Auf der Kinnekswiss schwenkte die KPL gegen drei Uhr ihre roten Fahnen, Demonstrierende gegen den Krieg in Gaza hielten palästinensische Flaggen, und Althippies verströmten den Duft ätherischen Lavendelöls. Seit 2019 finden in Luxemburg-Stadt wieder Ostermärsche statt. Die Einladung dazu erreichte die Redaktionen mit einem bunten Peace-Zeichen – versendet von der Friddens- a Solidaritéitsplattform. Der beigefügte Text rahmte die Manifestation im Vorfeld als Zeichen gegen Hass, Rassismus, Faschismus und Antifeminismus. Vermutlich um zu verhindern, dass sich angeblich friedensbewegte Neurechte dem Marsch anschließen. Oder weil man sich breiter aufstellen möchte, um mehr Menschen zu erreichen. Schwer zu sagen, wieviele dem Aufruf folgten, dem Eindruck nach mehr als Hundert.
Im Gespräch mit dem Land zeichnet Parteipräsident Ali Ruckert die KPL als einzige echte Friedenspartei: „Déi Lénk stimmen mittlerweile auch für die Unterstützung der Ukraine und die Grünen sind mit François Bausch ja schon längst übergelaufen. Nur noch die KPL steht für Abrüstung.“ Nachdem Luxemburg 1949 Mitbegründer der Nato wurde, beteiligte sich die Kommunistische Partei an der Gründung des Mouvement National de la Paix, das sich für Abrüstung und die Abschaffung der Luxemburger Armee einsetzte und organisierte Demos gegen den Koreakrieg (1950-1953). Ali Ruckert selbst nahm ab den 1980er-Jahren regelmäßig an Friedensdemonstrationen teil. „Wir haben gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert und in Sanem zugleich gegen das Nato-Logistikzentrum. Eine Unterschriftenaktion mit 3 800 Unterzeichnern zeigte, dass viele Bürger nicht begeistert von dem Lager waren“, erinnert er sich.
Der Nato-Doppelbeschluss verfolgte einerseits das Ziel, durch die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Westeuropa Druck auf die Sowjetunion auszuüben, trat andererseits aber zugleich für Verhandlungen zur Abrüstung ein. In dieser Zeit erlebten die Ostermärsche, die in den 1950er-Jahren in England ihren Anfang nahmen und sich vorrangig gegen Atomwaffen richteten, ihren Höhepunkt. „Viele betrachteten den Beschluss als gefährliche Aufrüstungspolitik und als potenzielle Eskalationsdynamik des Kalten Kriegs. Die Angst vor einem Atomkrieg war groß, deshalb nahmen in Städten wie Bonn Hunderttausende an den Ostermärschen teil“, ordnet der Historiker Mohamed Hamdi ein, der im Rahmen einer Konferenz im Herbst 2024 in der Nationalbibliothek einen Vortrag zur Friedensbewegung hielt. Neben dem Lager der sowjetnahen Kommunisten gab es Sozialisten und Linkskatholiken, die in der Friedensbewegung aktiv waren. Führende Köpfe waren der Historiker und Forum-Mitgründer Michel Pauly, Alex Bodry (LSAP), der Historiker Denis Scuto, Lucien Lux (LSAP), Mars Di Bartolomeo (LSAP), der Journalist Jacques Drescher und der Gewerkschafter André Roeltgen. Personen wie François Bausch, Muck Huss und Jupp Wagner fanden in der Friedensbewegung zusammen und gründeten 1983 die grüne Partei. Auch Raymond Becker, der den Ostermarsch seit 2019 organisiert, war Grünen-Mitglied. Sie opponierten 1973 bis 1977 bereits gemeinsam gegen den Bau des Atomkraftwerks Remerschen.
Ruckert lebte von 1978 bis 1980 in Moskau, wo er Korrespondent der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollék war und Wirtschafts- und Philosophie-Vorlesungen besuchte. Er sei aber nicht prinzipiell auf der Seite von Russland, für ihn aber stehe fest, dass die Ukraine Russland mit seinem Nato-Beitritt provoziert habe. Erwidert man, dass die Ukraine kein Nato-Mitglied sei, wird Ruckerts Stimme laut: „Mee se wëllen awer.“ Würde Russland den südwestlichen Nachbarn nicht mehr angreifen, wäre man deshalb weiterhin in einem kriegsähnlichen Zustand. Fragen zu Souvernitätsbemühungen einer Nation und Völkerrecht führen ins Nichts. Hinter Ruckert macht ein KPL-Mitglied Lärm mit einer Drehklapper, Ali Ruckert hat ein Megafon in der Hand; während des Umzugs fordert er einen Finanzierungsstopp der Luxemburger Armee und Nato.
Diese Forderung sorgte in der Einkaufsstraße für den einen oder anderen kuriosen Blick. Im 20. Jahrhundert war in Luxemburg Armeeskepsis jedoch nahezu der Normalfall. In dem Sammelband Militärgeschichte Luxemburgs, herausgegeben von Thomas Kolnberger und Benoît Niederkorn, analysiert Felix Streicher, die luxemburgische Nachkriegsarmee habe nie viel Zustimmung erfahren. Der Historiker Thierry Grosbois meint im Großherzogtum des 20. Jahrhunderts herrschte eine gewisse Nostalgie für den Neutralitätsstatus, der von 1867, also seit der Festungsschleifung, bis zur Verfassungsrevision von 1948 galt. Trotz häufiger Armeekritik sei die Bevölkerung dennoch atlantisch eingestellt gewesen, schlussfolgert der Historiker Matthias Boucebci – für ihn ein Paradox. Um die öffentliche Meinung auf Militärausgaben einzustimmen, sagte der Verteidigungsminister Marcel Fischbach (CSV) im Parlament 1965, dass „wir in den Augen unserer Verbündeten weder als Nutznießer noch als Parasiten erscheinen wollen“. Doch die Öffentlichkeit sympathisierte wenig mit Wehrdienst und Militärausgaben. Unel, LSAP und Assoss setzten sich seit den 1950er Jahren gegen die Wehrpflicht ein, die 1967 schließlich abgeschafft wurde. Jean-Claude Juncker sagte vor ein paar Wochen in dieser Zeitung: „In vielen Familien ist das Militär negativ besetzt, was ich gut nachvollziehen kann, denn mit meinem Vater und seinen Brüdern haben wir mehrfach über ihre Zeit als Zwangsrekrutierte gesprochen. Ich war 1967 in der Septième und war froh, keinen Militärdienst absolvieren zu müssen.“
Während des Protestzugs ging Ali Ruckerts Anti-Armee Position allerdings unter. Die Kufiya-Träger stimmten ab der ersten Schritte ihren Sprechchor an: „Free Palestine, no more Genozide, Israel is a terrorist state.“ Ein Bosnier ist aus Arlon mit seiner Frau und zwei Kindern angereist. Er komme jede Woche in die Stadt um gegen den Gaza-Krieg zu demonstrieren. „In Luxemburg und Belgien kann man seine Meinung frei äußern, in Frankreich und den USA wäre solch ein Protestumzug nicht mehr möglich.“ Kennt er die Gesichte der Ostermärsche? „Ich weiß, dass das Format heute etwas anders ist, aber ich weiß nicht was Ostermärsche sind, ich habe den Aufruf auf der Facebook-Seite des Comité pour une paix juste gesehen.“ Ein weiterer Bosnier sagt, er habe das Wort „Frieden“ in der Ankündigung gelesen – das allein habe ihn überzeugt, teilzunehmen.
Eine Frau mittleren Alters läuft trotz Gips am Fuß und Krücken am hinteren Ende des Menschenmenge mit. In den Achtzigerjahren demonstrierte sie in Köln und Bonn gegen den Nato-Doppelbeschluss. Sie wünscht sich mehr Engagement seitens der Politiker: „Et gesäit een jo, wat an der Welt lass ass.“ Aus der Abgeordnetenkammer ist niemand erschienen. Am Umzug nahmen jedoch die Europaabgeordnete Tilly Metz sowie der Sprecher von déi Lénk, Gary Diederich, teil ebenso der Politologe Armand Clesse, Roger Schauls vom Mouvement ecologique und einige Mitglieder der Action Solidarité Tiers Monde (ASTM). Auch Ben Müller vom Nationalkomitee von déi Lénk ist anwesend. Er reagiert auf die Kritik der KPL, déi Lénk sei nicht friedliebend: „Mir sinn natierlech och fir den Dialog. Mee et gëtt och e Recht op Selbstverteidegung am Vëlkerrecht, an et ass evident, datt de Putin net bereet ass, de Krich ze stoppen. Mir sinn net naiv.“
Jos Thill, Gemeinderat von déi Lénk Düdelingen, vergleicht den heutigen Umzug mit denjenigen in den Siebzigern und Achtzigern: „Mir scheint, es waren damals mehr Menschen anwesend und überwiegend Jüngere.“ Vor allem das Komitee Luxemburg-Vietnam, dessen Mitbegründer der Anwalt Gaston Vogel war, mobilisierte Massen. Die Revue lobte 1969, es versuche „seit geraumer Zeit, die Luxemburger Bevölkerung, ansonsten nur einseitig oder falsch informiert, mit Hilfe von Vorträgen, Konferenzen, Filmabenden und Podiumsdiskussionen, an denen mitunter auch nordvietnamesische und südvietnamesische Politiker teilnahmen, für die blutigen Anliegen eines Volkes zu sensibilisieren, das nunmehr seit nahezu 35 Jahren nichts anderes erfuhr als Krieg, Mord, Massaker.“ Veranstaltungen, die Erfolg gehabt hätten: „Fast zu klein war die Maison du Peuple in Esch, die Teilnehmer am vom Comité Luxemburg-Vietnam organisierten Solidaritätsmeeting mit den Völkern Indochinas gegen den Krieg aufzunehmen“. Mit dem Wort und dem Bischof lag das Komitee jedoch im Argen. Das Wort schrieb, das Komitee behalte „seine Sympathien ausschließlich Hanoi und dem Vietcong“ vor. Verleumdet werde, wer ihren Standpunkt nicht teile. Es habe „einen perfiden Schlag“ gegen den Bischof, das Wort und die Caritas-Leitung ausgeübt, indem es behaupte, die Caritas würde ihre Spenden dem Erzbischofs von Hué übermitteln, „der sie an seine Priester verteilen würde, um Messen lesen zu lassen“. Das sei nicht wahr und zeuge „von bösartiger Voreingenommenheit und Intoleranz“.
Mohamed Hamdi meint, man könne die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg auch als die erste große Jugendbewegung Luxemburgs betrachten. „Sie hatten einen stark anti-autoritären, anti-imperialistischen und anti-amerikanischen Zungenschlag.“ Bis zu seinem Tod nannte Gaston Vogel die Amerikaner „Yankees“. Das Land auf der anderen Seite des Atlantiks habe Vogel kaum interessiert – er habe immer „nach Osten geschaut“. Der Historiker Denis Scuto seinerseits ordnet die Friedensbewegung als Teil der „Zivilgesellschaft“ ein, die ab den 1960er-Jahren entstand und sich außerhalb der traditionellen politischen und wirtschaftlichen Strukturen sowie der bestehenden Vereine verstand. In der Nachkriegszeit experimentierte die Jugend mit neuen Formen der Selbstverwaltung, Bürgerinitiativen und spontanen Protestbewegungen. Ihre Ziele seien ehrgeizig gewesen, schreibt Scuto 2018 im Tageblatt – es sei um „tiefgreifende politische und soziale Veränderungen“ gegangen. Und ihre Methoden waren dabei vielfältig: von Rundtischgesprächen, Resolutionen, Protestmärschen und Zukunftswerkstätten über Sit-ins bis hin zu künstlerischen Auftritten. „In diesem Epochenwechsel der langen 1960er-Jahre entstanden weltweit Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen, feministische, Friedens-, Umwelt- und Dritte-Welt-Bewegungen, Menschenrechtsorganisationen und Homosexuellenbewegungen“, fasst Scuto den zivilgesellschaftlichen Wandel zusammen. Der zunehmende Wohlstand und höhere Bildungsstand hätten in der Nachkriegs- und Babyboomer-Generation überindividuelle Ziele und Werte verankert.
Als der Protestzug vor der Abgeordnetenkammer ankam, ergriff Raymond Becker das Mikrofon: „Mir wëllen a kenger Gesellschaft liewen, wou déi mënschlech Empathie ëmmer méi verschwënnt.“ Auch Magali Paulus vom Cell, der Gewerkschafter Nico Wennmacher, die Antidiskriminierungsunternehmerin Sandrine Gashonga und Jean-Paul Shungu von der kongolesischen Gemeinschaft hielten eine Rede. Da der Verstärker den Lärm auf dem Platz kaum durchdrang, waren die Reden nur schwer verständlich – und so blieben nur wenige bis zum Schluss. Zu einem kleinen Eklat kam es, als Nicolas Zharov von LUkraine seine vorbereitete Rede vor las. „Faschist!“, riefen ihm einige Mitglieder der KPL entgegen. In der ZLV erklärte Ali Ruckert an diesem Mittwoch, warum es zu Zwischenrufen kam: Während der KPL eine Wortmeldung verweigert worden sei, habe man „diesem Rüstungsunternehmer“ eine Bühne geboten. Im Internet, so Ruckert, brüste sich Zharov damit, „ein innovatives Unternehmen zu leiten, das Drohnen herstellt und sich dem Ziel verschrieben hat, die europäischen Verteidigungskapazitäten mit modernen Lösungen für die Kriegsführung zu stärken – und dabei die besten Erfahrungen der Ukraine zu nutzen.“ Dieses Zitat ist tatsächlich auf seinem Linkedin-Profil zu finden. Die eigentliche Botschaft – nämlich, dass man Autokraten, der Klimakrise und Diskriminierung den Kampf ansagen müsse, wie Raymond Becker sie am Samstag im Wort formulierte – ging dabei weitgehend unter.
Laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz wurden im Herbst 2024 weltweit über 120 internationale und innerstaatliche bewaffnete Konflikte registriert. Seit dem Vorjahr hat die politische Gewalt zugenommen, mehr als 223 000 Menschen wurden getötet. Besonders viele Todesopfer forderten der Krieg in der Ukraine, der Konflikt im Sudan, die Kämpfe in Myanmar sowie die Bombardierung des Gazastreifens. Verständlich, dass der Wunsch groß ist, zusammenzukommen, um gemeinsam ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Der Ostermarsch jedoch – mit seinen eklektischen Botschaften und dem teilweisen Verharmlosen realer Bedrohungen – war dieses Jahr nicht die geeignete Plattform dafür.