rahmen für Entwicklungshilfe. Die EU etwa möchte verhindern, dass China und Russland ihren wirtschaftlichen Einfluss in Afrika und Südamerika vergrößern. Luxemburg will das „Know-how“ seiner vor zehn Jahren arg in Verruf geratenen Finanzindustrie politisch so vermarkten, dass es sich für Partnerländer als nützlicher als das von Unternehmen aus anderen europäischen Ländern erweist. Gleichzeitig kann sich die Finanzindustrie dadurch als soziale, diverse und nachhaltige Branche inszenieren.

Manuel Tonnar hat sich als Direktor im Koopera-tionsministerium in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Bereich Impact finance beschäftigt. Mit Banken und Anlegern hat er De-risking-Fonds aufgelegt, die in Entwicklungsländern in Bildung und nachhaltige Landwirtschaft investieren. Dazu gehört auch der Agri-Business Capital Fund, der von Greenpeace, SOS Faim und ASTM kritisiert wurde, weil er auf Profitmaximierung aus sei, konventionelle Landwirtschaft fördere und folglich nicht mit den Nachhaltigkeitszielen der Regierung vereinbar sei.

Auf solche Kritik reagiert Manuel Tonnar mit realpolitischen Argumenten der sozialen Marktwirtschaft. Er wolle „innovative Entwicklungspolitik“ betreiben und die neue Finanzarchitektur der EU anwenden, die in Zeiten von Multikrisen immer wichtiger werde. „Bei der Impact finance geht es letztendlich darum, dass die Betriebe an Geld kommen, Menschen beschäftigen und die Wirtschaft dreht, damit die Staaten ihre Sozialsysteme finanzieren können.“ Zur Umsetzung dieser Vision sei Lux-Development bislang zu sehr in ihren Möglichkeiten eingeschränkt gewesen.

Luc Laboulle
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