Roy Reding hat in Rekordzeit eine neue Partei aufgebaut. Am Samstag feierte sie ihr erstes Fest.
Ein Besuch bei den Libertären

„Hien ass net gepickt“

Guy Arend (oben links)
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 15.09.2023

Der Hof von Guy Arend, Nordkandidat der Liste „Liberté-Fräiheet“, liegt direkt an der Fél, dem Bach, der durch Niederfeulen fließt. Die Scheune ist für das Parteifest an diesem 9. September hergerichtet: In der Mitte steht ein Getränkekiosk, an der Wand hängt ein großformatiges Plakat mit Roy Reding, der von den Nord-Spitzenkandidaten Carole Dentzer van Wissen und Steve Schmitz umgeben wird. Rechts nebendran überwacht ein Engel zwei Kinder an einem Bach auf einem Bild. Schlitten und getrocknete Maiskolben dekorieren den Raum. Am Scheuneneingang wird gegrillt, Kicker gespielt und „Lieber Tee“ verkauft – letzterer geht auf ein Wortspiel zurück, mit dem die Facebook-Seite „Äppel“ die neue Partei verspottet.

Der Ex-ADR-Politiker Roy Reding sitzt auf einer Bierbank in der Scheune. Er glüht vor Freude, Hitze oder Alkohol. „Reden Sie wieder mit dem Land?“ Vor sechs Wochen hatte er den Hörer aufgelegt – mit unserer Zeitung würde er sich nicht mehr unterhalten. Er schickt der Autorin dieser Zeilen ein Luftküsschen und formt ein Herz-Emoji mit seinen Händen. Grund für seine Freude ist das Land-Cover von Anfang September, auf dem Roy Reding mit einem Glas-Crémant vor dem Burger King auf der Stater Braderie zu sehen ist. Roy Reding vermeidet es, über politische Inhalte zu diskutieren. Er bleibt zen und glüht. „Bei eis geet et net em politesch Punkten, mee em d’Haltung.“ Man sei nicht wirklich eine Partei, sondern eine Bewegung. Er nicht wirklich Politiker, sondern ein Mensch der Missstände benenne. Vor allem sei er stolz darauf, dass sich die Partei in nur drei Monaten zusammengefunden hat: „Das gab es noch nie in Luxemburg“. Die Kandidat/innen seien ihm nachgerannt; „ech si kengem nogelaaf“. Für den 8. Oktober prognostiziert er: „Es ist Namasté. Es wird sein, was sein wird.“

Ende Juni verkündete Reding über Facebook, er habe dem Chamberpräsidenten seinen Austritt aus der ADR mitgeteilt. Der Grund: Die Parteileitung habe entschieden ihn, den Erstgewählten des Zentrum-Bezirks, nicht mehr aufzustellen. Das sei „du jamais vu“ und in seinen Augen „ein flagranter Vertrauensentzug“. In einem Presseschreiben kritisierte die ADR Reding für seine Abwesenheit im Parlament (laut Eigenaussage verbringt er drei Monate im Jahr in Südafrika) und bittet ihn sein Mandat an Alex Penning abzutreten. Reding kam dem Wunsch nicht nach und gründete seine eigene Partei „Liberté-Fräiheet“. Laut dem Politmonitor Anfang September, würde die ADR von vier auf drei Sitze schrumpfen. „Das braucht niemanden zu wundern, wer einen Abgeordneten aus seiner Partei rausekelt, der verliert einen Sitz. Das hat nichts mit meiner Person zu tun, sondern mit der politischen Realität“, meint Reding am Samstag. Der Konflikt mit der Partei gehe nicht auf Juni zurück. Er deutet hinter geschlossenen Türen stattfindende autoritäre Auftritte vom Vize-Präsidenten Tom Weidig an. Wegen dem auch Béatrice Clement (heute ebenfalls Liberté) und Mario Daubenfeld (heute Fokus) die Partei verlassen hätten. „Den Toun mécht d’Musek“, sagt Reding und zeigt schmunzelnd auf die Band im Hintergrund. Es spielt Chloé, die durch die französische Variante von The Voice bekannt wurde.

Vor dem Scheunentor steht Steve Schmitz und raucht eine Zigarette an einem Cocktail-Tisch. Er trägt ein mit Blättermustern grün-weiß bedrucktes Hemd. Sein bisheriger politischer Höhepunkt: Im April 2022 reichte er eine Petition ein und forderte eine rund um die Uhr geöffnete Notfall-Pädiatrie und Entbindungsstation im Norden Luxemburgs. Sie erreichte die 4 500 nötigen Unterschriften, damit eine öffentliche Ausschuss-Anhörung stattfinden konnte. Wie die meisten auf dem Fest ärgert er sich über die Corona-Schutzmaßnahmen der Regierung: „Im Herbst soll schon wieder ein Impfzentrum eröffnet werden, dabei wurden, wie es Roy Reding zu Ohren kam, 25 nicht-luxemburgisch-sprechende Krankenpfleger eingestellt“, bedauert Schmitz. Und schickt hinterher: „Mit uns wird es keine Impfpflicht geben. Statt Geld für Space-Mining zu verprassen, sollte in die Erforschung von Impfschäden investiert werden.“ Er sieht sich als Kämpfer für finanziell Schlechtgestellte. „Mir geet et em d’Leit. An hei um Fest hu mir Leit, déi net mam gëllene Läffel am Mond op d’Welt komm sinn.“ Den gutbetuchten Unternehmer Reding betrachtet er als glaubwürdigen Antivaxx-Kandidaten, da er der einzige nicht-geimpfte Abgeordnete ist – anders als die drei ADR-Abgeordneten, deren Einsatz für die Impfgegner und -Skeptiker nur halbherzig sei. Anfang Juli war Steve Schmitz zusammen mit Guy Arend und zwei weiteren Personen des Komitees des ADR-Nordbezirks aus der Partei ausgetreten. Fred Keup habe als bezirksexternes Mitglied die Listenaufstellung des Nordens mitbestimmt, was laut den Parteistatuten nicht vorgesehen sei. Zudem waren Steve Schmitz und Guy Arend enttäuscht, dass sie nicht mit der ADR antreten konnten. Hinter dem Cocktail-Tisch sitzen drei Sicherheitsmänner in schwarzem Anzug, rauchen und langweilen sich. Roy Reding hatte sie angefragt, weil in den sozialen Medien Leute aus dem „völkischen Milieu“ gedroht hätten, „solle mer eis do net ameséieren goen?“.

Am Montag wird Roy Reding auf Radio 100,7 konkreter und zählt Forderungen seiner Partei auf: „Eise politesche System ass doudkrank“. Deshalb brauche es Politiker, die nebenher Freiberufler sind oder Angestellte wie Krankenpfleger und Busfahrer. „Wir schlagen außerdem vor, dass die Abgeordnetenzahl von 60 auf 40 schrumpft; Minister sollten keiner Partei angehören; die TVA sollte bei einem Neubau oder einer Renovierung auf drei Prozent gesenkt werden und so weiter“. Im Partei-Programm lassen sich weitere Punkte herausschälen, wie die Abschaffung der Wahlbezirke; die Anerkennung des Englischen als offizielle Landessprache; luxemburgische Straßennamen und einen Zuschlag von 2 000 Euro für Eltern, die ihre Kinder nicht in Betreuungsstrukturen abgeben. Ob Donald Trump ein Vorbild für ihn sei, fragt Radio 100,7 Journalist Rick Mertens. Es gebe durchaus Überschneidungen mit seiner libertären Seite, allerdings nicht mit seiner autoritären, antwortet Roy Reding.  

Guy Arend kommt hinter dem Grill hervor, um mit uns zu reden. „Kommen Sie mit, ich will Ihnen was zeigen.“ Wir gehen zum Nachbarhaus. „Dieses Haus hat die Gemeinde gekauft und spart aufgrund des Pacte-Logement Steuern. Schreiben Sie auf, was ich sage! Das ist eine große Story für Ihre Zeitung. Die Gemeinde verdient ordentlich Geld mit Sozialwohnungen. Unsere Steuerzahler wissen nicht, wofür ihr Geld verschwendet wird. So kann es nicht weitergehen mit den Staatsfinanzen“, empört er sich. Was genau würde er in punkto Staatsfinanzen ändern? „Dass der gesunde Menschenverstand wieder herrscht. Wissen Sie, was da draußen los ist? Lehrer können ihre Kredite nicht abbezahlen und immer mehr Menschen leben auf dem Campingplatz.“

Weshalb hat Guy Arend das Programm der Partei Liberté mehr als alle andere überzeugt? Er würgt die Frage ab: „Lauschtert no!“.  Wir stehen mittlerweile auf einer Brücke über der Fél. Er erzählt und erzählt. Von seinem Einsatz bei den Stroossenengelen, seiner Vermutung einige Gemeindearbeiter hätten ein Alkoholproblem, dem Niedergang der Stahlindustrie und irgendwann auch über seine Erfahrungen, die er 2018 bei der RTL-Sendung „Bauer sucht Frau“ gemacht hat. Rezent habe ein Feld von Guy Wester gebrannt – einem anderen luxemburgischen Bauer, der an der Sendung teilnahm und heute CSV-Politiker ist. RTL-Explosiv habe darüber berichtet und dabei das Profilbild von Guy Arend in den Beitrag geschnitten und angedeutet, er sei ledig. „Wie ein Mann ohne Frau haben sie mich hingestellt. Was nicht stimmt“, das sei mit Absicht geschehen, meint der 50-jährige Limousin-Halter. Man habe ihn „durch den Dreck gezogen und in deutschen Medien behauptet, ich sei ein Rechtsextremer“. Die auflagenstarke Bild titelte „Inka, du hast einen Rechtspopulisten im Stall“. Damals war Guy Arend Mitglied bei der ADR, Alex Penning habe ihn motiviert, politisch aktiv zu werden.  

Wir gehen zurück zur Scheune. An Vorbeilaufende, die sich verabschieden, richtet Guy Arend aus, nächstes Jahr würde das Fest wieder stattfinden – man sei eine Bewegung, man mache weiter. In der Scheue zeigt er auf eine Person mit Sommerhut in einem Liberté-T-Shirt: „Das ist Serge Kloster, eigentlich ist er bei den Konservativen Spitzenkandidat. Unser Fest sorgt für Überraschungen!“ Was hat der Maler aus Ulfingen zu berichten? „Nach dem 8. Oktober möchte ich mich Liberté anschließen.“ Ende August kam es zu einer Auseinandersetzung mit dem Parteipräsidenten der Konservativen, Joé Thein (ebenfalls ein Ex-ADR-Politiker). Dieser hat ein Videoclip mit Aussagen von Serge Kloster an die Alia für Werbezwecke weitergereicht. Serge Kloster behauptet, das sei nicht in Absprache mit ihm passiert; er fühlt sich unwohl dabei, seine Ideen vor einem breiteren Publikum kundzutun. Neben ihm sitzt eine weitere Nord-Spitzenkandidatin von déi Konservativ, die Kellnerin Svenja Defays. Auch sie möchte schnellstmöglich zu Liberté übertreten.

Armand Klein, Rentner aus Breidweiler und Südlisten-Kandidat hat sich mittlerweile mit seinem Parteikollegen Guy Arend angefreundet. Er erlebte die Parteigründung als politischen Wendepunkt: „Da mache ich mit, dachte ich sofort. Nicht-Geimpfte wurden in der Covid-Pandemie vom Establishment diskriminiert, dagegen will ich ankämpfen.“ Aus den meisten Köpfen ist Covid weitgehend verschwunden, bei Armand Klein ist das Virus auf Facebook Alltag. Jeden zweiten Tag postet er Beiträge dazu, wie vor zwei Wochen: „Déi Covid-Histoire ass nach guer net giess, déi Gréng , LSAP, DP, an CSV sinn erëm amgaang hieren obligatoreschen Covid-Vaccin ze injektéiren!“ Er dreht eigene Videos, verbreitet parteibezogene Aufnahmen von Bas Schagen, Beiträge von kla.TV und kommentiert Aufnahmen der CSV. Aber fasziniert ist er vor allem vom hiesigen RTL und dessen Reichweite – „vielleicht schaffen Sie es ja eines Tages, bei RTL einen Job zu bekommen“, versucht er Hoffnung zuzusprechen. An den menschengemachten Klimawandel glaubt er nicht. „Es gibt immer wieder Klima-Fluktuationen bedingt durch die Sonne. Das hängt mit den Steinen zusammen, die in die Rückseite der Sonne in sie hineinfallen. Dann dehnt sich die Sonne und es wird wärmer auf der Erde“, so Armand Klein. Als gelernter Gärtner wisse er auch, dass die Pflanzen den aktuellen CO2-Überschuss absorbieren können. „D’Planzen ginn eens“.

Armand Klein trägt eine konspirativ getönte Brille, die ihn scheinbar die Superzellen übersehen lässt, die dieses Jahr Libyen, Griechenland, Italien, Slowenien und Österreich überschwemmt haben. Und sie erlaubt ihm bei Bedarf, die Megafeuer in Sibirien, Griechenland, Kanada und Kalifornien nicht als das Resultat von Dürreperioden zu betrachten. In der Liberté-Bewegung hat er Menschen gefunden, die ihn dabei unterstützen und dafür schätzen. Neben Covid-Maßnahmen wird denn auch im Wahlprogramm vor erneuerbaren Energien gewarnt – sie seien „schädlich für die Artenvielfalt“ und wiesen eine „schlechte Klimabilanz“ auf. Es bedürfe dringend einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung über „grüne Energien“ und vor allem „Windräder“. Letztere würden Unmengen an „klimaschädlichem Beton“ verschlingen und „Vögel, Insekten und Fledermäuse“ zerfetzen. Mit „Gambia“ sei eine Regierung an der Macht, die ihre Bürger mit Covid- und Klimamaßnahmen gängelt. In Liberté finden sich Helden zusammen, die dagegen ankämpfen.

In der Impfskeptiker und -Gegner Bewegung lassen sich auch Umweltschützer, Biobauern (vor allem Demeter-Landwirte) und Ökospirituelle (aus Cell, dem Center for Ecological Learning Luxembourg) auffinden. Aber nur eine Person von Liberté weist ein eher grünes Profil auf, die Waldpädagogin Laura Vieira Neves aus Ernzen. Den grünen Impfskeptiker/innen ist die Partei zu libertär und zu munter auf dem Klimaleugner-Kurs unterwegs. Im Umfeld der Covid-Proteste hat sich in Deutschland ebenfalls eine Anti-Covid-Maßnahmen-Partei gegründet, die Basisdemokratische Partei Deutschland (Kurzform: die Basis). Anders als Liberté setzt sie – unter anderem bedingt durch den Einfluss der Anthroposophen aus dem Südwesten – auf ökologischen Landbau und vereinnahmt somit Themen der grünen Impfskeptiker. Bei keiner Landtagswahl hat die Basis mehr als zwei Prozent geholt. Wahrscheinlich wird es Liberté in drei Wochen ähnlich ergehen.

Dennoch ist die ADR nervös – Liberté hat sich als solide Konkurrentin etabliert. Sylvie Mischel, Präsidentin der ADR-Frauensektion und Südkandidatin, behauptet am Mittwoch in einer Privat-Nachricht an Liberté-Nordkandidatin Simone Braas, Roy Reding sei geimpft. Dieser postet die Nachricht auf seiner Facebook-Seite und spricht von Lügen und Hetze seitens der ADR. „Nee, hien ass net gepickt“, verteidigt Simone Braas ihren Spitzenkandidaten. Weitere Liberté-Anhänger eilen Reding zur Seite, wie der Kandidat Jo Didier, der schreibt, die ADR habe die Covid-Politik der Regierung unterstützt. Sylvie Mischel entschuldigt sich für ihre Behauptung – sie sei falsch informiert gewesen. Am Tag zuvor stritten sich beide Gruppierungen auch schon; auf Facebook wurden Fotos herumgereicht, auf denen die Liberté Wahlplakate in Ober- und Niederbesslingen mit denen von der ADR zugeklebt wurden.

Allerdings streiten nicht nur Liberté und ADR miteinander, sondern auch Liberté-Anhänger untereinander. In dem Manifest der Bewegung wird beschworen, man trete für „mehr Empathie“ und „mehr Respekt“ ein. Gegenüber anderen Parteien zeichne sie sich durch ihre moralische Haltung aus. Die Nordkandidatin Jessica Schiltz meint am Samstag gegenüber dem Land, sie setze sich für „Menschlichkeit und Transparenz“ ein. „Mehr habe ich nicht zu sagen“ und bricht das Gespräch ab. Nach dem Fest postet die 38-jährige auszubildende zur Dachdeckerin, die Nord-Liste werfe ihr vor, sie habe kaum bei den Aufräumarbeiten geholfen, was nicht stimme. Und Guy Arend würde behaupten, seine Stroossenengelen würden den Kühlschrank von Jessica Schiltz auffüllen, damit sie über die Runden komme. „Ech hunn es esou genuch vun iech an ären dreckege Ligen!“, richtet sie an ihre Parteikolleg/innen auf Facebook aus.

Der gelernte Gärtner Armand Klein will zeigen, dass ihm Energiefragen nicht egal sind und öffnet auf seinem Handy die Seite der Redwell-Manufaktur, die Infrarot-Heizungen vertreibt. „Kein Staub, kein Schmutz, kein Ölgestank“, verspricht das Unternehmen. Man brauche die grüne Partei und ihre Lösungsverschläge nicht, sondern Infrarot-Heizungen, meint Armand Klein. Es ist fast 18 Uhr. Beim Abschied sagt er: „Schreift ee schéinen Artikel“.

Stéphanie Majerus
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