Die Klimakrise führt bei vielen Menschen zu starken Emotionen. Ein Gespräch mit der Psychotherapeutin Katharina van Bronswijk über Klimaangst, die Grenzen des Individuums und das westliche Emotionsdefizit

Holz ins Feuer

Katharina van Bronswijk, Gründungsmitglied von Psychologists for Future
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 07.10.2022

d‘Land: Auch wenn es kurzgegriffen ist, die Bandbreite an menschlichem psychischen Leid allein an einem Katalog von Diagnosen wie der ICD-10 (International Classification of Diseases) festzumachen: Klimaangst ist noch keine etablierte Diagnose. Therapeut/innen sind sich derzeit uneinig, ob sie inkludiert werden sollte. Wie definieren sie den Begriff?

Katharina van Bronswijk: Ich würde fest davon ausgehen, dass Klimaangst niemals eine ICD-Diagnose sein wird. Zum einen passt sie nicht in die Systematik der ICD, weil sie Symptomcluster definiert. Das heißt bei Depressionen etwa eine schlechte Stimmung von zwei Wochen. Auch wird die Ursache nicht benannt. Es geht nicht darum, ob man verlassen wurde oder seine Arbeit verloren hat und deswegen depressiv ist. Abgesehen von der PTSD gibt es keine Diagnosen, die von einer Ursache abgeleitet werden. Es ist wichtig, zwischen psychischen Erkrankungen und Gefühlen zu unterscheiden. Wer sich mit der Wissenschaft zum Klimawandel beschäftigt, fühlt sich unwohl. Das ist Klimaangst, und als solche eine normale Reaktion auf eine bedrohliche Situation.

Was fällt konkret darunter?

Das kommt auf den Menschen an. Manche erleben Emotionen im Kopf, sie fangen an, viel zu grübeln. Andere werden wütend über die Handhabung der Politik, da sind wir im Bereich der Klimawut. Es gibt auch ökologische Trauer, wenn Personen an das Tiersterben denken.

Wie verbreitet ist sie?

Sehr. Auch deswegen würde ich sie nicht als psychische Störung qualifizieren. Per Definition sind psychische Krankheiten selten. Je nach Umfrage sind wir bei Klimaangst bei 67 Prozent, also zwei Dritteln der Bevölkerung, bis hin zu 95 Prozent.

Sind alle Bevölkerungsschichten davon betroffen? Oder beschränkt sich das auf die gebildete Mittelschicht?

Das Ausmaß dessen, wieviel man sich mit der Klimakrise beschäftiget, hat eine Auswirkung darauf, wie oft man diese Klimagefühle hat. Wer sehr gut darüber informiert ist, was die momentane Lage wissenschaftlich bedeutet, hat diese Reaktion. Natürlich gibt es jene, die Wissenschaft nicht ernst nehmen, also im Bereich der Verschwörungen agieren, oder Lobbyisten, die dafür bezahlt werden, es offiziell zumindest nicht ernst zu nehmen. Außerdem sind manche Menschen schon sehr stark in der Verdrängung. Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung weiß, dass wir ein Problem haben, fühlt sich aber schon so ohnmächtig, dass sie sich nicht mehr mit der Thematik beschäftigen und Resignation eingesetzt hat. Auch diesen Personen würde es ähnlich gehen, wenn sie mit den Fakten konfrontiert würden.

Angst kann in kleinen Maßen zur Aktion führen, gleichermaßen kann sie überwältigen und Schockstarre einleiten. Junge Aktivist/innen der Klimabewegung berichten von einer Verschlechterung ihrer Psyche und steigen irgendwann aus. Manche Frauen zeigen sich so erschüttert, dass sie die Krise als Grund gegen eine Mutterschaft angeben. Sie sind Verhaltenstherapeutin. Welche psychologischen Strategien gibt es, um mit diesen Angstgefühlen umzugehen?

Nicht die Gefühle an sich stellen das Problem dar, sondern der Umgang damit. In unserer Kultur reicht es bei den Vermeidungsstrategien mit Alkoholbetäubung über Ablenkung und Konsum bis hin zu generalisierten Angststörungen, wo man sich den ganzen Tag Sorgen macht. Sowohl exzessive Arbeit als auch exzessiver Aktivismus können ein schlechter Umgang mit negativen Klimaemotionen sein. Im Optimalfall gibt es verschiedene Arten, wie man Gefühle verarbeitet. Zum einen das problemorientierte Coping, bei dem ich etwas an der Situation verändere. Da die Klimakrise jedoch chronisch ist, kann es nicht nur diese eine Strategie geben. Beim emo-
tionsorientierten Coping geht es um das Verarbeiten. Dann könnte man noch die kognitive Dissonanz verringern, indem man sich die Situation schönredet und die eigene Einstellung verändert, das fällt dann unter Verleugnung und Verdrängung. Wir brauchen in der Klimakrise problemorientiertes Handeln und das emotionale Verarbeiten der Situation, in der wir sind. Die Sinnfrage ist zentral: Wie verorte ich mich im Anthropozän, in dieser Klimakrise? Wer will ich gewesen sein?

Und, wie sind wir damit aufgestellt?

Grundsätzlich haben wir in unserer westlichen Kultur ein Defizit an emotionsorientiertem Coping. Wir sind schlecht darin, unangenehme Gefühle zuzulassen, ihnen Raum zu geben. Das wird uns nicht beigebracht, wir sollen ja dauerhaft glücklich sein. Dann faken wir so ein Glück, was es neurobiologisch gar nicht geben kann. Mit Jugendlichen übe ich morgen in einem Workshop hier, dass es einem auch mal schlecht gehen darf. Das geht dann auch vorbei, wenn man es da sein lässt. Gefühle sind wie ein Feuer, die Gedanken das Holz. Wenn wir immer wieder Holz nachlegen, kann das Gefühl ewig andauern.

Jeder weiß, wie schwer es ist, Veränderungen im eigenen Leben zu integrieren, vor allem wenn sie unseren Komfort betreffen. In ihrem Buch gehen Sie auf die menschlichen Eigenschaften ein, die dazu führen, dass wir das Problem nicht angehen. Der Professor für Umweltpsychologie Gerhard Reese machte es vergangene Woche im Radio 100,7 an „Denkstrukturen“ fest. Woran liegt es Ihrer Meinung nach?

Es gibt unglaublich viele psychologische Hürden zu überwinden. Werte spielen eine Rolle: Wie wichtig ist mir Naturschutz? Berührt die Problematik mich? Auch kognitive Verzerrungen stehen im Weg, unsere Gehirne sind nicht dafür gemacht, solche komplexen Probleme zu verarbeiten. Lange ging es um Eisbären auf Eisschollen, die Verbindung der Eisbären zum eigenen Auto ist aber unglaublich weit, und wir bekommen kein direktes Feedback für unser Verhalten. Wenn man an Pazifikinseln denkt, die in hundert Jahren untergehen, ist das auch weit weg. Jetzt, da die Klimafolgen in Europa zunehmen, steigt auch hier das Problembewusstsein. Dann kommt die Frage der Handlungsoptionen und ihrer Wirksamkeit hinzu. Viele wissen zwar, wie man den CO2-Fußabdruck reduziert, aber wenn ich heute auf ein Steak verzichte, ist morgen die Welt auch nicht gerettet. Die Selbstwirksamkeit fehlt noch. Die Lösung ist die kollektive Ebene, die wir aber auch nicht so gut denken können. Auch dass wir sehr über soziale Normen gelenkt sind, stellt eine Hürde dar. Wenn es normal ist, mit dem Auto zu fahren und Fleisch zu essen, hinterfragt man das nicht unbedingt, wenn man so sozialisiert wurde. Es ist ein Prozess und braucht Arbeit.

Mittlerweile etablieren sich Therapieangebote und ein ganzes Business um Klimaangst. Ist es nicht so, dass das System erkrankt ist und die Menschen einfach darauf reagieren – und wir Gefahr laufen, die Klimakrise zu entpolitisieren, wenn wir uns zu sehr auf das Individuum fokussieren?

Aktuell ist es in der westlichen Gesellschaft noch nicht möglich, klimaneutral zu leben. Dementsprechend brauchen wir politische Veränderungen. Unsere Gesellschaft ist individualistisch, das Klima zu retten, obliegt aber nicht der Kaufentscheidung einer Einzelperson. Als Psychologists for Future kritisieren wir die Individualisierung des Problems, die viele Facetten hat. BP hat Anfang der Nullerjahre den CO2-Fußabdruck sehr gepusht, um systemische Veränderungen zu verhindern. Des Weiteren werden Klimahysterie oder Eco-Anxiety als Probleme der Verarbeitung von Menschen, die zu sensibel sind, abgetan. Auch das hört man von der Gegnerschaft der Klimabewegung. Die Kränkung, dass wir nicht so rational sind, wie wir denken, haben wir immer noch nicht verkraftet. Und der Begriff Resilienz wird ebenfalls immer wieder benutzt, damit wir widerstandsfähiger werden, um diese Dinge auszuhalten. Man zieht es vor, daran zu arbeiten, dass Menschen widrige Umstände besser aushalten, als am System etwas zu verändern. Wir Menschen sollen quasi aushalten, dass wir unsere Lebensgrundlage zerstören.

Der pausenlose Nachrichtenzyklus wirkt auf Klimaangst wie ein Verstärker. Man spricht über Social-Media-Hygiene, den gleichen Begriff sollte man vielleicht auch auf Medien anwenden. Viele Menschen tun sich immer schwerer damit, das Handy wegzulegen. Wie analog muss der Mensch sein, um die Klimakrise anzugehen?

Zunächst sollte man sich klarmachen, weshalb man sich informiert. Die Informationssuche kann auch ein Weg sein, die Illusion der Kontrolle zu haben. Für die Stimmung ist das nicht gut. Die Aufgabe ist, das Kontrollbedürfnis mit dem Stimmungsmanagement auszubalancieren. Leider wird wenig über die Handlungsoptionen und die Lösungsmöglichkeiten berichtet, über Visionen. Die Transformation ist langsam, aber sie ist schon in vollem Gange. Es dauert mehrere Jahrzehnte, bis sich eine Gesellschaft verändert hat. Die kleinen Momente, an denen wir erkennen, dass wir uns schon verändert haben, die müsste man mehr in den Vordergrund rücken. Einer Studie nach erzeugen negative Schlagzeilen zwar Aufmerksamkeit, doch positive Nachrichten führen zu Abonnements. Der Mensch bleibt aktiv, wenn er positive Erlebnisse hat.

Sie sprechen von Zeitspannen, die wir eigentlich nicht mehr haben.

Ich weiß auch nicht, ob wir es schaffen werden. Für 1,5 Grad ist die Wissenschaft ja schon sehr pessimistisch. Vielleicht gibt es eine zeitweise Überschreitung, nach der wir es wieder schaffen, die Erde auf diese 1,5 Grad zu stabilisieren. Das ist meine Hoffnung. Jedes Viertelgrad und jede Tonne zählt. Es ist am Ende vielleicht auch egal, welches Ziel wir erreichen, solange wir möglichst schnell möglichst viel tun.

Irgendwie doch ein sehr modernes Phänomen, diese globale Krise und zeitgleich der eigene Schutz vor zu viel Information davon.

Wir sollten uns jedenfalls nicht nur über Vermeidung unterhalten, sondern auch über Annäherungsmodelle. Ich benutze da gerne die Metapher: Stellen Sie sich vor, Sie steigen in ein Taxi und sagen dem Fahrer, fahren Sie mich nicht zum Hauptbahnhof. In dem Zustand sind wir gerade, wir können uns die Zukunft noch nicht ausreichend vorstellen. Die Transformation beginnt in Nischen, die dann in den Mainstream hineinwirken, zum Beispiel über politische Maßnahmen.

Die Energiepreise steigen, nebenan tobt Krieg. Gleichzeitig predigen Umweltorganisationen Bio-Essen, Fahrradfahren und Zugreisen. Ist die Predigt des Verzichts nicht sehr weit entfernt vom Leben der meisten Menschen von und dem, was sie umtreibt?

Die Vorbehalte der marginalisierten Gruppen in der Gesellschaft sind natürlich, dass das bisschen Freude am Konsum ihnen nun weggenommen wird. Und der Rest bleibt unbezahlbar. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde dieses Problem lösen. Wer will ich sein in dieser Zeit? Wie will ich meine Freizeit gestalten? Welchen sinnvollen Job will ich machen, anstatt nur einen, mit dem ich meinen Lebensunterhalt sichern kann? Anstelle einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik würde ich mir ein gemeinwohlorientiertes Modell wünschen. Statt das Bruttosozialprodukt zu steigern, bräuchte man ein Bruttosozialglück. Das wären zwei Grundlagen, die ganz neue Möglichkeiten eröffnen würden. Generell haben Menschen einen finite pool of worry und einen finite pool of attention. Doch aktuell kann die Klimakrise nicht mehr so aus dem Bewusstsein verdrängt werden wie noch vor über zehn Jahren während der Finanzkrise, die Pandemie und der Ukraine-Krieg zeigen das. Da sieht man meiner Ansicht nach schon einen Kultur- und Bewusstseinswandel. Andererseits ist es schon so: Wenn Menschen noch nicht unmittelbar betroffen sind, priorisieren sie natürlich die Mahlzeit auf dem Tisch, bevor sie demonstrieren gehen.

Zurzeit ist das immer noch die Mehrheit der Menschen. Wie verhält es sich mit sozialen Kipppunkten?

Um einen sozialen Kipppunkt auszulösen, wo kleine Veränderungen große Wirkungen haben, reichen zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung. Die Prozesse sind langwierig, aber diesen Prozentsatz haben wir erreicht. Eine Studie der Professorin Ilona Otto über die gesellschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels zeigt, welche Kipppunkte im sozialen System prioritär wären, um die Einhaltung der Klimaziele bis 2030 noch irgendwie hinzubekommen. Zum einen klimaschädliche Finanzströme möglichst schnell zu streichen, zum anderen Desinvestition, sodass klimaschädliche, fossile Projekte nicht mehr versichert und über große Investoren finanziert werden. Der nächste Schritt ist die Wärmewende und die Begrünung von Städten. Langfristige tipping points sind die Veränderung des Bewusstseins und Bildung, bei Zeiträumen von 20 bis 30 Jahren. Auch da sind wir schon relativ weit: Umfragen des Umweltamtes zeigen regelmäßig, dass das Umweltbewusstsein hoch ist. Das macht Hoffnung, weil man dann die zehn bis 25 Prozent der Leute aktivieren kann.

Die Resignation der jungen Aktivist/innen ist also kein Grund zur Sorge?

Die Frage ist, wie gut man sich mit politischen Strukturen auskennt. Wenn ich erwarte, dass ich ein Jahr lang jeden Freitag auf die Straße gehe und sich dann die gesamte Politik verändert, werde ich enttäuscht. Das funktioniert so eben nicht. Ich bin seit 2009 in der Klimabewegung aktiv. Man darf die Erwartung nicht zu hoch ansetzen, Politik ist immer auch Kompromissbildung. Die politischen Mühlen drehen sich unglaublich langsam, realistisch zu bleiben, hilft.

Katharina van Bronswijk ist Psychotherapeutin und seit 2009 im Umweltschutz aktiv. Sie ist Gründungsmitglied und Sprecherin von Psychologists for Future. Kürzlich erschien ihr Buch Klima im Kopf. Angst, Wut, Hoffnung: Was die Klimakrise mit uns macht im Oekom Verlag. Darin untersucht sie unter anderem, was uns trotz besserem Wissen daran hindert, aktiver zu werden. Sie betreibt eine eigene Praxis in der Lüneburger Heide.

Sarah Pepin
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