Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Über Mietsenkungen

d'Lëtzebuerger Land vom 12.03.2021

Das Luxemburger Wort meldete am 21. März 1871 eine Wiederauferstehung von den Toten: „In Paris herrscht und gebietet nämlich der socialistische Aufstand, die rothe Republik, die Republik von 1793, die Republik Robespierres und Marats.“

Nächsten Donnerstag werden es 150 Jahre, dass das Volk von Paris und die Nationalgarde, die die Stadt gegen die preußische Belagerung verteidigte, die Macht übernahmen. Eine Woche später fanden Wahlen statt, die Commune de Paris wurde proklamiert. Es war ein noch nie dagewesenes Parlament von Metallarbeitern, Schustern, Buchbindern, Schriftsetzern, Hutmachern, Färbern... Sie waren rechenschaftspflichtig und abberufbar. Hierzulande bestehen das Parlament und die Regierung aus Beamten und Rechtsanwälten. Sie haben Demokratie zu ihrem Gewerbe gemacht.

Paris war eine Weltstadt. Dort lebten zahlreiche Immigranten. Viele nahmen am Aufstand der Commune teil: „Belges, Luxembourgeois, Suisses et Italiens sont les plus nombreux“, heißt es in dem neuen Handbuch La Commune de Paris 1871. Les acteurs, l’événement, les lieux (S. 525).

Zu den ersten Amtshandlungen der Commune gehörte die Senkung der Wohnungsmieten. Bei allen Klagen über die ständig steigenden Mieten bleibt das hierzulande unvorstellbar. Die von ihren geflüchteten Besitzern verlassenen Pariser Wohnungen wurden beschlagnahmt und Wohnungssuchenden überlassen. Hierzulande soll es zwischen 10 000 und 20 000 leerstehende Wohnungen geben. Die Habseligkeiten im Pfandhaus Mont-de-piété wurden den Schuldnern kostenlos zurückerstattet. Lobbyisten warnen in der Corona-Krise eindringlich vor einem Schuldenerlass.

Die Commune schuf die Wehrpflicht ab. Dazu brauchte Luxemburg 96 Jahre länger. Die Commune trennte Kirche und Staat, führte einen laizistischen Schulunterricht ein. Das kam hierzulande 144 Jahre später. Lohneinbehalte in den Betrieben wurden verboten, ebenso die Nachtarbeit in den Bäckereien. In Luxemburg bleibt beides erlaubt. Kriegsversehrte erhielten eine Rente. Zur Versorgung der ausgehungerten Bevölkerung wurden Nationalmetzgereien geschaffen. Mädchen wurden zum Berufsunterricht zugelassen.

Angesichts solcher Ungeheuerlichkeiten holten die vermögenden Bürger und alten Adligen zum Gegenschlag aus. Ihre Regierung in Versailles ließ Geiseln erschießen und die Hauptstadt bombardieren. Die Commune nahm Geiseln, richtete „Reaktionäre“ hin und unterdrückte ihre Zeitungen. Gleichzeitig wurde die Guillotine als Symbol des alten Unrechts verbrannt.

Dann wurde der kurze Traum der Arbeiter, Marktfrauen und Handwerker im Blut ertränkt. Nach der Semaine sanglante applaudierte das Luxemburger Wort: „Daß die versailler Truppen diesen Unmenschen keinen Pardon gaben, wer wollte ihnen das zum Verbrechen anrechnen? Furchtbar haben sie unter der Pariser Canaille aufgeräumt; bis zum
22. Mai wurden 12 000 Insurgenten verwundet und getödtet und vom 22. bis 28. Mai wurden ihrer über 10 000 getödtet“ (1.6.1871). Noch mehr wurden eingekerkert oder nach Neukaledonien deportiert.

Binnen nur 72 Tagen hatte die Commune Unvorstellbares vollbracht: Unter dem Feuer preußischer und Versailler Truppen hatte sie Wahlen veranstaltet und öffentliche Dienstleistungen gesichert. Sie hatte eine neue Form von Volksherrschaft eingeführt. Die sorgte dafür, dass soziale Reformen nicht erst einmal aufgeschoben wurden. Nach der Niederschlagung der Commune sollten manche dieser Reformen noch hundert Jahre lang in den Wahlprogrammen stehen.

Jedes Jahr schickt die hauptstädtische LSAP eine kleine Abordnung zum Grabstein zweier Kommunarden auf dem Siechenhof. Vielleicht um zu überprüfen, ob sie wirklich tot sind. Dass das Luxemburger Wort nicht noch einmal die Wiederauferstehung der „rothen Republik“ melden muss.

Romain Hilgert
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