Amazon umwirbt die Kunden in den Benelux-Ländern, stößt dabei aber an die eigenen Grenzen

Super happy and excited

d'Lëtzebuerger Land du 05.07.2019

Wenn der Einzelhandel seine Saisonware loswerden will, veranstaltet er traditionell einen Schlussverkauf. Einmal im Sommer und einmal im Winter werden die Preise herabgesetzt, um die Lager zu leeren und Platz für neue Ware für die kommende Saison zu schaffen. Der amerikanische Online-Riese Amazon ahmt schon länger die Verkaufsstrategien des Einzelhandels in der realen Welt nach. Den als Gegenstück zum als Black Friday bezeichneten Start des Weihnachtsgeschäfts nach Thanks Giving in den USA wurde im virtuellen Einkaufszentrum schon vor Jahren der Cyber Monday geschaffen. Den Sommerschlussverkauf hat man bei Amazon Prime Day genannt. Am 15. und 16. Juli ist es wieder soweit. Wobei es eigentlich Prime Days, Plural, heißen müsste, denn der Prime Day dauert immer länger. Ganze 48 Stunden Sonderangebote werden dieses Mal versprochen, während es vergangenes Jahr noch 36 Stunden waren.

Luxemburg ist zum zweiten Mal eines der Länder, in dem Kunden beim Prime Day einkaufen können. Amazon will offensichtlich seine Marktpräsenz in den Benelux-Ländern ausbauen; dafür ist der ansonsten eher medienscheue Konzern sogar bereit, Journalisten bei einem Pressetermin in Amsterdam zu treffen. Als Werbeaktion für seine Sonderangebote ging die Veranstaltung aber nur begrenzt auf. Denn die Kundenversprechen einzuhalten, ist auf dem kleinen, fragmentierten Benelux-Markt selbst für einen Giganten wie Amazon eine Herausforderung. Viele verschiedene Sprachen, keine separaten Länder-Webseiten, bisher keine eigenen Lager- und Fulfillment-Zentren, wie die Strukturen genannt werden, in denen die Einkäufe der Kunden zusammengepackt und versandfertig gemacht werden – da geht nicht immer alles wie versprochen in Erfüllung.

So beschwerten sich niederländische Journalisten beispielsweise darüber, dass Alexa, der Spracherkennungsdienst, mit dem sich über ein kleines Gerät Internet-Einkäufe und sonstige Haustechnik steuern lässt, kein Niederländisch spricht. Deshalb müssten niederländische Kunden Englisch mit Alexa sprechen und auf die internationale Version von Alexa zurückgreifen, die darüber hinaus noch teurer sei als spezifische Länderversionen. „Dass er mehr zahlen muss, das sieht ein Niederländer überhaupt nicht ein“, schimpfte ein Journalist. Ein ungerechtfertigter Aufpreis gilt in Amsterdam und Umgebung als Vergehen, das mit Höchststrafe zu ahnden ist. In ihrem Programm „Zukunft op Lëtzebuergësch“ hatte auch die DP während der Wahlkampagne 2018 gefordert, Alexa sowie die Kollegin Siri von Apple sollten moselfränkisches Dialekt lernen. Sogar im Koalitionsabkommen der Dreierkoalition wurde festgehalten, man werde die Möglichkeit prüfen, Spracherkennungsdiensten in Zukunft Luxemburgisch beizubringen. Doch die Amazon-Manager waren am Dienstag sehr zurückhaltend, was Pläne betrifft, Alexa neue Sprachen beizubringen. Es gebe ja eine internationale Version, mit der man sich verständigen könnte, auch wenn sie etwas teurer sei.

Für den kommenden Prime Day verspricht Amazon.de „ein zweitägiges Feuerwerk voller toller Angebote“, Amazon.fr „un festival de ventes flash pendant deux jours“ und Amazon.co.uk „a two-day parade of non-stop deals“. Und in allen diesen Ländern mahnen Verbraucherschützer und Tech-Seiten die Verbraucher, auch am Prime Day die Preise zu vergleichen ,und haben festgestellt, dass die meisten Produkte auch kurz nach dem Ende der großen Schnäppchenjagd wieder ebenso günstig im Angebot sind.

Mehrsprachig und multikulturell wie Luxemburg ist und mangels Amazon.lu, sind hiesige Amazon-Kunden gezwungen, auf unterschiedlichen Webseiten einzukaufen, um die Sachen zu besorgen, die sie im Luxemburger Einzelhandel nicht finden. Denn das ist, wie Alex Ootes, niederländischer Amazon-Manager, wohnhaft und angestellt in Luxemburg, auch für ihn persönlich ein Grund, im Netz einzukaufen. „Wenn sie dann beim Amazon kaufen, ist das doppelt gut für Luxemburg.“ Wie hoch der Marktanteil am Einzelhandel von Amazon in Luxemburg ist, will der Konzern nicht sagen, auch nicht, wie viele Kunden es gibt. Noch geheimer ist, wie viele Prime-Mitglied sind, auch wenn die Einführung von Prime „wirklich sehr geholfen hat“, die Kundenbasis in Luxemburg auszubauen, wie Ootes sagt, der „super happy“ mit der Entwicklung in Luxemburg ist. Nur welche Produktkategorien sie auswählen, das verrät man. In Luxemburg ansässige Kunden kaufen an erster Stelle PCs und das notwendige Zubehör, an zweiter Stelle Bücher, sowohl aus Papier wie digitale, danach Hausrat oder Artikel aus dem Baummarkt, viertens Bekleidungsartikel und Mode-Accessoires und schließlich Sportkleidung, -geräte und Turnschuhe.

Das Einkaufen quer über Länderwebseiten .de, .fr oder co.uk mit ihren verschiedenen Angeboten setzt aber unterschiedliche Kundenkonten voraus, die nicht miteinander verknüpft sind. Beim Nachbestellen der verbrauchten Haushaltsprodukte kann sich der Kunde dann schon mal wundern, dass er sie nicht in den alten Einkaufslisten wiederfindet, bevor er merkt, dass man sie beim letzten Mal nicht in Deutschland, sondern in Frankreich gekauft hat. Eine Lösung für dieses „Problem“ bietet Amazon nicht. Eher barsche Antworten. „Luxemburg wird sehr vorteilhaft behandelt“, sagen Alex Ootes und sein Kollege Lou Santini. Denn die heimischen Kunden seien neben den belgischen die einzigen überhaupt, denen man einen Gratis-Transport ihrer Einkäufe (natürlich ab einer gewissen Summe auf dem Kassenbon) aus zwei Ländern, nämlich aus Deutschland und aus Frankreich, ermögliche. Überhaupt findet Santini, dass die Luxemburger gut wegkommen. Denn schließlich könne man sich glücklich schätzen, eines von nur 17 Ländern weltweit zu sein, in dem der Prime Day angeboten wird – „It’s like magic Christmas in July. So you are very lucky to have it“.

Doch gerade dieses Hin- und Herspringen zwischen unterschiedlichen Länder-Webseiten ist für Luxemburger Kunden auch am Prime Day nicht ganz irrelevant. Denn um am Stichtag „lucky“ zu sein, muss man zwingend Mitglied bei Prime sein, dem Kundenbindungsprogramm von Amazon. Das kostet für Kunden in Luxemburg 5,99 monatlich. Im Gegenzug dafür verspricht Amazon die „Gratis 1-Tages-Zustellung nach Luxemburg“ oder auch den „Gratis-Premium-Versand nach Luxemburg für mehr als eine Million Artikel“. Daneben Zugang zu Twitch, dem Video-Spiel-Streaming-Dienst und Prime Video, dem Streaming-Dienst für Filme und Fernseh-Serien. Bereits das ist weniger als Prime-Mitgliedern in anderen Ländern für ihr Geld geboten wird. In Frankreich können Mitglieder für den gleichen Beitrag die zwei Millionen Titel im Katalog von Amazon Music streamen und auf den Literaturkatalog von Prime Reading zurückgreifen. Das ist Mitgliedern in den Benelux-Ländern bisher nicht möglich. Irgendwelche Pläne, das zu ändern? Alles was Ootes dazu sagen kann ist, dass man „super excited“ mit der Entwicklung von und den Kundenreaktionen auf Amazon Music weltweit ist, „and, er, yes, stay tuned!“

Doch auch das Video-Streaming-Angebot funktioniert für Kunden in Luxemburg nicht immer problemfrei. Obwohl die 5,99 Euro monatlich von der Kreditkarte regelmäßig abgebucht werden, sind nicht immer alle Angebote in Luxemburg verfügbar. Das wird besonders dann absurd, wenn sich beim Versuch, Amazon Originals, also von Amazon selbst produzierte Filme und Serien, abzuspielen, die Botschaften „Included in your prime membership“ und „this title isn’t available in your region“ gleichzeitig auf dem Bildschirm anzeigen. Zu den Amazon Originals gehören durchaus hochkarätige, mit Auszeichnungen überschütte Inhalte, wie die Serien Transparent von Jill Solloway, Fleabag, voll dunkelstem britischen Frauenhumor von Phoebe Waller-Bridge oder die Serie The Marvelous Mrs Maisel, die vergangenes Jahr fünf Emmys gewann. Wie ist es möglich, dass Amazon nicht über die Rechte verfügt, die eigenen Inhalte auf der eigenen Webseite in Luxemburg abzuspielen? Eine weitere Frage, der Lou Santini ohne Humor begegnet. Abertausende Filme und Serien seien verfügbar, sagt er schroff. Nur in „individuellen Fällen“ komme das Gegenteil vor. Das stimmt so nicht ganz, denn die Erfahrung lehrt, dass zwischen Release, der von Amazon groß angekündigt wird, um seine neuen Inhalte zu bewerben, und der Verfügbarkeit in Luxemburg systematisch Zeit vergeht, in der die Kundenfrustration steigt.

Und auch am „Feuerwerk“ der Angebote am Prime Day können die Luxemburger nicht vollständig teilhaben. Das liegt erstens daran, dass die Prime-Mitgliedschaft immer nur auf der Länderseite gilt, auf der man sie beantragt hat. Wer also beispielsweise auf Amazon.de Prime-Mitglied wurde, kann nicht auf Amazon.fr davon profitieren, sondern wird dort wiederum gebeten Prime-Mitglied zu werden. Das ist dann zwar mit einem gebührenfreien Testabo möglich. Aber das relativiert die Versprechen auf die Gratis-Lieferung von Millionen Produkten nach Luxemburg im Gegenzug für 5,99 Euro monatlich durchaus.

Zweitens wird das Prime Day Feuerwerk nicht nur von Amazon selbst, sondern auch von den externen Händlern veranstaltet, die Amazon als Marktplatz nutzen. Und das sind, wie Amazon sogar offiziell zugibt, immer mehr, denn ihr Anteil am Umsatz steigt stetig. Bei wem der Kunde kauft, wird ihm bei der Produktsuche nicht direkt angezeigt. So stellt sich meistens erst nach mühsamem Lesen von hundert Kundenbewertungen heraus, dass das Produkt, das man ausgewählt hat, nicht nach Luxemburg geliefert wird. Dann hat der Kunde die Wahl: Entweder versucht er einen anderen Händler zu finden, der den Versand ins Großherzogtum ermöglicht. Oder er sucht ein anderes Produkt aus. Und probiert dann wiederum durch, ob er es liefern lassen kann. Alex Ootes wird verlegen. Der Großteil, der auf Amazon angebotenen Produkte, sei nach Luxemburg lieferbar, sagt er. Nur bei seltenen Ausnahmen sei das nicht der Fall. „Wir können die Händler nicht zwingen, nach Luxemburg zu liefern.“ Für jene, die weltweit lieferten, sei es schwierig, überall die Anforderungen für die Mehrwertsteuer zu erfüllen. Manchmal hätten sie vom Hersteller nicht die Rechte, nach Luxemburg zu verkaufen, oder der Logistikdienst, mit dem sie arbeiten, decke das Land nicht ab. Manchmal fehle ihnen aber auch schlicht das Interesse. Man arbeite auf jeden Fall daran, möglichst alle Produkte nach Luxemburg lieferbar zu machen, versichert Ootes. Wie das genau gehen soll, wenn man die Händler nicht zwingen kann, darauf haben die Manager keine schlüssigen Antworten. Aber immerhin gehört Luxemburg zu den Ländern im europaweiten Verkaufspaket, das Amazon den Händlern zu Mehrwertsteuerabrechnungszwecken anbietet. Und ist auch im Angebot inbegriffen, wenn die Händler sich für den Versand durch Amazon „Fulfillment by Amazon“, kurz FBA genannt, entscheiden.

Zunehmend, zeigen Statistiken die Marketplace Pulse aus Daten gefiltert hat, die durch die offizielle Meldepflicht für in der EU-aktive Händler entstehen, sind das nicht die liebenswerte Großmutter von nebenan, die Selbstgestricktes und Fair-Genähtes als Start-Up bei Amazon vertreibt. Sondern liebenswerte chinesische Bewohner des Perlflussdeltas, die in Fließbandanlagen gefertigte Elektronik und anderen Ramsch anbieten. 42,5 Prozent der Top-Händler auf den europäischen Amazon-Webseiten sind Chinesen. Das kommt den Kunden entgegen, die PC-Zubehör und Elektronika kaufen, nicht aber denen, die wie die europäischen Amazon-Manger eben auf der Suche nach individuellen Produkten sind, die sie im Luxemburger Einzelhandel nicht finden.

Michèle Sinner
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