Post und Postminister – vor allem Letzterer – wollen den Briefdienst neu ausrichten, ehe der Gemeindewahlkampf beginnt. Politische Prügel nehmen sie in Kauf, denn ein fertiges Konzept fehlt offenbar

Augen zu und durch

d'Lëtzebuerger Land vom 11.12.2015

Im Dorfkern von Kleinbettingen ist werktags morgens um halb neun neben der Grundschule und dem Bahnhof das lokale Postamt die einzige öffentliche Einrichtung, in der etwas los ist. Zwischen acht und 9.15 Uhr versieht hier ein Postbeamter seinen Dienst am Schalter. Aber nicht mehr lange, wenn es nach den vergangene Woche veröffentlichten Plänen der Post geht: Das Kleinbettinger Bureau de poste gehört zu jenen 35, die nächstes Jahr geschlossen werden sollen.

„Naja, so geht das“, kommentiert die Verkäuferin in der Bäckerei schräg gegenüber. „Früher gab es an der Post auch einen Geldautomaten. Der ist schon lange weg.“ So, wie übrigens auch andere Läden im Dorf schon lange dichtgemacht hätten. Die einzige Metzgerei zum Beispiel. Heute verkauft die Bäckerei nicht nur Brot und Baguettes, Kaffiskichelcher und Kaffee zum Mitnehmen, sondern hält auch ein kleines Sortiment an Lebensmitteln bereit. Was Postsachen angeht, „werden die Leute in Zukunft wohl nach Steinfort fahren“, schätzt die Verkäuferin. An den Umstrukturierungsplänen der Post gibt ihr vor allem zu denken, „dass die Briefträger nun noch mehr zu tun bekommen“. Zu viel, fürchtet sie. Mit den Briefträgern fühle sie sich solidarisch. „Die hier im Ort sind alle sehr nett.“

Nach Steinfort fahren – oder nach Hobscheid – muss, wer in Eischen wohnt, nicht erst irgendwann nächstes Jahr, sondern schon heute. Auf jener Karte der Postdirektion, die vergangene Woche publik wurde und wo die Ortschaften mit zu schließenden Postämtern eingetragen sind, ist auch Eischen mit einem dunklen Punkt versehen. In Wirklichkeit ist das Dorf schon seit längerem ohne Post; das Gebäude, in dem sie ihren Sitz hatte, wird umgebaut. „Die Post ist bestimmt schon seit drei Jahren nicht mehr hier“, berichtet ein älterer Herr, der auf der Straße unterwegs ist. Und bemerkt, die Spuerkeess habe ihre Filiale ebenfalls schon geschlossen und nur einen Geldautomat hinterlassen.

Weil die allermeisten der 35 Postämter auf der Abschussliste sich im „ländlichen Raum“ befinden, ist es kaum verwunderlich, dass bei den Leuten dort der Gedanke aufkommt, nun werde man wieder ein Stück weit vom in größeren Gemeinden üblichen Dienstleistungsangebot abgehängt. Dass das zu Unmut führt und zu beispielsweise 141 meist gehässigen Kommentaren auf rtl.lu gegen „Gambia“, muss ebenfalls nicht verwundern: In den kleinen Gemeinden im ländlichen Raum leben überdurchschnittlich viele Luxemburger, also Wahlberechtigte. Das hat vor zwei Jahren ein Bericht des Forschungszentrums Liser (damals noch Ceps/Instead) über den „territorialen Zusammenhalt“ des Großherzogtums gezeigt. Dadurch werden die Restrukturierungspläne der Post auch schnell zum Politikum, und es überraschte nicht, dass die Regierungskoalition und Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) zustimmten, am Mittwoch, nur eine Woche nach der Bekanntgabe des Schließungvorhabens, eine „Aktuelle Stunde“ zum Thema in der Abgeordnetenkammer abzuhalten. Als Schneider sprach, wurde für Internet-Zuschauer der Sitzung die Verbindung zum Server der Kammer hin und wieder instabil. Die Postfrage interessiert offenbar viele.

Dabei sind Ideen, Postämter zu schließen und sie im Gegenzug durch „Post Shops“ und „Points Poste“ in Läden, Cafés, Tankstellen oder Supermärkten zu ersetzen, nicht neu. 1997 hatte die EU-weite Liberalisierung der Briefpost begonnen. Regierung und Postdirektion war klar, dass die Luxemburger Post mit ihren hohen Gehältern unter Druck geraten würde. Setzte Ende der Neunzigerjahre die Abkehr vom ausschließlich beamteten Briefträger, der Dienst in der Armee geleistet haben musste, ein, begann die Post 2001 mit Post Shops zu experimentieren und kündigte an, bewähre die Auslagerung bestimmter, weniger kritischer Postdienste sich, werde sie ausgeweitet. Heute stellt Post-Generaldirektor Claude Strasser, wie am Dienstag in RTL Radio Lëtzebuerg, fest, „damals war den Leuten nicht klar, wo man was fand“ in den Post Shops. Das werde künftig anders dank der unlängst vereinbarten Partnerschaft mit der Supermarktkette Cactus.

Post-Sprecherin Carmen Engels ergänzt: „Anstelle der 35 kleinen Postämter richten wir 44 Points Poste in Supermärkten, Shoppi-Läden und an Tankstellen ein.“ Sämtliche 97 Postämter hätten derzeit zusammengenommen knapp 4 000 Stunden geöffnet. „Wir werden ab nächstes Jahr weitere 4 000 Stunden für postalische Dienste hinzufügen.“ Die 35 zu schließenden Ämter hätten insgesamt nur 276 Stunden geöffnet und würden lediglich fünf Prozent aller Transaktionen abwickeln.

Einfach von der Hand zu weisen sind solche Erklärungen ebenso wenig wie die Resultate jener Erhebung von TNS-Ilres, laut der einer Mehrheit der Befragten längere Öffnungszeiten von Postämtern wichtiger sind als räumliche Nähe und für 85 Prozent die beste Alternative zu einer Dorfpost, die nur zwischen ein und drei Stunden am Tag geöffnet hat, ein „Einkaufszentrum“ mit Postangebot darstelle. Wenn, wie Berichte zur Landesplanung zeigen, kleinere Gemeinden immer mehr zu Schlafgemeinden für in der Hauptstadt Berufstätige werden, kann ein Netz aus Post Shops und Points Poste, die, wie etwa an der Tankstelle in Mertzig, montags bis samstags bis 22 Uhr und sonntags vormittags geöffnet haben, eine bequeme Alternative sein. Da klingt auch die Ankündigung gut, das Netz aus den Pack-up-Stationen zur Selbstabholung von Paketen werde nächstes Jahr verdoppelt und die Selbstbedienung überhaupt ausgebaut. Und der Briefträger mit seiner seit Ende Oktober „erweiterten Mission“ erscheint als sinnvolle Option für betagtere Postkunden.

Eigenartigerweise aber haben weder die Postdirektion noch der für die Post Group als hundertprozentig staatliches Unternehmen zuständige Wirtschaftsminister ein ganz schlüssiges Konzept für den Abbau der kleinen Postämter und im Gegenzug ihren Ersatz publik gemacht. Die seit vergangener Woche öffentlich zirkulierende Karte mit den 35 dunklen Punkten für zu schließenden Bureaux de poste enthält nicht 44 ersatzweise einzurichtende Points Poste, sondern nur die 14 zurzeit schon bestehenden. Der CSV-Abgeordnete Felix Eischen hatte schon Recht, als er am Mittwoch im Kammerplenum darauf hinwies, schlössen im Landesosten, wie angekündigt, die Postämter in Berdorf, Consdorf und Rosport, bliebe nur der Weg nach Echternach und es könne keine Rede davon sein, dass man „nur fünf bis zehn Kilometer“ zum nächsten Postamt fahren müsse. Vermutlich lästerte Claude Haagen von der LSAP nur aus Fraktionsdisziplin, „es gibt schließlich auch im Osten Supermärkte und Tankstellen, das ist doch nicht die Wüste Gobi“. Denn wo die 30 anderen Points Poste entstehen sollen, ist den Parlamenta-riern so wenig bekannt wie der Öffentlichkeit. Post-Sprecherin Carmen Engels verrät, es gebe einen Plan, die Bürger in den Gemeinden mit den dunklen Punkten über ihre „Optionen“ nach der Ämterschließung zu informieren. Welchen? „Das kann man noch nicht in die Zeitung schreiben.“

Möglicherweise hängt alles damit zusammen, dass mit der Schließung von 35 Postämtern nicht Schluss sein soll. Post-Generaldirektor Strasser antwortete am Dienstag im RTL-Interview auf die Frage nach weiterem Abbau: „Unsere Strategie geht schon dahin, den Kunden einen ganz anderen Empfang zu bieten.“ Land-Informationen nach sieht die Strategie vor, in fünf bis zehn Jahren höchstens noch 30, vielleicht auch nur 25 regelrechte Postämter zu betreiben – als Espaces Poste mit ansprechender Architektur, ausreichend vielen Schaltern und genügend Personal. Dass Postscheck-Kunden dann auch in 38 Raiffeisen-Filialen bedient werden sollen, ist bereits bekannt.

Nicht nur 35 kleinere Ämter zu schließen, sondern 60 bis 70, und darunter auch größere, ist natürlich ein Vorhaben von viel größerem Gewicht. Jetzt schon so weit zu gehen, ist im Post-Verwaltungsrat noch nicht konsensfähig, vor allem mit den Personal- und Gewerkschaftsvertretern nicht. Und dem Wirtschaftsminister ist klar, dass ein solcher Schritt auch politisch riskant wäre: Dann könnten nicht nur in kleinen Dörfern die Leute auf „Gambia“ sauer sein und auf ihren Bürgermeister, weil der sich gegen die Schließung des lokalen Postamts zu wenig gewehrt habe, sondern vielleicht sogar in LSAP-regierten Proporzgemeinden. Und der Groll könnte sich womöglich bis zu den Gemeindewahlen 2017 nicht gelegt haben. Das politische Kalkül hinter den jetzt verkündeten Abbauplänen lautet: Schnell damit herauskommen und bereit sein, Prügel dafür einzustecken. Bis die Serie aus Gemeinde-, Legislativ- und Europawahlen naht, wird hoffentlich alles vergessen sein.

Dass es zu weiteren Postämterschließungen kommt, ist ziemlich wahrscheinlich. Auch Jean-Marie Heyder, Vertreter der CGFP-Postdivision im Post-Verwaltungsrat, ist nicht prinzipiell dagegen, will aber, dass „vorher Bilanz gezogen wird, was die Points Poste und die Partnerschaft mit der Raiffeisenkasse gebracht haben“. Und dass man alle Wahlen abwartet, also nicht vor 2019 weitere Ämter schließt.

Es mag verwundern, dass die Gewerkschaften gegen die Schließungspläne nicht mehr Widerstand leisten. Als die Post 2006 innerhalb von nur zwei Jahren von damals 105 Postämtern 66 dichtmachen wollte, stieg die CGFP auf die Barrikaden. Bei der Kompromiss-Abstimmung vergangene Woche im Post-Verwaltungsrat über die Liste der 35 kleinen Postämter enthielten sich der Delegierte der Briefträgergewerkschaft und der Vertreter der Post-Mitarbeiter mit Privatstatut lediglich ihrer Stimme.

Aber das liegt daran, dass die nun geplante Restrukturierung nur die letzte Etappe in der Anpassung von Briefdienst und Postscheck der Post Group an den liberalisierten EU-Postmarkt ist. Politisch sind spätestens seit 2012, als eine Postgesetzänderung den letzten Liberalisierungsschritt für Luxemburg festschrieb, beinah alle Messen gelesen. Heute geht es nur noch darum zu bewahren, was sich an Arbeitsplätzen und Gehältern bewahren lässt. Weil die Post seit 2013 das letzte Monopol auf Briefe bis 50 Gramm verloren hat, steht sie unter immer stärker werdendem Konkurrenzdruck. 2014 wickelte sie 148,7 Millionen Briefsendungen ab. 2008 waren es noch 26 Millionen Stück mehr gewesen, und schon diese Zahl wurde damals besorgniserregend klein genannt.

Der zweite wichtige Punkt in der Postgesetzänderung betraf den „Universaldienst“: Er ist der Post nur bis Ende 2019 „reserviert“. Für die Zeit danach muss er öffentlich ausgeschrieben werden. Er umfasst Aufnahme, Sortierung, Weiterleitung und Verteilung von Briefsendungen bis zwei Kilo und von Paketen bis zehn Kilo; daneben die Verteilung von Paketen bis 20 Kilo aus anderenen EU-Staaten sowie alle Aktivitäten rund um Einschreiben und Wertsendungen. Bei der Regulierungsbehörde ILR sind schon jetzt neben der Post auch ausländische Anbieter registriert, die Dienstleistungen in ihrem Portfolio haben, die „relevant“ wären für den Universaldienst. Soll heißen: Ämterschließung, Points Poste, mehr Selbstbedienung und „neuer Briefträger“ sollen die Post bis 2019 rentabler und attraktiver machen – damit nicht etwa die Post Belgiens oder Frankreichs oder ein Privatanbieter, der Mitarbeiter zum Mindestlohn beschäftigt, den Universaldienst übernimmt und die heimische Post in der ganzen Branche ziemlich überflüssig macht.

Hinzuzufügen ist natürlich, dass die EU-Liberalisierungsregeln es erlauben würden, eine Mindestzahl von Postämtern für den Universaldienst vorzuschreiben. Das aber wollte 2012 von der gesamten im Parlament vertretenen politischen Klasse nur der einsame Abgeordnete von déi Lénk. Die anderen waren einverstanden, im Postgesetz als „Zugangspunkt“ zu Postdienstleistungen statt Postämtern Briefkästen vorzusehen. Sie hatten verstanden, was der damalige CSV-Kommunikationsminister François Biltgen und LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké zu bedenken gegeben hatten: Ein defizitäres Vertriebsnetz der Post müsste die Staatskasse bezahlen. Aus einem rentablen Postunternehmen dagegen bezieht der Staat als Alleinaktionär eine Dividende. 2014 lag sie bei 20 Millionen Euro. Das ist auch heute die Aufgabe von Postämtern wert. Am Mittwoch in der Abgeordnetenkammer verlangte niemand die Neudefinition des Universaldienstes – und eine weitere politische Messe war gelesen.

Peter Feist
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