Die Regierung kauft die Luxair-Anteile der Lufthansa, um sie weiterzuverkaufen. An wen, wird eine Überraschung

Pokerface

d'Lëtzebuerger Land vom 13.11.2015

Der Luxemburger Staat übernimmt einstweilen die Luxair-Aktien, die Lufthansa seit Juli dringend loswerden wollte. Dadurch steigt die Beteiligung des Staates von 39,05 auf 52,05 Prozent. Bis Ende nächster Woche soll die Transaktion abgeschlossen sein, denn die anderen Aktionäre (BCEE: 21,81 Prozent, Bil: 13,14 Prozent und Luxair: 12,86 Prozent) müssen der Transaktion noch zustimmen, obwohl sie ihr Vorkaufsrecht bereits abgetreten haben, und der Staat kein neuer Aktionär ist. So sehen das die Statuten vor. Auch deshalb konnte Lufthansa „überzeugt“ werden, der Regierung doppelt so viel Zeit wie vorgesehen einzuräumen, um von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen: Hätte Lufthansa gegen den Willen der Regierung an jemand anderen verkauft, hätte der neue Aktionär von den anderen einfach abgelehnt werden können.

Dass die verbleibenden Aktionäre Lufthansa damit eigentlich in der Hand hatten, dürfte sich zugunsten der Regierung auf den Kaufpreis ausgewirkt haben. Doch darüber schwiegen François Bausch, Nachhaltigkeitsminister (déi Gréng) und Tom Weisgerber, erster Regierungsrat, während ihrer Pressekonferenz am Dienstag eisern. Sie sind äußerst bemüht, eine „Cargolux-Situation“ zu vermeiden. Als Qatar Airways vor drei Jahren bei Cargolux ausstieg, war der Preis bekannt, den die Regierung gezahlt hatte. Und jeder Stammtisch, ob reell oder im Internet, diskutierte während der Suche nach einem neuen Aktionär mit, was besagte Suche nicht unbedingt einfacher machte.

Auch jetzt kauft der Staat erst einmal die Aktien auf, um sie weiterzuverkaufen. An wen? Auch das wollten Bausch und Weisgerber nicht sagen, auch wenn es Bausch so schwerfiel, dass er rot anlief. Es gebe mehrere „Pisten“, sagte er, und man halte sich alle Optionen offen. Offiziell dürfen sie ohnehin erst anfangen, mit einem neuen Käufer zu verhandeln, wenn die Portage-Operation unter Dach und Fach ist. Die Aktien könnten nicht dauerhaft im Besitz des Staates bleiben, da man sonst einen „kritischen Brief“ aus Brüssel riskiere, erklärte der Minister am Dienstag. Will man aber wirklich keine Post aus Brüssel, muss der neue Aktionär mindestens so viel zahlen, wie der Staat der Lufthansa, sonst könnten die Wettbewerbsbehörden dennoch eine versteckte Staatsbeihilfe vermuten. Auch deshalb ist das Manöver wieder delikat.

Als kommerzielle Privatgesellschaft brauche die Luxair außerdem einen neuen privaten Investor, betonte François Bausch. Ob es ein Finanzinvestor werden soll oder ein „industrieller“ Partner? Da gab er sich offen. Nur solle es ein privater Aktionär sein, der vorhabe zu bleiben, damit man die Gesellschaft gut für die Zukunft aufstellen könnte. Dabei ist fraglich, weshalb irgendein Investor 13 Prozent der Luxair kaufen sollte. Deshalb gebe es auch die Möglichkeit, einem neuen Aktionär mehr als den alten Lufthansa-Anteil zu bieten, damit eine Sperrminorität zustande komme. Wie genau die nötigen 33 Prozent zusammenkommen würden, erklärte der Minister nicht, deutete aber an, es gebe ja andere Aktionäre, die verkaufen wollten. Damit meint er die Bil, deren Vertreter eine solche Absicht bisher öffentlich immer abgestritten haben. Wie würde das auch aussehen, wenn die Bank, die über einen Investmentfonds der katarischen Herrscherfamilie gehört, ihr Luxemburger Tafelsilber verscherbeln würde? Für die Verwurzelung in Luxemburg wäre das nach dem Cargolux-Trauma sicherlich nicht förderlich.

Lufthansa selbst hatte ihren Abgang damit erklärt, dass sie mit 13 Prozent nichts in der Luxair mitentscheiden könne. Auch Lufthansa habe man daraufhin eine Sperrminorität angeboten, bestätigte Bausch am Dienstag. Aber sie habe sie nicht gewollt.

Als die deutsche Gesellschaft Anfang der Neunziger in Luxemburg einstieg, tat sie das, um sich einen Zubringer für ihre Langstreckenflüge ab dem Drehkreuz Frankfurt zu sichern. So funktionierte das dann auch lange Zeit. Auf der von Luxair geflogenen Frankfurt-Route betrug der Umsteiger-Anteil 2014 85 Prozent; die meisten Passagiere stiegen am Main in ein Großraumflugzeug der Lufthansa nach Übersee um. Ab 2009 wurde Luxair integrierter Partner des Lufthansa-Vielflieger-Programms Miles and More. Der Luxair-Aktionär BCEE führte die Mastercard Miles and More ein. Spätestens ab da war Luxemburg als Lufthansa-Gebiet annektiert. Als die deutsche Gesellschaft anfing, das Überseegeschäft ab München auszubauen, zog Luxair mit und steigerte die Flugfrequenz zwischen Luxemburg und der bayrischen Hauptstadt. Doch weil es so gut lief – das erfuhr der Aktionärsvertreter im Verwaltungsrat –, und sie selbst über ein freies Flugzeug verfügte, entschied Lufthansa 2010 Luxair auf der München-Route Konkurrenz zu machen. Ab da stellte sich die Frage, wie freundlich der eigene Aktionär der Luxair noch gesinnt war, und die Lufthansa-Präsenz wurde ein wenig misstrauisch beäugt. Dass die Lufthansa nun selbst auf der Frankfurt- und der München-Route fliegt, ist auf die Veränderungen innerhalb des Lufthansa-Konzerns zurückzuführen, der selbst eine regionale Flotte betreibt. Warum also Kapital in einer Minderheitsbeteiligung bei der Luxair binden?

Womit aber könnte Luxair einen neuen Partner locken? Wiederum mit einem regional europäischen Zubringer- und Verteilungsnetz? Dieses Argument würde, das hat Lufthansa demonstriert, wohl nur bei einer Gesellschaft ziehen, die über kein eigenes europäisches Netz verfügt, also von außerhalb Europas stammt. Am besten aber nicht von zu weit weg, denn im Linienfluggeschäft setzt Luxair vor allem Propellerflugzeuge der Firma Bombardier ein, deren Reichweite, beziehungsweise Geschwindigkeit, auf 2 500 Kilometer und 667 Stundenkilometer beschränkt ist. „Der Findel ist der am schnellsten wachsende Flughafen in Europa“, kommentierte François Bausch am Dienstag die steigenden Passagierzahlen am Flughafen Findel, um zu unterstreichen, dass Luxemburg ein interessanter Fliegerei-Standort sei. Dass immer mehr Passagiere am Findel gezählt werden, geht teils auf die Präsenz der Billigflieger zurück. Tatsächlich konnte auch die Luxair ihre Passagierzahlen in den vergangenen Jahren deutlich steigern. Nur: So lange die Kunden Mitglied beim Vielflieger-Programm der Lufthansa bleiben, weil sie dort Flugmeilen angesammelt haben und ihre Hausbank ihnen eine M&M-Kreditkarte verkauft hat, kann davon kein neuer Luxair-Partner profitieren.

Angesichts dieser nun ärgerlichen Verstrickungen, fragt sich, wie interessant es überhaupt für den „letzten Mohikaner“ iat, wie Luxair-CEO Adrien Ney die letzte unabhängige Regional-Airline in Europa einmal nannte, eine neue Partnerschaft mit einem „industriellen Partner“ einzugehen. Auch einem Finanzinvestor hat Luxair nicht viel zu bieten. Denn das Unternehmen zahlt keine Dividenden. Vor drei Jahren hatte die Linienflugsparte einen Rekordverlust von über 19 Mil­lionen Euro eingeflogen und die Luxair-Gruppe als Ganzes den ersten Verlust seit 30 Jahren verbucht. Seither hat die Linienflugsparte eine spektakuläre Erholung vollbracht. In den vergangenen Jahren hat die Airline Passagierzuwachsraten von um die 15 Prozent aufzuweisen, obwohl die Flotte nur wenig vergrößert wurde. Nachdem während der großen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 die Geschäftskundschaft vollends verschwand, konnte das Unternehmen gar nicht anders als der Freizeitkundschaft mehr und günstigere Tickets anzubieten und diese Preisstrukturänderung auch zu bewerben. Es hatte lange gedauert, bis man bei der Luxair zur Einsicht gelangte, mit der Billigflieger seit Jahrzehnten funktionieren: Viel Kleinvieh macht auch etwas Mist. Doch wer in den vergangenen Monaten Luxair geflogen ist, konnte beobachten, wie gut besetzt die Flüge mittlerweile sind. Ohne den Dolchstoß der Lufthansa wäre es der Airline dieses Jahr wahrscheinlich gelungen, das erste Mal seit zwölf Jahren keinen Verlust zu machen.

Um dieses Wachstum auszubauen, beschloss der Verwaltungsrat Anfang des Jahres, die Flotte umzubauen, um größere Flugzeuge einsetzten zu können. Zwar verfügt das Unternehmen über hohe Rücklagen – Ende 2014 hatte die Firma Eigenkapital und Reserven von 314 Millionen Euro angesammelt. Aber dennoch müsste ein neuer Investor erst einmal Geld auf den Tisch legen, um diesen anstehenden Flottenumbau mitzufinanzieren. Warum sollte das jemand machen, wenn die Rendite ohne Dividenden gleich Null ist?

Ob sich jemand für die Frachtsparte der Luxair interessieren könnte, der das gut ausgebaute Cargo-Zentrum in Findel gehört? Erst im Juli 2012 hatte das Schweizer Logistikunternehmen Panalpina seine zwölf-prozentige Beteiligung an den Luxemburger Staat abgetreten, mit ähnlichen Argumenten wie Lufthansa: Man habe das Beteiligungsportfolio bereinigt und die einzige verbleibende Minderheitsbeteiligung aufgegeben...

Mehr denn je stellt sich also die Frage, welche Rolle der Exot Luxair im europäischen Flugverkehr spielen kann und soll. Trotz dieser Voraussetzungen will François Bausch die Luxair-Anteile bis Jahresende wieder verkauft haben – dadurch würde die Operation im Haushalt neutral bleiben, erklärte er am Dienstag. Er sei sehr optimistisch und das obwohl es noch keine Verhandlungen mit einem potenziellen Abnehmer geben soll. Sollte das Vorhaben gelingen, wäre das ein wahres Kunststück. Es sei denn, er blufft.

Michèle Sinner
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