Lieber als im Parlament wollte seine Partei ihn in der Regierung wissen. Dort hat Dan Kersch als Innenminister viel erreicht. Aber auch des öfteren für Krach gesorgt, vor allem mit den Grünen

Politik als Kampf

Zu Besuch im Rettungskräfte-Einsatzzentrum Ettelbrück am 1. Juli. CGDIS. Die Fusion von Feuerwehr und Zivilschutz war nicht das
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d'Lëtzebuerger Land du 12.10.2018

Ob ein Minister vor den Wahlen seine Arbeit bilanziert, ist ihm überlassen, was er dabei erwähnt, natürlich auch. Als LSAP-Innenminister Dan Kersch vergangene Woche Bilanz zog, standen auf seiner Liste zwölf „wichtige“ Errungenschaften. Das ist viel und von der Menge kann man halten, was man will. Auf jeden Fall aber sind darunter einige Vorhaben, die lange anhängig waren. Dass die Distriktskommissare als verlängerter Arm des Innenministers gegenüber den Gemeinden „ein Relikt aus dem Postkutschenzeitalter“ seien, wurde schon vor 20 Jahren beklagt. Kersch schaffte sie ab und ersetzte sie durch einen Berater-Dienst im Ministerium. Über die Reform der Gemeindefinanzen wurde seit der Jahrtausendwende immer wieder diskutiert, Dan Kersch zog 2016 eine durch. Auch die Fusion von Feuerwehren und Zivilschutz war seit 15 Jahren ein politischer Dauerbrenner, ehe Kersch sie dieses Jahr zu Ende führte. Nicht zu vergessen der Konflikt um die Kirchenfabriken: Zu behaupten, vor allem Kersch habe die Trennung von Kirche und Staat vollzogen, wäre übertrieben. Aber dass die Gemeinden nicht länger für die Defizite der lokalen Kirchen aufzukommen und ihnen Pfarrwohnungen zur Verfügung zu stellen haben, wurde unter seiner Regie durchgesetzt. Weil anschließend der Streit mit dem Kirchenfabriken-Syndikat Syfel um den Kierchefong anderthalb Jahre dauerte und Kersch von „Enteignung“ über „verrückt“ bis „Kommunist“ alles mögliche attestiert wurde, konnte am Ende doch der Eindruck entstehen, vor allem er habe Kirche und Staat getrennt.

All das ist auch deshalb bemerkenswert, weil er nach den Wahlen von 2013 nicht unbedingt für ein Ministeramt prädestiniert war. Als Fünftgewählter auf der LSAP-Südliste hinter Jean Asselborn, Mars Di Bartolomeo, Alex Bodry und Lydia Mutsch schien er eher als Abgeordneter denn als Minister in Frage zu kommen. Doch die LSAP-Führung zog es vor, Kersch in der Regierung zu wissen: Als Mitglied der Kammerfraktion war er ihr zu unberechenbar. Neben der früheren Escher Bürgermeisterin Vera Spautz war er der prominenteste Vertreter jenes linken Flügels, der sich 2009 in der LSAP gebildet hatte und im April 2010 durchsetzte, dass ein Parteikongress zu den Indexmanipulationen stattfand, denen die LSAP kurz zuvor in der Koalition mit der CSV zugestimmt hatte. Auf dem Mutferter Kongress drohten die Linken um Kersch und Spautz, dafür zu sorgen, alle weiteren Sparmaßnahmen, die die LSAP mittrüge, ebenfalls einem Parteitags-Votum zu unterwerfen.

Noch heute erzählt Dan Kersch nicht ohne Stolz, wie er vor acht Jahren beinahe die damalige Regierung zu Fall brachte. Da ist es nicht ohne Ironie, dass er 2013 ausgerechnet das Innenministerium übernahm – eine der konservativsten Regierungsinstanzen, weil ihr unter anderem die tutelle über die Gemeinden obliegt. Doch in den Gemeinden scheint Zufriedenheit mit den fünf Jahren Innenminister Kersch zu überwiegen. Sich selber schreibt der frühere Monnericher Bürgermeister (2006-2013), Staatsrat (2011-2013) und Präsident des Gemeindeverbands Syvicol (2009-2012) zu, das Innenministerium „reorganisiert“ zu haben. Stattgefunden habe „un changement de philosophie, le ministère de l’Intérieur agissant plutôt comme partenaire des communes qu’en tant qu’autorité de tutelle“, hat Dan Kersch an die erste Stelle der seiner Meinung nach zwölf wichtigsten missions accomplies der Legislaturperiode setzen lassen.

Auf jeden Fall folgte mit ihm ein starker Innenminister auf neun Jahre Führungsschwäche. Auch Jean-Marie Halsdorf von der CSV hatte eher Partner als Übervater der Gemeinden sein wollen. Er war Petinger Bürgermeister gewesen und Syvicol-Generalsekretär. Doch ihm entglitt politisch so gut wie jedes Vorhaben. Er diskutierte vieles an, führte aber wenig zu Ende. Am fatalsten war vielleicht sein Wirken in der Wasserpolitik, die bis zum Regierungswechsel 2013 im Innenministerium verantwortet wurde: Halsdorf ließ sich von einer Wasserpreis-Debatte treiben, aus der ihn am Ende seine Beamten retteten. Den Schutz der Trinkwasserquellen vernachlässigte er darüber, auch aus Rücksicht auf die der CSV als Wahlklientel so wichtigen Landwirte.

Dagegen ist Dan Kersch ein Alphatier, bei dem nicht nur in Wahlkampfzeiten jede Äußerung politisch gemeint ist, sondern zu normalen Zeiten jede zweite. Er behielt über jedes Vorhaben seines Ministeriums die politische Kontrolle; dass Beamte bestimmten, was sein sollte, duldete er nicht. Dazu passt, dass das Innenministerium nach wie vor keinen Pressesprecher hat: Seine Politik erläutert Dan Kersch und sonst keiner.

Vermutlich hat ihm seine Auffassung, dass Politik viel mit Kampf und Kontrolle zu tun hat, geholfen, einen Konflikt wie den um die Kirchenfabriken nicht nur durchzustehen, sondern auch zu vermeiden, dass zu viele Zweifel am Inhalt dieser Reform laut wurden. Denn so klar fiel die Trennung von Kirche und Staat nicht aus: Der vom Bistum verwaltete Kierchefong, in den die Kirchenfabriken aufgingen, erhielt die Privilegien einer öffentlichen Einrichtung zuerkannt. Er ist von der Körperschaftssteuer, der Gewerbesteuer und der Vermögenssteuer befreit. Das Bistum, das sich den Fonds gewünscht hatte, wurde nicht schlecht bedient.

Politik als Kampf aufzufassen, kann auch heißen, einen starken Gegner nicht unnötig herauszufordern. Als Halsdorf über eine Gemeindefinanz-Reform beraten ließ, stand auch eine Umverteilung von der „reichen“ Hauptstadt an „ärmere“ Gemeinden zur Debatte. Dabei hatte schon Halsdorfs Vorgänger Michel Wolter, beileibe kein Zartbesaiteter, die Erfahrung gemacht, dass eine Politik gegen den Schöffenrat von Luxemburg-Stadt durchsetzen zu wollen, so gut wie unmöglich ist. Kerschs Finanzreform vermied das von vornherein. Sie stellte die Hauptstadt ein klein wenig besser, die anderen bevölkerungsreichen Gemeinden deutlich besser. Von den übrigen verloren manche etwas, aber nicht viel. Das konnte nicht zuletzt klappen, weil die Regierung bereit war, den Gemeinden 90 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich aus der Staatskasse zu geben. Durch die Reform mehr Verteilungsgerechtigkeit hergestellt zu haben, bescheinigte Kersch im April auch die Zentralbank.

Auch die Rettungsdienstereform hatte einen Finanz-Aspekt, und Luxemburg-Stadt wurde entgegengekommen. Die Frage, wann ihre Berufsfeuerwehr dem gemeinsamen Rettungsdienstekorps CGDIS beitrete, drehte sich nicht nur darum, wann dieses so professionell sein würde wie die Stater Beruffspompjeeën. Es ging auch um die Finanzierung des CGDIS. Eine Zeitlang stand im Raum, die Hauptstadt nicht nach der Einwohnerzahl bezahlen zu lassen, sondern nach dem Risiko, dass auf ihrem Territorium ein Einsatz nötig würde. Das hätte berücksichtigt, dass sie werktags durch die Berufspendler zur 300 000-Leute-Stadt wird. Am Ende wurde entschieden, alle Gemeinden zur Hälfte nach der Einwohnerzahl beitragen zu lassen und zur anderen Hälfte nach ihrer Finanzkraft. Unter dem Strich subventionieren die anderen Gemeinden Rettungseinsätze in der Hauptstadt.

Der Vorsatz, dass nur er über die Politik seines Ressorts entscheide, führte Dan Kersch zwangsläufig in Konflikte mit dem grünen Koalitionspartner: Über kommunale Planungen und Bauvorhaben entscheiden das Innen- und das Umweltministerium. Krach gab es zum Naturschutz. Kersch, bis 2013 im Hauptberuf Umweltberater der Gemeinde Bettemburg, verbat sich „Belehrungen“ und hätte es am liebsten gehabt, wenn innerhalb der kommunalen Bauperimeter keine Naturschutzauflagen gälten. Musste er sich sagen lassen, dass das auch nach EU-Recht nicht geht, konnte es im Regierungsrat hoch hergehen. Die konsensbeflissene Umweltministerin, die Politik mit Gesprächen am Tisch verbindet statt mit Kampf, war es nicht, die dann außer sich geriet und bisweilen sogar zu Drohungen griff.

Aber Dan Kersch ist einer, dem die politische Debatte in Luxemburg generell nicht gepfeffert genug ist. Eigentlich würde er lieber in Frankreich streiten als hier, daran haben die fünf Jahre als Hausherr in der Beaumontsgaass nichts geändert. So, wie er früher im Tageblatt seiner Partei vorwarf, sozialistische Prinzipien zu verraten, streut er heute, die Gewerbekapitalsteuer gehöre wieder eingeführt, obwohl das nicht im LSAP-Wahlprogramm steht. Dem sozialen Fortschritt mag der früher in der Kommunistischen Partei Aktive stärker verpflichtet sein als viele linksliberal gewendete LSAP-Genossen. Mindestens ebenso verpflichtet ist Kersch seinem Ego. Dass er 2013 einer der ersten war, der Etienne Schneiders Spitzenkandidatur unterstützte, war vielleicht weniger ein strategischer Zug, weil er meinte, nur mit Schneider sei die LSAP in der Regierung zu halten, sondern eine Retourkutsche an Lucien Lux, seinen einstigen politischen Mentor: Der hatte, noch ehe die Partei darüber entschied, im Radio Jean Asselborn zum Spitzenkandidat erklärt.

Oder war das doch Strategie, wie heute, da Kersch warnt, eine Regierung ohne LSAP werde den Sozialstaat abbauen, und für Schneider eintritt wie ein Löwe? Dann wäre es vielleicht auch Strategie gewesen, dass er seine Ideen zur Reform der Grundsteuer für sich behielt. Als Nachschlag zu Pierre Gramegnas Steuerreform statt in sie eingebettet, hätten sie leicht als Belastung wenig vermögender Eigenheimbesitzer verstanden und Kersch wie der LSAP schaden können. Doch andererseits ist es nicht zuletzt Kersch, der die Erzählung spinnt, Haupthindernis für mehr kommunalen Wohnungsbau seien Umweltauflagen. Darin steht er der DP näher als Vera Spautz, die in Esch/Alzette so gut sie konnte gegen Spekulation vorzugehen versuchte – und vergebens hoffte, der Innenminister werde die entscheidende Initiative für eine nationale Spekulationssteuer ergreifen.

Peter Feist
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