Totale Begierde

d'Lëtzebuerger Land du 21.03.2025

Luca Guadagnino ist trotz seiner zunehmenden Popularität in Hollywood sehr stark einem Verführungsprinzip verschrieben, das weit über die Normen des amerikanischen kommerziellen Filmmodells hinausgehen; sein großes Thema ist das Begehren, das ihn auch sehr stark in der europäischen Filmkultur verwurzelt. Nach dem oberflächlich als Sportfilm angelegten Challengers (2024), ein Film voller energetischer Bewegung, voller zielgerichteter Rasanz, ist sein neuer Film Queer wieder eine Rückkehr zum Kontingenten, zum Ausufernden. Es sind diese Suchbewegungen, die die sinnliche Dimension seines Kinos ausmachen.

Mit dem international vielseits beachteten Erfolg von Io sono l’Amore (2009) – ein Filmtitel, der auch ganz künstlerisches Selbstbekenntnis ist – hat Luca Guadagnino sich als Ästhet des Kinos manifestiert: Er ist jemand, der an der inhaltlichen Ausrichtung seiner Filmerzählungen weniger interessiert ist, als an der verführerischen und synästhetischen Qualität des filmischen Sinneseindrucks. Io sono l’Amore folgt Emma Recchi (Tilda Swinton), einer Frau aus der wohlhabenden italienischen Oberschicht, die mit einem der Familie nahestehenden Koch Antonio in Mailand eine leidenschaftliche Liebesaffäre beginnt. Den Ausbruch der Leidenschaft schildert Guadagnino in einer ganz sommerlichen Atmosphäre: Er will die Hitze Mailands über die formsprachlichen Gestaltungsmittel des Films einfangen: das Zirpen der Grillen und das Zwitschern der Vögel sind auf der Tonspur besonders akzentuiert, die präzise Montage mit diversen Großaufnahmen des Naturlebens. Gleichzeitig zeigt er die Kälte einer entrückten Oberschicht, ohne dabei überexplizit ins Erotische oder ins übertrieben Moralische abzugleiten. Guadagninos Kino ist als ein komplexes Netz menschlichen Begehrens zu verstehen, es sind Schilderungen der (Un-)Möglichkeit der Liebe, die er in ganz formalästhetische Anordnungen fügt. Das Genrekino allein ist dem Filmemacher zu simpel, die Atmosphäre muss das Publikum in die Diegese hineinziehen, nicht die Genrecodes. Dafür sind seine Filme allein schon narrativ viel zu ausschweifend angelegt. Die narrative Zielgerichtetheit verliert sich bei Guadagnino immer wieder zugunsten eines viel kontingenteren Zeiterlebens. Wenn das Ausufernde, das Mäandernde der Handlung überhandnimmt, dann ist Guadagninos Kino bei sich. Der 52-jährige italienischen Regisseur sagt von sich, er sei ein Voyeur – Kino ist das optimale Vehikel.

Diese entschlossene Schilderung eines aufflammenden Begehrens war auch das bindende Thema von A Bigger Splash (2015), dessen direkter Bezugsfilm ist La piscine (1969) von Jacques Deray mit Alain Delon und Romy Schneider in den Hauptrollen ist. 2003 verfilmte bereits François Ozon diesen Klassiker des französischen Kinos neu. Im Süden Italiens soll eine Villa für die angeschlagene Popsängerin Marianne (Tilda Swinton) und deren Partner Jean-Paul (Matthias Schoenaerts) ein Refugium für eine Auszeit sein. Doch als Harry (Ralph Fiennes), Mariannes ehemaliger Liebhaber, mit seiner Tochter Penelope (Dakota Johnson) anreist, brechen alte Narben auf, sexuelle Begierden entflammen und laden die Beziehungen zwischen den vier Personen ungemein spannungsvoll auf. Auch in diesem Film fokussiert der Italiener die emotionalen Gefühlslagen seiner Figuren. Dass die von Swinton verkörperte Figur der Marianne überwiegend stumm ist, ist nicht nur ein Selbstverweis auf den Vorgängerfilm, es macht auch einen weiteren Raum auf für die Uneindeutigkeiten. Vor allem beobachtet der Film subtil und langsam wachsende Lieb- und Feindschaften. Guadagninos nächster Film verschaffte ihm den großen Durchbruch: Call Me By Your Name (2017) über die Annäherung eines jungen Schülers (Timothée Chalamet) und eines Doktoranden (Armie Hammer) in einer Ferienvilla in der Lombardei – das sexuelle Erwachen und das homoerotische Liebesverhältnis schildert Guadagnino im trägen Setting des Sommer- bzw. Urlaubsfilms, dessen Handlung nur langsam einsetzt: Wieder ist die Jahreszeit ausschlaggebende Kulisse für das Liebesbegehren.

Challengers ist die Erzählung eines homoerotischen männlichen Begehrens, das über die Bande des Weiblichen angelegt ist – zudem mit allen Genrezeichen des Sportfilms ausgestattet wurde und in dessen Zentrum ein Dreiecksverhältnis steht: Tashi Duncan (Zendaya) ist ein ehemaliges Tennis-Wunderkind, das nach einer Verletzung, die die professionelle Karriere beendete, als Trainer arbeitet. Sie versucht so auch die Pechsträhne ihres Partners Art (Mike Faist) zu durchbrechen, um ihn wieder zur Höchstleistung zu bringen. Aber Art muss ausgerechnet gegen Tashis ehemaligen Freund (Josh O‘Connor) antreten – überall latente Spannungen, die sich aus gieriger Lust nähren. Ein Film des expressiven, ambivalenten und repressiven Begehrens, in dem ein Körperkult aus Schweiß, straffer Haut, angespannten Muskeln und stechenden Augen gefeiert wird. Um dieses komplexe Spannungsverhältnis möglichst unvermittelt wirken zu lassen, erzählt Guadagnino seine Geschichte temporal verschachtelt, immer neue Zeitebenen fügen sich in dieses dichte Beziehungsgeflecht, immer mehr Schichten des Begehrens, der Lust, des Verlangens werden dazugeschaltet – der doppelte Wettkampf ist hier in besonderem Maße als ein Kraftakt mentaler Fokussierung ausgelegt. Und wieder geht es Guadagnino um die synästhetische Filmerfahrung: Die drückende Sonne über dem Tennisfeld will er ebenso spürbar werden lassen wie die unzähligen Schweißtropfen, die über die angespannten Körper gleiten.

Guadagninos neuer Film Queer basiert auf der gleichnamigen Novelle, in der der Schriftsteller William S. Burroughs autobiografische Elemente einfließen ließ. Der Roman entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem wichtigen Werk der LGBTQ+-Literatur, Burroughs erzählt darin von der Faszination der homoerotischen Anziehung, dem Schmerz der Zurückweisung, der Komplexität von Sexualität und Identität, sowie von der Sehnsucht nach der Verschmelzung mit dem Anderen. Queer ist für den Filmemacher Guadagnino folglich wieder als eine deutlichere Besinnung auf das vorangegangene Schaffen konzipiert, ein Erproben filmischer Langsamkeit als Ausdruck eines sehnsuchtsvollen, zögerlichen und nie stillbaren Verlangens. Alles ist zunächst von einer drückenden Schwere überzogen; die Zeitlupe zerdehnt das Geschilderte ungemein, wenn William Lee (Daniel Craig) durch die Straßen von Mexiko City schlendert, die hier sehr an die Gemälde von Edward Hopper erinnern. Repressive Gefühle, verstohlene Blicke und latente Anziehungen durchdringen die erste Filmhälfte. Der Nirvana-Song „Come as You are“ ist da vielsagend: Es geht um das Ausleben der sexuellen Identität, die Burroughs in den Fünfzigerjahren im Verborgenen hielt. Es sind sehr detailreiche und authentische Bilder, die doch ebenso künstlerisch kommentierend überhöht sind. Dem Alkohol und Heroin verfallen, verharrt Lee förmlich an den Tresen, lässt Blicke auf umliegende Besucher schweifen, beschwerlich ist der Erzählrhythmus, das sehnliche Verlangen ist in die zähflüssige Erzählform eingelagert. Das Zentrum von Lees Begierde ist Eugene Allerton (Drew Starkey). Queer erzählt von der Suche nach dem anderen Körper und vom Verlangen nach der Auflösung des eigenen Körpers: „I’m not queer, I am disembodied“ heißt es an einer Stelle. Lee sucht die absolute Verschmelzung, die ein Drogentrip in den Regenwäldern Ecuadors ihm zu bieten scheint und in der Illusion einer vollständigen Identifikation mit dem Liebesobjekt gipfelt. Dies geschieht in einer Szene, in der ein Körper in die Haut eines anderen eindringt und so verschmilzt. Ein Bild totaler Begierde: Ist das noch Ausdruck erotischer Sublimation oder bereits eine Form von Body-Horror?

Marc Trappendreher
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