Schulbauten

Schule statt Traumschloss

d'Lëtzebuerger Land vom 20.03.2008

„Das Schulchaos ist stabil“ und „das Maß ist voll“. Es waren geharnischte Sätze, mit denen der liberale Abgeordnete Fernand Etgen aus Feulen am Dienstag in der Abgeordnetenkammer die Schulbaupolitik der schwarz-roten Regierung angriff. Die Schülerinnen und Schüler seiner Heimatregion würden systematisch vernachlässigt.

Dass zwischen den wachsenden Schülerzahlen und dem real vorhandenen Platzangebot im Norden eine riesige Lücke klafft, beanstanden Schüler, Lehrer und Eltern seit Jahren, ebenso die Flickschusterei auf Regierungsseite (d’Land, 14.07.2006). Vor allem das Ettelbrücker Lyzeum ist betroffen, in dem der Raummangel zwischenzeitlich sicherheitsrelevante Ausmaße annahm; aber auch das CNFPC in Diekirch und das Lycée des professions santé platzen aus allen Nähten. Die fehlenden Werkstätten, Turn- und Schwimmhallen nicht zu vergessen, weshalb an verschiedenen Schulen stellenweise schon der Schwimmunterricht reduziert werden oder ganz ausfallen muss.

Bewegung ins Schulbaudossier sollte erst kommen, nachdem die Schülerproteste im Winter 2006/2007 einen neuen Höhepunkt erreicht hatten. Im Januar 2007 präsentierte Bautenminister Claude Wiseler (CSV) zu sammen mit der Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) den Exitplan aus der chronischen Misere: Nicht das in einem provisorischen Fertigbau in Diekirch untergebrachte, neue Nordstad-Lycée sollte einen Neubau bekommen, man habe stattdessen für die alteingesessene Ettelbrücker Ackerbauschule eine neue Bleibe gefunden, in Gilsdorf bei Bettendorf, erklärten die Minister den verdutzten Journalisten. In das frei werdende Ackerbauschulgebäude an der Avenue Salentiny gegenüber vom Lycée technique d’Ettelbrück (LTETT) würden dann eines Tages die rund 600 bis 800 Schüler des Nordstad-Lycée Platz finden. Zuvor sollte eine Machbarkeitstudie prüfen, ob der vorhandene Platz und die bestehenden Infrastrukturen sich für einen solchen Umbau zum technischen Lyzeums mit speziellen Werkateliers tatsächlich eignen.

Der Vorschlag stieß bei den meisten Betroffenen auf wenig Begeisterung. Der damalige LTETT-Direktor und jetzige Leiter des Nordstad-Lyzeums François Schartz hatte ebenso wie die Gemeindepolitiker des Nordstad-Bündnisses fest mit einem Neubaugerechnet. Letztere hatten diese neue Schule sogar schon in ihrenVorentwürfen eines Masterplan Nordstad eingezeichnet: Als optimaler Schulstandort galt das Laduno-Gelände bei Erpeldingen. Auf diese bei diversen Gelegenheiten vorgetragenen Standortvorliebe berief sich der Grüne Claude Adam am Dienstag, als er die Raumnot erneut zum Thema machte und dabei lautstarke Unterstützung der DP fand.

Sehr glaubwürdig ist das Vorpreschen der Oppositionsparteien abernicht. Die DP war von 1999 bis 2004 selbst in Regierungsverantwortung. Deren Unterrichtsministerin Anne Brasseur hätte die Zeit nutzen können, um die dringendsten Engpässe zu beheben. Außer dem Bau des Lyzeums in Redingen ist nördlich von der Hauptstadt aber nicht viel geschehen.

Nachfolgerin Mady Delvaux-Stehres hat die Misere geerbt und versucht nun zu reagieren, allerdings mit einer Prämisse: Eine weitere Annexe für das mit 1 450 Schülern hoffnungslos überlaufene Lycée Ettelbrück komme nicht in Frage, so die LSAP-Politikerin 2007. Kurz darauf begannen die Vorarbeiten für das Gesetz eines neuen Nordstad-Lycées, das von sämtlichen Parteien gutgeheißen wurde.

Die Argumentation der Unterrichtsministerin dürfte den Grünen eigentlich nicht ganz fern liegen, schließlich hat die Partei sich öfters kritisch über die Luxemburger Baukultur von Riesenschulen ausgesprochen, die eine zeitgemäße pädagogische Arbeit erschwert. Jetzt zählen die alten Überzeugungen offenbar nicht mehr viel, denn anstelle eines Umzugs des Nordstad-Lycées in die Räume der alten Ackerbauschule plädieren Déi Gréng lieber für eine Erweiterung des LTETT. Begründet wird dies mit dem nach wie vor großen Raumbedarf des Lycée Ettelbrück. Zudem sei unklar, soAdam in seiner Rede vor den Abgeordneten, was mit den Schülern aus dem unteren Zyklus des Nordstad-Lyzeum geschehen werde, wenn diese in drei Jahren nach der 9e die Schule verlassen. Mit dem Umbau der alten Ackerbauschule sei frühestens in vier bis fünf Jahren zu rechnen. Zudem bezweifelt Adam, dass der Platz an der Avenue Salentiny für das 800 Schüler fassende Nordstad-Lycée ausreiche – das Laduno-Gelände bei Erpeldingen sei zweifelsohne das bessere Grundstück.

Damit wärmte der Grüne im Grunde ziemlich kalten Kaffee auf. Dass die Verhandlungen zwischen den Laduno-Grundstücksbesitzern und dem Staat wegen unterschiedlicher Preisvorstellungen nicht vom Fleck kommen würden, hatte sich schon im Jahr 2006 abgezeichnet. Bürgermeister François Dahm von Erpeldingen geht davon aus, dass sich das auch in nächster Zeit kaum ändern wird. Dass die Diskussion nun wieder aufkommt, erklärt er mit einem „Manktum an Informationen“. Schließlich ist ein Teil des Geländes noch bebaut. Angeblich lässt Eigentümerin Luxlait derzeit prüfen, inwiefern sie das Grundstück selbst nutzen kann. Wegen des Dauerstillstands, so Dahm im Gespräch mit dem Land, habe Bautenminister Wiseler den sechsNordstad-Gemeinden bereits vor einem Jahr geraten, sich nach einem geeigneten Terrain für eine neue Schule umzusehen. „Wenn wir die Wachstumsziele erreichen, wird es nicht ohne eine weitere Schule im Norden gehen“, ist Dahm überzeugt.

Bis dahin wird es noch eine ganze Weile dauern, „zehn bis 15 Jahre“ laut Dahm – die Raumnot ist aber jetzt akut. Um wenigstens den größten Druck zu lindern, hat das Ministerium neben Sanierungsarbeiten am LTETT für 5,5 Millionen Euro eben jenen Fertigbau in Diekirch gebaut. Eine erste Version der Machbarkeitsstudie ist soeben fertig, demzufolge wäre das Grundstück der alten Agrarschule für das Nordstad-Lycée mitsamt Spezialsälen groß genug. Wenn in Ettelbrück auf 1,7 Hektar 1 400 Schüler kommen, müssten 3,65 Hektar für 800 Schüler „doch ausreichend sein“, rechnete Wiseler dem Parlament vor. Die Gemeinde Ettelbrück, an einem zweiten Schulstandort auf ihrem Gebiet stark interessiert, hatte sich im vergangenen Jahr dazu bereit erklärt, im Falle von weiterem Platzbedarf Flächen auf der Haardt-Anhöhe für den Ausbau freizugeben. Bliebe das Problem der stark befahrenenAvenue Salentiny, die zwar nicht entlastet würde. Weil laut Mady Delvaux-Stehres die Zahl der Schüler aus Nordstad-Lycée und LTETT zusammengenommen aber die heutige Schülerzahl nicht überschreiten soll, würde die Belastung durch den Schulverkehr zumindest auch nicht zunehmen. 

Ob die Rechnung aufgeht, bleibt freilich zu beweisen. Wenngleich reichlich verspätet, hat der Staat nun immerhin den Weg zu einer mehr vorausschauenden Flächenplanung und Schulbaupolitik eingeschlagen. Im Herbst 2007 wurde bei Clerf ein Grundstück für ein weiteres 1 000 Schüler fassendes Lyzeum gekauft, die Vorarbeiten für ein Bauprogramm stehen kurz vor ihrem Abschluss. Derzeit sei man dabei, sich dort nach Reserveflächen umzuschauen, sagt Raymond Straus aus dem Unterrichtsministerium.

Auch für das Weiterbildungszentrum CNFPC und das Lycée des professions de la santé prüfe man derzeit verschiedene Standorte, darunter das Gelände des Hôpital St. Louis sowie das CFL-Grundstück gegenüber dem Ettelbrücker Bahnhof. Das Problem der Sportanlagen soll im Gemeindeverbund angegangen werden, bisher sei jedoch noch keine zufrieden stellende Lösung in Sicht.

So dass die Anfrage von Déi Gréng in erster Linie auf den nicht enden wollenden Traum mancher Lokalpolitiker und Schulleitungen zurückzuführen ist, irgendwie doch noch das Laduno-Gelände in dieRegional- und Schulplanung einzubeziehen. Traumschlösser helfenim Moment aber nicht weiter: Selbst wenn der Staat  das  Laduno-Gelände eines Tages kaufen sollte, würde ein Schulneubau durchschnittlich sieben Jahre brauchen. Schüler von heute und morgen müssten weiter provisorisch unterkommen. Sie und ihre Eltern dürften die lokalpolitischen Planspiele daher weniger interessieren: Hauptsache, die Kinder bekommen eine ordentliche Schulausbildung.

Ines Kurschat
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