Jean Asselborn erklärte sich zu seiner Außenpolitik. Über sie gibt es wenig Differenzen

Für eine bessere Welt

d'Lëtzebuerger Land vom 12.11.2021

Vielleicht lag es an Corona, dass es nur wenig Meinungsverschiedenheiten gab, als das Parlament am Mittwoch über die Außenpolitik debattierte. Am Tag zuvor hatte auch Minister Jean Asselborn (LSAP) am Schluss seiner außenpolitischen Erklärung festgestellt: „Es war eine schwere Zeit, aber langsam sehen wir Licht am Ende des Tunnels. Diese Rede konnte wieder in der Kammer gehalten werden, das ist ein Zeichen dafür, dass es besser geht.“

Aber weshalb hätte es abgesehen davon große Divergenzen geben sollen? Jean Asselborn ist auch Minister für europäische Angelegenheiten. Weil Luxemburg mit seiner Exportwirtschaft und seinem Finanzplatz ohne die EU und ihren Binnenmarkt kaum überlebensfähig wäre, gleichen Asselborns alljährliche Erklärungen zur Außenpolitik immer auch ein wenig denen eines EU-Außenministers. Falls die EU einen hätte und außenpolitisch mit einer Stimme sprechen würde.

Jean Asselborns Europäische Union ist gut. Sie muss „an sich glauben“, muss „Mitgefühl zeigen“ und „mutig“ sein. Denn die Welt ist „multipolar“ geworden. In dieser Konstellation müsse die EU ihre Position stärken. Daraus folge: „Mehr Europa“, um „unsere Werte von Solidarität, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen“.

Der außenpolitische Sprecher der CSV-Fraktion, Claude Wiseler, hielt Asselborn am Mittwoch vor, die Außenpolitik der Regierung sei nicht „kohärent“ genug. Staatsmännisch im Auftreten und mit wohlgesetzen Worten fragte der CSV-Parteivorsitzende nach den Prioritäten, den außenpolitischen Interessen Luxemburgs und wer die Alliierten des Großherzogtums zu welchen Themen seien. Und erinnerte daran, dass im Koalitionsvertrag der DP-LSAP-Grüne-Regierung steht, eine „Matrix“ werde ausgearbeitet, der solche Prioritäten zu entnehmen wären. Noch aber gebe es die Matrix nicht, sie werde lediglich „immer wieder versprochen“. In anderen Ländern, meinte Claude Wiseler, würden die Prinzipien der Außenpolitik mitgeteilt, so dass darüber diskutiert werden könne. In Luxemburg dagegen agiere Jean Asselborn „wie ein freischaffender Künstler“, und in seinen alljährlichen Erklärungen nehme er das Kammerplenum auf eine kleine Weltreise mit.

Aber hätte die CSV dazu tatsächlich einen anderen Ansatz, einen „Plan“? Auch CSV-geführte Regierungen hatten Wert darauf gelegt, die reiche Finanzoase Luxemburg als zugleich verantwortungsbewusst und großzügig zu positionieren. Jean Asselborn sorgt für genau das, und er begann damit 2004 nach dem Ende der CSV-DP-Koalition.

Außenpolitische Prioritäten, die Luxemburg sehr wohl hat, kamen in seiner achtzigminütigen Erklärung vor: Etwa, das Großherzogtum in multilateralen Organisationen zu verankern. Im Büro des Minister-Gremiums des Rates der OECD ist das seit diesem Jahr der Fall. „Wir konnten in diesem wichtigen Gremium dazu beitragen, dass die grüne Transition, der digitale Umbau und unsere gemeinsamen Werte den Stellenwert bekommen, der ihnen zusteht“, bilanzierte der Außenminister. Auch habe Luxemburg sich für ein „verantwortungsvolleres Handeln der Unternehmen in ihren weltweiten Lieferketten eingesetzt“. Der OECD spiele dabei eine Schlüsselrolle. Die EU-Kommission sei dabei, eine EU-Lieferketten-Gesetzgebung zu entwerfen. Dadurch sollen Menschen- und Sozialrechte bei internationalen Zulieferern geschützt werden. Gebe es keine Einigung darüber, werde Luxemburg sich ein nationales Gesetz geben. – Wer keine außenpolitischen Prioritäten hat, würde nicht so sprechen.

Ein anderer großer Moment für die Positionierung Luxemburgs war am 14. Oktober die Wahl in den UN-Menschenrechtsratsrat für die beiden Jahre 2022 und 2023. Nach der Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat 2013 und 2014 ist das die zweite innerhalb kurzer Zeit in einem wichtigen UN-Gremium. Schwerpunkte Luxemburgs im Menschenrechtsrat, so der Außenminister, seien der Einsatz für Rechtsstaatlichkeit; der Kampf gegen den Klimawandel, da dieser sich negativ auf Menschenrechte auswirke, sowie der Einsatz für die Rechte von Frauen, Kindern und LGBTIQ-Personen. Und wer es noch nicht wusste, erfuhr am Dienstag, dass die Luxemburger Außenpolitik „feministisch“ ist. „Systematisch und kohärent setzen wir uns für die Rechte von Frauen und Mädchen, ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit und ihre uneingeschränkte körperliche und geistige Freiheit ein“, berichtete Jean Asselborn. Nur Schweden, Kanada, Frankreich, Spanien und Mexiko behaupteten dies von sich ebenfalls.

Als Handlungsreisender für einen solchen Wertekatalog ist der 72-jährige Jean Asselborn mit seinen nun fast 18 Jahren Erfahrung als Außenminister sehr wertvoll. Asselborn, der gute Mann aus Steinfort, ist zu einem Wert an sich geworden. Seine Popularität zu stärken, indem er in deutschen TV-Talkshows auftritt, hat er nicht mehr nötig. Auch gab es in letzter Zeit kein größeres diplomatisches Fiasko wie vor sieben Jahren die Luxleaks-Affäre. Heute äußert der Außenminister sich in den internationalen Medien vor allem als Europa- und Immigrationsminister. Dann beklagt er die mangelnde Solidarität unter den EU-Staaten, weil Flüchtlingsquoten seit dem Brexit-Votum 2016 politisch unerreichbar sind. Und es womöglich noch lange bleiben werden.

Interessant an den Erklärungen des Ministers ist stets auch, was er nicht sagt oder wozu er sich ausgesprochen zurückhält. Über die Beziehungen zu den USA, China und Russland etwa sprach Jean Asselborn in seiner Erklärung vor allem aus einer EU-Perspektive, eine klar Luxemburger war selten zu erkennen. Das ist bemerkenswert, wenn man etwa bedenkt, dass der von US-Präsident Joe Biden für den Botschafterposten in Luxemburg nominierte Tom Barrett vergangene Woche in der ersten Anhörung zu der Kandidatur im außenpolitschen Ausschuss des US-Senats erklärte, als Botschafter werde er darauf Acht geben, ob die Wirtschaftsverbindungen Luxemburgs mit China zu Weltraum- und Infrastrukturprojekten ein Risiko für Geldwäsche bergen (d’Land, 5.11.2021).

Aber zu Themen von solcher Tragweite äußert der Luxemburger Diplomatiechef sich öffentlich erst, wenn es sein muss. Bis dahin spricht er von Partnerschaftlichkeit mit China, wenngleich China „unsere Werte zum großen Teil nicht teilt“. Luxemburg werde sich weiterhin für den Respekt der Menschenrechte einsetzen. Was eines der „schwierigeren Themen“ sei. In der Debatte zur Außenpolitik bekannte Jean Asselborn am Mittwoch, die sieben in Luxemburg präsenten chinesischen Banken seien einflussreich. Das 2018 mit China abgeschlossene Memorandum of Understanding über eine Teilnahme des Großherzogtums an der Initiative „One Belt, One Road“ bleibt unter vetraulichem Verschluss, auch wenn Claude Wiseler es gern lesen möchte: Es stehe aber nichts juristisch Verbindliches darin, beruhigte Jean Asselborn ihn wie schon vor einem Jahr.

Außenpolitik ist in Luxemburg immer auch Außenhandels- und Wirtschaftspolitik. „Unser diplomatisches Netzwerk in Asien hilft unseren Unternehmen, auf diesen Märkten engere Kontakte zu knüpfen.“ Die Verbindungen zwischen Europa und Asien würden immer wichtiger. „Permanent“ sei die Suche nach „neuen Opportunitäten für unsere Unternehmen in aufstrebenden Märkten, etwa in den Asean-Ländern“ (dazu zählen unter anderem Indonesien, Vietnam, Thailand oder die Philippinen).

Die Koalitionspartner zollten dem Außenminister in der Debatte Anerkennung, waren keine Besserwisser, sondern führten eher die von Jean Asselborn angestoßene Weltreise noch ein wenig fort. Der DP-Abgeordnete Gusty Graas sorgte sich um den wachsenden Einfluss Chinas in Europa: Im EU-Staat Kroatien baue China Autobahnen. Die Grüne Stéphanie Empain, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, sinnierte darüber, ob die Entwicklung der Beziehungen zwischen Staaten vergleichbar sei mit der zwischen Menschen.

Der LSAP-Abgeordnete Yves Cruchten streute Jean Asselborn Blumen: „Im Ausland werde ich oft auf Sie angesprochen und höre quasi nur Lob.“ Und sofern Cruchten sich nicht irrt, ist sein Parteikollege nicht nur der dienstälteste Außenminister eines EU-Landes, sondern „unter den Top drei“ der am längsten amtierenden Außenminister der Welt. Solche Worte aus dem Mund des LSAP-Parteipräsidenten sind vielleicht nicht nur etwas überzogener Korpsgeist, sondern auch Ausdruck davon, wie sehr die LSAP Asselborn noch braucht. Seit ihr Vizepremier Dan Kersch erklärt hat, nach den Wahlen 2023 nicht mehr für ein Ministeramt zur Verfügung zu stehen, und Romain Schneider eine erneute Kandidatur zu den Wahlen ausgeschlossen hat, sind erfahrene Köpfe knapp. Der nach Gesundheitsministerin Paulette Lenert zweitbeliebteste Politiker Asselborn dagegen hat wissen lassen, er trete zu den Wahlen an und könne sich vorstellen, Minister zu bleiben.

Sogar der ADR-Abgeordnete und Ex-Diplomat Fernand Kartheiser ritt keine Tiraden gegen seinen früheren Chef, sondern suchte nur nach ein paar Haaren in dessen Suppe: Wer in Lieferketten Menschenrechte stärken wolle, dürfe Elektroautos erst dann subventionieren, wenn Kobalt für die Batterien nicht mehr von Kinderarbeitern gefördert wird. Und wenn der Gesetzentwurf der Justizministerin über die Abstammung von Kindern die Leihmutterschaft nicht generell verbiete, könnten Frauen aus Drittwelt-Ländern als „Gebärmaschinen“ ausgebeutet werden. Dass die ADR gegen „mehr Europa“ ist und die Position Polens zur Deutungshoheit des EU-Gerichtshofs verstehen kann, machte Kartheiser aber klar.

Was dieses Thema betrifft, verzichtete der Außenminister auf diplomatische Zurückhaltung und fand, wer die Werte der EU „mit Füßen tritt“, müsse bei finanziellen Zuwendungen aus EU-Töpfen der „Konditionalität“ unterworfen werden. „Millionen Menschen, und insbesondere jene, die ins 22. Jahrhundert hineinwachsen, wollen keinen Illiberalismus à la Orbán.“

Noch persönlicher äußerte Jean Asselborn sich nur noch über den Präsidenten von Belarus: Der sei „ein Räuber, der Flüchtlinge benutzt, um die EU zu erpressen.“ Die Luxemburger Flüchtlingspolitik malte der Außen- und Immigrationsminister als die vielleicht großzügigste der EU aus, jedenfalls gegenüber Asylsuchenden aus Afghanistan: Kein anderes EU-Land verzichte seit 2015 darauf, Afghan/innen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, abzuschieben.

Peter Feist
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