LEITARTIKEL

Notbrem- sung auf Raten

d'Lëtzebuerger Land vom 25.12.2020

Jetzt also doch: Die Regierung verschärft die Corona-Schutzmaßnahmen, zieht die Ausgangssperre auf neun Uhr abends vor und lässt ab 26. Dezember alle Geschäfte schließen, außer die zur Deckung der Grundbedürfnisse. Die Zahl der Neuinfektionen sei weiter am Sinken, „aber wir wollen den Abwärtstrend beschleunigen“, so LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert am Montag. Man habe zunächst den Wochenüberblick abwarten wollen, erklärt sie.

Diese Begründung überzeugt nicht: Denn die Informationen, über die die Regierung jetzt verfügt, hatte sie vor zwei, drei Wochen mit derselben Tendenz ablesen können. Am Wochenende prognostizierte die Research Taskforce weiter sinkende Zahlen der Neuinfektionen. Dieselben Wissenschaftler, die sich in Luxemburg kaum (mehr) zur Krisenpolitik äußern, unterzeichneten diese Woche einen europäischen Aufruf zu drastischen und EU-weit koordinierten Maßnahmen. Das verstehe, wer will.

Während die Regierung so tut, als seien die Verschärfungen logische Folge ihres bisherigen Krisenmanagements, sind sie in Wirklichkeit das (späte) Eingeständnis, dass die Salamitaktik von Blau-Rot-Grün eben nicht aufgegangen ist: Um nachhaltig Entspannung zu bringen und vor allem den Druck aus den seit Wochen am Limit arbeitenden Spitälern und Heimen zu nehmen, reichten die bisherigen Maßnahmen nicht aus.

Es ist gut für die Gesundheitsversorgung, und somit für uns alle, dass die Regierung umsteuert. Allerdings macht sie auch dabei eine unglückliche Figur: Finanzminister Pierre Gramegna (DP) war der Wahrheit am am nächsten mit seiner Aussage vorm Parlament während der Haushaltsdebatte: Man habe alles so normal laufen lassen wollen, wie möglich. Der Preis für diese Normalität war indes hoch. Viele Corona-Patienten auf den Intensivstationen, 450 Corona-Tote. Auch das wirtschaftliche Kalkül dürfte kaum aufgegangen sein: Das Weihnachtsgeschäft läuft gedrosselt, der Schlussverkauf muss warten; all das wird den Staat weitere Millionen kosten.

Vor allem aber schossen einige Regelungen im eilig angepassten Covid-Maßnahmengesetz übers Ziel hinaus: Warum sind Sport-Aktivitäten auf zwei und andere Versammlungen im Freien auf vier Personen begrenzt? Beamte sollten zunächst verpflichtet werden, Verstöße gegen die Quarantäne- und Isolierungsauflagen zu melden. Der Passus soll aber gestrichen werden.

Wahrscheinlich war es die wachsende Kritik, die sie zum Einlenken bewogen hat. Ihre Position, mitten in Europa trotz anhaltend hoher Ansteckungszahlen fast alles „normal“ weiterlaufen zu lassen, war schlichtweg nicht zu vertreten und nicht mehr vermittelbar. Deutschland hat die Regeln zu Weihnachten verschärft. Frankreich und Belgien hatten bereits Anfang Dezember drastischere Auflagen beschlossen. Nur in Luxemburg konnten die Menschen weiter einkaufen, außer dass der Umtrunk im Einkaufszentrum ausfiel. Inzwischen ist auch der Glühwein vor Bars und auf der Straße veboten.

Sogar der Bildungsminister zieht mit, räumt ein, dass Schulen ein Spiegelbild der Gesellschaft seien, und lässt nach den Ferien auf (eine Woche) Fernunterricht umstellen. Somit wären drei Wochen lang die Kontakt- und Bewegungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt – in der Hoffnung, dass sich die Bevölkerung an die Regeln hält. Sicher ist das nicht, wie Bilder der überfüllten Abflughalle am Flughafen belegen.

Da zeigt sich die Schwäche des Krisenmanagements während der zweiten Welle: Wo ist die langfristige Strategie, damit sich nach der Rückkehr aus den Ferien die Intensivbetten nicht sofort wieder füllen, welche Rolle spielt der Impfstoff dabei und wo bleibt das Infektionsschutzgesetz, das eine belastbare Rechtsbasis für die Grundrechtseinschnitte liefern könnte – etwas, das die Opposition im Parlament übrigens seit Wochen vergeblich verlangt. Eben so einen Plan bleibt die Regierung weiterhin schuldig.

Ines Kurschat
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