Theatersaison 2019/20 (1)

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d'Lëtzebuerger Land du 23.08.2019

Mit dieser ersten Vorschau auf die anstehende Theater-Spielzeit 2019/20 werfen wir einen Blick auf die Théâtres de la Ville, die mit dem Großen Theater und dem Kapuziner-Theater einmal mehr ein breites Programm unterschiedlicher Kunstrichtungen anbieten. Aus Marketinggründen wird der Begriff der Koproduktion allzu gern inflationär gebraucht. Waschechten Eigenproduktionen hingegen wird in dieser Programmpräsentation besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Vorab jedoch offenbart der Fokus auf das Sprechtheater, wie sehr in dieser Saison das Prinzip der Vernetzung hochgehalten wird, und dies in vielerlei Hinsicht. So etwa arbeiten beide Häuser gemeinsam an zwei Projekten, weshalb sie nicht nur individuell betrachtet werden können:

Im Rahmen des Zyklus Sur la violence präsentiert das Große Theater im März eine freie Adaption von Alexandre Dumas‘ La dame au camélias, eine Produktion des Théâtre national de Bretagne unter der Regie von Arthur Nauzyciel mit einem kritischen Blick auf Körperlichkeit und Sexualität im 19. Jahrhundert. Auch Thomas Ostermeiers Fassung von Edouard Louis‘ Im Herzen der Gewalt verspricht eine schonungslose Auseinandersetzung mit Rassismus und Homophobie in einer Produktion der Berliner Schaubühne. Anfang und Ende dieses Projekts übernimmt das Kapuzinertheater seinerseits in Gestalt zweier Créations: Dea Lohers Das letzte Feuer mit Max Thommes und Brigitte Urhausen in einer Regiearbeit von Anna-Elisabeth Frick; eine Studie mehrerer Fallbeispiele für die Gnadenlosigkeit des Lebens. Vielversprechend klingt zudem Maud Galet Lalandes Interpretation von Lola Molinas Seasonal Affective Disorder mit Eugénie Anselin und Serge Wolff über ein ungleiches Verbrecherpaar auf der Flucht ins Nirgendwo.

Eine nicht weniger aktuelle Teamarbeit dürfte der Zyklus Focus Europe sein, der sich über den Monat Mai erstreckt. Einmal aus der Sicht junger Performer, einmal am Beispiel der Spitzel- und Rücktrittsaffäre um Günter Guillaume und Bundeskanzler Willy Brandt zeichnet das Große Theater in Falk Richters I am Europe des Théâtre national de Strasbourg und Demokratie von Michael Frayn des Deutschen Theaters Berlin zentrale Phasen europäischer Entstehungsgeschichte nach. Auch das Kapuziner-Theater knüpft an dieses Projekt an. Mit Cédric Eeckhouts Abend The Quest beleuchtet der belgische Autor und Regisseur europäische Realität am Beispiel eigener Reisestationen mit seiner Familie. Reizvoll klingt zudem Identität Europa: Kathrin Hilbe und Rafael David Kohn inszenieren in diesem Projekt Perspektiven auf den europäischen Stand der Dinge, wie sie von acht unterschiedlichen europäischen Autoren, darunter Guy Helminger für Luxemburg, festgehalten wurden. Mehr Vernetzung geht kaum.

Selbst hausintern liefert das Große Theater ein konzeptualisiertes Paket rund um den US-amerikanischen Autor Don DeLillo. Im Monat November gastiert Julien Gosselin mit den ins Französische übersetzten Bühnenfassungen Joueurs, Mao II und Les noms. Eine neunstündige Arbeit, auf drei Theaterabende aufgeteilt. Für DeLillos Werk charakteristisch kreisen sämtliche Arbeiten um die Frage nach den Auswirkungen internationaler Beziehungen auf den Alltag des durchschnittlichen US-Bürgers, auch im Kontext der ständigen Bedrohung durch terroristisches Grundrauschen. Mit diesen drei Gastspielen richtet das Haus am Rond-Point Schuman seine Aufmerksamkeit auf einen Hochkaräter amerikanischer Gegenwartsliteratur und Daueranwärter auf den Literaturnobelpreis.

Mit dem Einstieg Le jeu de l‘amour et du hasard von Marivaux sowie Ionesco Suite im Oktober, Hugos Ruy Blas im Dezember, Ibsens Un ennemi du peuple im Januar und der Mainzer Physiker-Inszenierung im April reihen sich weitere prominente Dramatiker und Prosaisten europäischer Herkunft in diese Riege ein, ohne in eines der genannten Konzepte zu gehören.

Bevor das Kapuziner-Theater Achtung findet gibt es Anton Tschechow im Doppelpack: Während Luxemburg sich im Mai auf das Gastspiel What if they went to Moscow? frei nach den Drei Schwestern freuen darf, bringt Regisseurin Myriam Müller Ivanov mit Jules Werner im Februar auf die Bühne. Mit dieser Veranstaltung ist eine Sparte im Großen Theater verknüpft, die 19/20 generell ins Hintertreffen gerät: Immerhin schließt Ivanov eine Reihe von lediglich drei waschechten Eigenproduktionen ab. Dazu zählt Jeff Schinkers Grimm-Übersetzung Rabonzel im Dezember unter der Regie von Charles Muller, der mit Gast Waltzing, Andreas Wagner, Fabienne Hollwege und Luc Schiltz auf eine ganze Reihe namhafter lokaler Künstler zurückgreifen darf, um das Volksmärchen auf jugendliche Lebensträume hin zu beleuchten. Im Folgemonat präsentiert Regisseur Thierry Mousset dann die deutschsprachige Übersetzung des Südstaaten-Dramas Süden des französischen Dramatikers Julien Green über Ausgrenzung und Rassismus. Auch hier ist Luc Schiltz Teil des Ensembles.

Es folgt der Blick auf das Kapuziner-Theater. Neben den bereits angekündigten hausübergreifenden Projektarbeiten sei auf weitere Abende im Stadtzentrum hingewiesen. In Zusammenarbeit mit den „Chancegläichheetsservices“ aus Düdelingen und Bettemburg trägt Betsy Dentzer gemeinsam mit Nadine Kauffmann und Nancy Schlammes von Toneclash musikalisch untermalte Volksmärchen mit starken Frauenfiguren in Weibereien vor – betont an Erwachsene gerichtet.

Im Gegensatz zum Großen Theater setzt das Schwesterhaus stärker auf Eigenproduktionen. Regisseurin Anne Simon etwa präsentiert ab November Martin Crimp’s Dealing with Clair mit den Luxemburgern Raoul Schlechter, Jules Werner und Elisabet Johannisdottir in den Rollen. Dealing with Clair wird als psychologische Gewaltstudie im Business der Immobilienmakler angekündigt.

Nach Beethovens Briefwechseln in den letzten beiden Spielzeiten befasst sich die Regisseurin Marion Rothhaar im Dezember mit dem schriftlichen Austausch zwischen dem notorischen Fatalisten Thomas Bernhard und seinem Verleger Siegfried Unseld, gesprochen von Harald Fröhlich und Germain Wagner, musikalisch begleitet von Cathy Krier: Auf eine Breitseite Zynismus und Apokalyptik dürften wir uns mit In die Poesie gehört die Ökonomie freuen.

Der Talentschmiede „Capucins libre“ sind schließlich Einblicke in Charles Aznavours Kindheit mit Petit frère, la grande histoire Aznavour im Oktober und Mentez-moi, frei nach Pinocchio-Motiven von Carlo Collodi im März zu verdanken. The Strange Tale of Charlie Chaplin and Stan Laurel des Ensembles Told by an idiot im Januar und Xavier Durringers A love supreme über eine unter dem Druck des Internetsex scheiternde Peep-Show-Tänzerin mit Nadia Fabrizio findet diese Programm-Präsentation der Théâtres de Luxemburg für die anstehende Spielzeit ein Ende: Knapp dreißig Produktionen, vielfältig vernetzt.

Weitere Informationen zu Produktionen, Spielzeiten und Kartenverkauf unter www.theatres.lu

Claude Reiles
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