Über die Essenz des Jungseins

Die Ausstellung Jonk Sinn im Mierscher Theater
Photo: Claire Barthelemy
d'Lëtzebuerger Land du 25.04.2025

Im Mierscher Theater macht eine Ausstellung eine Bestandsaufnahme des Jugendlebens in Luxemburg. Um ein großes Publikum anzusprechen, hat Kurator Luc Spada sich auf universelle Anliegen konzentriert, die auch für weniger junge Menschen relevant sind.

Bereits beim Betreten von Jonk sinn. Momenter vu Jugendkultur werden die wichtigsten Jugendthemen angesprochen: Liebe und Sex. Auf einer Wand umarmt sich ein Pärchen, neben ihnen schweben kleine Herzchen. Eine Audio-Installation bietet das Highlight der Ausstellung: Sie spielt Aufnahmen von Menschen vor, die sich an ihre erste große Liebe und ihr erstes Mal erinnern. Die Einblicke sind manchmal rührend, manchmal beschreiben sie die Verwirrung, die dieser Lebensabschnitt mit sich bringt.

Eine junge Frau erzählt, sie habe den ersten Kuss als eklig empfunden. Eine andere sagt, damals habe sie sich gefragt, wieso Küssen und Sex in Filmen immer als so schöne Erlebnisse dargestellt wurden. Ein Mann zieht einen kulinarischen Vergleich: Das erste Mal sei nichts Besonderes gewesen, er habe Nachtische gehabt, „die besser waren als das“.

Man spricht vom Kennenlernen‚ in der „Hollrëcher“, von Schmetterlingen im Bauch, aber auch von Alkoholkonsum, der Angst vor Schwangerschaft und sexuell übertragbaren Krankheiten. Ein junger Mann beschreibt seinen ersten Kuss mit seinem Freund in einem Kino. Er erinnert sich, wie aufregend das für ihn war, dass jedoch die Angst, verprügelt zu werden, ihn stets verfolgte.

Die Besucher der Ausstellung können eigene Erinnerungen auf transparente Papiere schreiben und an die Wand kleben. Die Kommentare zeichnen ein humorvolles Bild voller Nostalgie von Besuchern, die das Jungsein hinter sich haben. „Open-Air Schwämm – Samsdes“, schrieb jemand und malte ein kleines Herz daneben.

„Bed of Roses“, schrieb eine andere Person, und fügte „SuperJ Party 1991“ hinzu. Damit sind die Partys der Achtziger- und Neunzigerjahre gemeint, zu denen sich Teenager aus dem ganzen Land in den Kirchberger Ausstellungshallen trafen. Sie tanzten und nahmen Softdrinks zu sich (es handelte sich um alkoholfreie Veranstaltungen).

Falls jene, die sich an diese Partys erinnern, sich noch älter fühlen wollen: Es gab einmal ein Super-J-Revival im Atelier… vor neun Jahren!

Ein Kommentar spricht die Kommunikationsweise Jugendlicher an und hebt hervor, wie sehr sie sich verändert hat. „Jedes ‚ech hun dech gär‘, ‚hdmg‘ und ‚hdg‘ per SMS kostete zwölf Cent!“ Das bietet einen guten Übergang in einen anderen interessanten Abschnitt der Ausstellung.

Ein Chat zwischen Jugendlichen ist als großer Smartphone-Bildschirm dargestellt. Für viele Erwachsene werden Teile der Unterhaltung nur schwer zu entziffern sein (was „LITERAL SLAY“ damals wohl als SMS gekostet hätte?)

Ernster wird es im Abschnitt „Gesi Ginn“: Student/innen des BTS Cinéma et Audiovisuel haben Jugendliche gefilmt, die über Ängste und Herausforderungen reden. Ein Junge, der in einem betreuten Heim lebt, erklärt, welche Freiheiten die Heimbewohner haben und was Freundschaft für ihn bedeutet. Ein Mädchen, dessen Vater aus den Philippinen nach Luxemburg immigrierte, reflektiert über ihr Leben in Luxemburg und wie wichtig kulinarische Traditionen für sie sind.

Luc Spada war es wichtig, diverse Ansichten ungezwungen einzubauen. Dass er diese alleine nicht beilegen konnte, ist ihm bewusst.

„Ich bin ein 39-jähriger weißer Hetero-Cis-Mann. Zwar bin ich sehr offen, doch trotzdem ist das nun mal mein Background.“ Die Ausstellung handle von jungen Menschen, betont er. Laura Deitz, die für das visuelle Design zuständig war und genderneutrale Farben benutzt hat, sei zum Beispiel zehn Jahre jünger als er, sagt Spada.

Die in der Ausstellung gezeigten Stücke stammen von Kunstschaffenden mit sehr unterschiedlichen Hintergründen. Sirah Haris ist ein queerer Künstler mit muslimischem Hintergrund; seine Kunst wirkt wie eine bunte Reflektion über Identität, in der Symbolik eine wichtige Rolle spielt. Zoriana Tymtsiv stammt aus der Ukraine und beschreibt die schwierigen Prozesse, die eine Auswanderung mit sich bringt. Mia Kirsch stellt ein unbekümmertes, vielleicht auch privilegiertes Leben der Jugend dar.

„Die drei haben ganz verschiedene Kontexte. Aber wenn man genau hinschaut, sind die Träume vom Weiterkommen dieselben“, so Luc Spada.

Jonk Sinn unterscheidet sich auch deshalb klar von einer Jugendausstellung, die 2010 im Lëtzeburger City Museum zu sehen war. Born To Be Wild war ein ambitionierter Rückblick auf 60 Jahre Jugendkultur in Luxemburg, kuratiert von Guy Thewes. Luc Spada traf sich mit ihm 2024. Thewes erzählte ihm, dass viel weniger Jugendliche sich Born To Be Wild angeschaut hätten, als erwartet. Womöglich lag das daran, dass diese Ausstellung nicht von jungen Menschen gestaltet wurde, sinniert Spada im Programmheft zu seiner Ausstellung. Vielleicht sei Born To Be Wild „eine Form von Romantisierung, mit einem Wunsch nach Geschichtenerzählen“ gewesen. Jonk Sinn dagegen wolle nicht in die Vergangenheit schauen, sondern eher die universelle Essenz des Jungseins einfangen.

Ganz an Geschichte und Statistiken kommt die Ausstellung jedoch nicht vorbei. Eine Wand liefert informative Häppchen, die zwar recht kurz sind, aber sehr interessante Einsichten bieten. Zum Beispiel erfährt man, dass 2023 im Großherzogtum „28,3Prozent aller Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren von Armut und sozialer Exklusion bedroht“ waren – eine Realität, die Jugendarbeit umso wichtiger macht.

Auch hier teilen junge Menschen ihre Eindrücke mit. Etwa ein 25-Jähriger, der beschreibt, dass für ihn der Kauf der ersten Waschmaschine das Übergangsritual ins Erwachsenenleben gewesen sei. In einem Abschnitt über Kreativität und digitale Hilfsmittel erklärt ein 18-Jähriger: „Da kann ich den größten Auspuff auf das Auto draufsetzen.“

Man merkt, trocken und öde ist Jonk Sinn nicht. Mit Dokumentationen und Rückblicken wäre die Ausstellung das vielleicht geworden, meint Luc Spada. „Ich wollte keine Ausstellung mit Fotos von Feuerwehrleuten, Pfadfindern oder so machen. Das wäre sehr leicht möglich gewesen, und vielleicht haben sich das einige Leute erhofft.“ Junge Menschen hätten jedoch „keinen Bock, sich Feuerwehrbilder anzuschauen, das ist einfach so“. Bravo-Zeitschriften ausstellen wollte er ebenfalls nicht. „Das interessiert heute keinen jungen Menschen mehr.“

Die Ausstellung, die vom Service national de la jeunesse organisiert wurde und im Rahmen der Luxemburger Präsidentschaft des Europarats stattfindet, nimmt die Eingangshalle des Mierscher Theaters ein. Von ihrer Überschaubarkeit sollte man sich nicht täuschen lassen: Die wertvollsten Einblicke bergen die Interviews, für die man sich Zeit nehmen sollte.

Für alle Alten, die offen sind und Jugendliche von heute besser verstehen wollen, ist Jonk Sinn sehr zu empfehlen. Wer viele wissenschaftliche Einblicke, geschichtliche Rückblicke und eben Pompjeesfotoen erwartet, wird jedoch enttäuscht sein.

Claire Barthelemy
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