Grundschulreform

Was bleibt?

d'Lëtzebuerger Land vom 04.12.2008

„Wir halten den Zeitplan ein“, sagt Jos Scheuer (LSAP) zuversichtlich. Mit den Stimmen der schwarz-roten Mehrheit will der Präsident der parlamentarischen Schulkommission die Änderungen zum Personalgesetzentwurf am Montag nächster Woche gutheißen lassen und an den Staatsrat weiterleiten. Dann könnte die Reform der Grundschule noch wie geplant im Januar über die Bühne gehen.

Der Staatsrat hatte in seinem Gutachten zum komplexesten von drei Gesetzentwürfen gleich mehrere Einwände erhoben. Vor allem das Vorhaben, Staats- und Gemeindebeamte nebeneinander in den Grundschulen arbeiten zu lassen, hatte das Hohe Gremium beanstandet und so für Kopfzerbrechen bei den zuständigen Beamten im Unterrichtsministerium gesorgt. Nun soll das Problem mittels Übergangsregelungen gelöst werden: Im Prinzip würden Lehrer und Lehrbeauftragte künftig vom Staat übernommen. Wer bereits bei der Gemeinde angestellt ist, muss sich binnen drei Jahre fest entscheiden, ob er lieber zum Staat wechseln oder bei der Gemeinde bleiben möchte. Beim vom Staatsrat geforderten „Stage“ für Grundschullehrer will die Koalition dagegen hart bleiben. „Anders als bei den Sekundarschullehrern ist die Ausbildung der Grundschullehrer von Anfang an praxisnah organisiert“, so Scheuer.

Um nicht ein weiteres Mal unan­genehm überrascht zu werden, hat-te Ministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) beim Staatsrat vorgesprochen und die Philosophie ihres Entwurfs mitsamt möglicher Änderun­gen persönlich erläutert. Ein „ungewöhnliches Vorgehen“, kommentierte die Opposition – das zudem zeigt, wie groß die Angst der Regierung ist, mit der Grundschulreform doch noch baden gehen zu können. Unbestätigten Informationen zufolge war die Ministerin nicht alleine: Premier Jean-Claude Juncker (CSV) soll sie begleitet haben. 

Nach der Aussprache ist wieder etwas Ruhe eingekehrt, Freude darüber will aber nicht wirklich aufkommen. „Wir sind froh, einen Ausweg gefunden zu haben“, so Scheuer erleichtert, und er sieht plötzlich müde aus. Ihn wurmt, dass statt pädagogischer Inhalte fast ausschließlich komplizierte technische Fragen im Mittelpunkt der parlamentarischen Debatte stehen. Von einem bildungspolitischen „Meilenstein“, wie der LSAP-Politiker das ehrgeizige Projekt einmal bezeichnete, spricht keiner mehr. 

Das ist aber nicht erst seit dem negativen Staatsratsgutachten zum Personalgesetz so. Spätestens seit dem Streit um die Aufwertung der Lehrerkarriere im Sommer war keine Rede mehr von Lernzyklen, Teamarbeit oder Elternpartizipation. Stattdessen dominierten Fragen über die richtige „Einstufung“ und das angemessene Gehalt. „Das hat der pädagogischen Reflexion sicher keinen Dienst geleistet“, so Scheuer. Enttäuscht sind er und seine Parteikollegen auch über die Lehrergewerkschaften. Vor allem das OGBL-Syndikat SEW hatte den Gehälter-Kompromiss bis zuletzt bekämpft. „Da wurden Profilierungskämpfe ausgetragen und der korporatistische Geist vor pädagogischen Überlegungen gestellt“, ärgert sich SEW-Gründungsmitglied Scheuer.

An der vermurksten öffentlichen Wahrnehmung der Schulreform ist die LSAP allerdings nicht ganz unschuldig. Die Unterrichtsministerin selbst hatte taktische Überlegungen vor pädagogische Kohärenz gestellt, als sie sich für Schulkomitees statt Schuldirektionen stark machte. Ein Zugeständnis an den SEW, der in den Schulleitungen einen Eingriff in die pädagogische Freiheit sah und dessen Proteste die Ministerin vermeiden wollte. Zum Preis, dass ihr Gesetzentwurf nun nicht ganz schlüssig ist. Denn dass basisdemokratische Schulkomitees die Qualität des Primärschulunterrichts nachhaltig verbessern, ist nicht sicher. 

Bildungsforscher, wie Romain Martin von der Uni Luxemburg oder Jürgen Baumert vom Berliner Max-Planck-Institut, sprechen sich für starke, weisungsbefugte Schulleitungen aus (d’Land vom 22.12.06). Dann erschiene auch die Nominierungsfrage des Lehrpersonals in anderem Licht: Wenn Schulen ihr Personal wählen könnten, hätten sie ein wesentliches Steuerungselement für mehr Qualität selbst in der Hand. Aber so weit wollte selbst die Schulleitungen befürwortende CSV nicht gehen. Das hätte nämlich bedeutet, das Beamtenstatut radikal zu hinterfragen.

Dass die Oppositionsparteien DP und Déi Gréng das Thema Schulleitung wieder aufs Tapet bringen, ist vor diesem Hintergrund also nachvollziehbar – wenn auch nicht immer ganz glaubwürdig. Ex-Unterrichtsministerin Anne Brasseur von der DP hatte noch vom „administrativen Direktor“ gesprochen, der als „Vermittler zwischen den Eltern und der Schule“ fungieren und ausdrücklich organisatorische Aufgaben „jenseits von pädagogischen Inhalten“ wahrnehmen sollte. Ihr Parteikollege Eugène Berger betont heute die „Steuerungsfunktion“ einer Schuldirektion. Déi Gréng sprechen der Grundschulreform jegliche „Gesamtvision“ ab, so dass schon jetzt davon auszugehen ist, dass die Bildungsreform von der Opposition nicht mitgetragen werden wird. Zumal die politisch brisante Frage des Werteunterrichts anzugehen, von vornherein ausgeklammert blieb.

Jos Scheuer hofft jetzt, nachdem die Gehältervereinbarung – trotz Wirtschaftskrise – im Text festgeschrieben wurde, auf das Lehrpersonal. „Wir brauchen Visionen aus dem Berufsmilieu“, sagt er. Immerhin seien es die Lehrer, die die Reformen umsetzen müssen. Auch der Elterdachverband Fapel wünscht sich klare Signale von den Schulen. „Wenn man Eltern fragt, was sie sich von der Reform versprechen oder davon bisher verstanden haben, kommt nicht viel“, so Fapel-Präsidentin Michèle Retter. Höchste Zeit, dass sich das ändert. 

Ines Kurschat
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