Deutschland

In die Röhre geschaut

d'Lëtzebuerger Land vom 16.09.2022

„Es fühlte sich an wie das Nachladen eines Gewehrs, das auf mich gerichtet war.“ Patricia Schlesinger, ehemalige Intendantin der öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalt Radio Berlin Brandenburg (RBB) geizt nicht mit drastischen Vergleichen, wenn es um ihre eigene Erklärung der Umstände geht, die Anfang August zu ihrem Rücktritt als Chefin des Senders führten. Zur Rechtfertigung ihres Handelns und Tuns nutzte sie vergangene Woche ein ausführliches Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit. Darin fühlte sie sich missverstanden, missinterpretiert, ahnungslos und schließlich abgeschossen. Sie folgte so einem altbekannten Rechtfertigungsmuster. Wenn Mitglieder der Elite aus Amt und Würden gejagt werden, läuft ein immer gleiches Ritual ab: Sie tauchen für einen kurzen Zeitraum ab, um dann mit einem Exklusivinterview eigene Imagepflege zu betreiben, zu retten, was noch zu retten ist, einen zarten Hauch von Reue zu zeigen, um dann kräftig auszuteilen, das verletzte Ego zu präsentieren – letztendlich um wieder die Deutungshoheit über das eigene Handeln und Tun zurückzuerlangen. Alles verbunden mit dem sehnlichsten Wunsch, einen Schlussstrich ziehen zu können. So hat es unter anderem auch Julian Reichelt gemacht, ehemals Vorsitzender der Chefredaktion der Tageszeitung Bild. Und wie Reichelt tat auch Schlesinger dabei nur eines: Sie redete am Thema vorbei.

Denn Rechtfertigungen sind derzeit wohlfeil. Die Causa Schlesinger – um von ihr über den RBB abgerechnete private Abendeinladungen, einen teuren Dienstwagen mit Massagesitzen, dem Vorwurf der Vorteilsnahme für ihren Ehemann – löste mittlerweile einen Domino-Effekt aus. Ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten inzwischen die Technik-Direktorin des Bayerischen Rundfunks (BR) wegen einer Dienstwagen-Regelung. Zudem der Norddeutsche Rundfunk (NDR), weil eine Redaktionsleiterin kritische Berichterstattung aus persönlichen Motiven unterbunden haben soll, eine andere Redaktionsleiterin habe Themen der PR-Firma ihrer Tochter in der eigenen Redaktion lanciert. Es geht um Gefälligkeits- und Nichtberichterstattungen zu Gunsten von politischen Entscheidern, Ehepartnern und anderen Eliten. Im Fokus dabei immer wieder das NDR-Landesfunkhaus im CDU-regierten Schleswig-Holstein. Doch anders als beim RBB geht es hier nicht um Kontrollverlust und Verschwendungssucht, sondern um den Kern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, um Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit.

Der NDR ist immerhin die zweitgrößte Sendeanstalt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD). Joachim Knuth, Intendant des Senders, hat inzwischen erkannt, dass „im Landesfunkhaus in Kiel nicht nur aufgeklärt werden muss, sondern auch Dinge geändert werden müssen“. Es gehe nun darum, ein „Klima des Muts“ zu etablieren. Dabei gab er den Ahnungslosen, obwohl sich Justitiariat und Redaktionsausschuss in seinem Haus seit Jahren mit genau diesen Themen beschäftigen.

All diese Affären und Skandale, aber auch das Abwiegeln, Dummstellen und Leugnen der Verantwortlichen bis zum Beweis des Gegenteils, eine selbstgestrickte Ethik und die Arroganz der Macht, die von Leitenden und Führungspersonal vorgelebt und gerechtfertigt wird, zerstören nun die Idee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Sache der Allgemeinheit, als Kleinod der Gesellschaft von innen heraus. Es ist beispielsweise die Aufgabe eines Landesfunkhausdirektors dafür zu sorgen, dass Redakteurinnen und Redakteure unabhängig und unbeeinflusst arbeiten, recherchieren und berichten können. Dafür wird er etwa in Kiel mit rund 22 000 Euro monatlich entlohnt. Dieses Gehalt wird von 1 200 Beitragszahlenden aufgebracht. Nicht eingerechnet sind dabei Rücklagen für seinen Ruhestand und sonstiger Aufwand für den Arbeitsplatz wie ein Dienstwagen. Weigert sich ein Haushalt den Rundfunkbeitrag zu zahlen, wird er gepfändet. Ohne Wenn und Aber.

Betrachtet man das Gebilde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland nach all den Unregelmäßigkeiten, so kommt man zu der Erkenntnis, dass es für alle Beteiligten – vor allem jedoch für die Beitragszahler – besser wäre, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner heutigen Form komplett einzureißen und neu aufzubauen. Denn all die Skandale sind nur ein Symptom, nicht aber die Krankheit, unter der ARD, ZDF und Deutschlandradio – als die drei Säulen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland – leiden. Ob nun die ehemalige Intendantin des RBB oder der Landesfunkhausdirektor vom NDR, das Problem ist keines einer einzelnen Person oder einer Führungsriege, sondern ein ganzheitliches, das sich auf drei Punkte zusammenfassen lässt: zu groß, zu teuer, zu abhängig. Dieser Dreiklang wird auch dann nicht beseitigt sein, wenn die derzeitigen Skandale auf- und abgearbeitet sein werden. Vielmehr ist zu befürchten, dass nun das ein oder andere Exempel statuiert werden wird, die grundsätzliche Aufarbeitung aber unterbleibt.

Den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stünde es an, sich einer Rosskur zu unterziehen. Diese müsste damit beginnen, dass das System an sich auf den Prüfstand gestellt und deutlich verkleinert wird. Das reicht weiter, als die beiden kleinsten Landessender Saarländischer Rundfunk (SR) und Radio Bremen (RB) mit anderen Sendern zu fusionieren. Doch dafür sind nicht die Sender verantwortlich, sondern die Politik, die auch noch genauer definieren muss, was die öffentliche Daseinsversorgung umfasst und wo sie endet. Wie die Politik auch ihre eigene Rolle überdenken muss, ob in den Kontrollgremien der einzelnen Sender in erster Linie Delegierte der jeweiligen Landesregierungen und Landesparlamente sitzen müssen. Es muss eine größere Unabhängigkeit her- und sichergestellt werden. Dass sich die Verantwortlichen der Fernsehsender den regierenden Parteien andienen, ist verständlich, denn schließlich entscheiden diese über die finanzielle Ausstattung und das rechtliche Rahmenwerk der Anstalten. Auch muss den öffentlich-rechtlichen Sendern wieder bewusst werden, dass sie einen Informations- und keinen Unterhaltungs- oder gar Erziehungsauftrag haben. Während sich die Medienlandschaft durch den technologischen Fortschritt rasant verändert hat, verteidigen die Öffentlich-Rechtlichen noch immer ihre längst überkommene Pfründe. Ohne Aussicht auf ein Happy End für den Zuschauenden.

Martin Theobald
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