Nächstes Jahr sollen die Strompreise sinken. Für alle Verbraucher, kleine wie ganz große. Weil der Markt nicht alles regelt

Jetzt kommt der Staat

In den nächsten zehn Jahren müsse jedes Jahr ein dreistelliger Millionenbetrag in den Ausbau der Netze investiert werden, schätz
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 06.06.2025

Mit den Ankündigungen zu den Renten in seiner Erklärung zur Lage der Nation am 13. Mai provozierte Premier Luc Frieden einen Aufschrei bei Gewerkschaften und der Opposition links von CSV und DP. Dadurch gingen andere Aussagen, die er im état de la nation gemacht hatte, unter. Zum Beispiel die: „Stand haut, sollt de Stroumpräis domat nächst Joer erofgoen, trotz dem Auslafe vun der Stroumpräisbrems.“

Mit „domat“ meinte Luc Frieden ein erhebliches Engagement der Staatskasse. Sie soll den Kompensationsmechanismus für grünen Strom übernehmen. Und mit rund 150 Millionen Euro „en Deel vun den Netzkäschten“. Viel Aufsehen erregte das vor drei Wochen im Parlament nicht. Nur die Grünen-Abgeordnete Sam Tanson wollte wissen, ob „Bréissel“ mit diesen Plänen einverstanden ist. Frieden antwortete: „Wir gehen davon aus, dass es kompatibel mit dem EU-Recht ist.“

All das ist ziemlich bemerkenswert. Einerseits, weil viel Geld fließen soll. Der Kompensationsmechanismus werde nächstes Jahr voraussichtlich 120 Millionen Euro kosten, teilt das Wirtschaftsministerium auf Nachfrage mit. Zusammen mit den vielleicht 150 Millionen für das Stromnetz, macht das 270 Millionen Euro. Allein für 2026, aber danach wird es weitergehen müssen. Wie der Premier selber sagte: „Energie muss bezuelbar bleiwen.“

Der Aspekt „EU“ ist der andere bemerkenswerte Teil der Ankündigung. Die steht durchaus im Widerspruch zum Geist der Energiemarkt-Liberalisierung, die in den Neunzigerjahren durchgezogen wurde. Zwar wurde nur der Handel mit Strom und Gas in der EU frei. Die Netze blieben als Infrastruktur von der Konkurrenz ausgenommen. Doch die Netzkosten sollten auf die Verbraucher umgelegt werden. Wie es in Luxemburg geschieht. Die Förderung von erneuerbarem Strom über den Preis wird ebenfalls auf die Verbraucher umgelegt. Dazu dient der Kompensationsmechanismus: Wer grünen Strom produziert und ins Netz einspeist, erhält 15 Jahre lang einen garantierten Preis, der hoch genug ist, um die Investition in so eine Stromproduktion interessant zu machen. Der Netzbetreiber bekommt die Differenz zwischen diesem erhöhten Preis und jenem, den er im Großhandel hätte zahlen müssen, über den Kompensationsmechanismus zurück. Zum Kompensations-Topf leisten alle Verbraucher pro Kilowattstunde einen Beitrag. Für kleine Kunden ist er höher als für professionelle, für diese wiederum höher als für Großverbraucher aus der besonders stromintensiven Industrie.

Dass die Förderung von grünem Strom in einen Staatshaushalt genommen und obendrein das Netz bezuschusst wird, ist für die EU-Kommission erst neuerdings akzeptabel. Ein Dogma der Liberalisierung lautete, dass der Markt dafür sorgen wird, dass Kraftwerke dort entstehen, wo sie gebraucht werden. Nach demselben Prinzip sollte grüner Strom seinen Platz in der Versorgung finden. Doch das funktioniert nicht. Jedenfalls nicht schnell genug, damit die Klimaziele erreicht werden. Weshalb in der EU die Förderung erneuerbarer Energien mehr und mehr als staatliche Aufgabe angesehen wird. Die Stromnetze staatlich zu bezuschussen, ruft die EU-Kommission die Mitgliedstaaten mittlerweile sogar auf. Es steht in einem Affordable Energy Action Plan, den sie Anfang dieses Jahres herausgegeben hat. Luxemburg liegt auf der Linie von „Bréissel“. Um sicherzugehen, hat das Wirtschaftsministerium dazu Ende 2024 ein juristisches Gutachten eingeholt.

Die spannende Frage lautet nun vor allem, wer in welchem Maß von den Staatsausgaben profitieren wird. Vor allem von den 150 Millionen zu den Netzkosten. Der Betrag sieht hoch aus, wenn man bedenkt, dass nach den Prognosen von Netzbetreiber Creos in den nächsten zehn Jahren ein dreistelliger Millionenbetrag ins Stromnetz investiert werden muss – Jahr für Jahr. „Wéi an Däitschland“ werde man vorgehen, hat Luc Frieden angekündigt. Deutschland hat 22 Milliarden Euro Staatsgeld in seine Netze gesteckt, um den Netzkosten-Anteil am Strompreis zu senken. Die Milliarden fließen in sämtliche Spannungsniveaus, sowohl in die Niederspannung, an der die kleinen Verbraucher hängen, wie in die Mittelspannung für die größeren, als auch in die Höchstspannung für die ganz großen. Das muss so sein, damit die EU-Kommission, bei aller neuen Offenheit für staatliche Netz-Zuschüsse, keine unzulässige Beihilfe an kommerzielle Verbraucher vermutet.

Luxemburg dürfte das kaum anders handhaben können. Auch wenn im état de la nation der Eindruck entstehen konnte, die Maßnahme sei in erster Linie als Handreichung an die Industrie gemeint: Über deren Wettbewerbsfähigkeit dachte Luc Frieden nach, ehe er auf den Strom zu sprechen kam. Er sagte, bekomme man die Energiepreise nicht in den Griff, „da brauche mir kengem méi bei der Transitioun ze hëllefen, dann ass d’Industrie aus Europa fort“. Eine „Reindustrialisierung“ könne „nur“ über die Energiepreise gelingen. Doch der Industriellenverband Fedil, der den Ansatz der Regierung „klug“ nennt, verlangt keine Extrawurst. Zumindest nicht gegenüber einer Zeitung. „In unseren Augen ist, was angekündigt wurde, eine Verallgemeinerung der Kosten der Energietransition“, sagt Gaston Trauffler, Head of Industry Development bei der Fedil. Das werde alle entlasten, die bei der Transition mitmachen, Elektroautobesitzer genauso wie einen Industriebetrieb, der seine Prozesse von Gas auf Strom umstellen will. „Nur beim Netz kann Luxemburg etwas unternehmen.“ Der Strompreis selber entstehe am Markt. Die Stromsteuer zu senken, „hätte nicht viel Wirkung, sie ist bereits sehr niedrig“ – im Unterschied zu Deutschland oder Frankreich.

Aber natürlich hat die Fedil Erwartungen. Gaston Trauffler weist darauf hin, dass für Unternehmen, die ihre Produkte auf dem Weltmarkt verkaufen, nicht der Strompreisunterschied „zwischen Luxemburg und Deutschland oder Italien“ den Ausschlag gibt, sondern der zwischen Europa und den USA oder China, „wo er zwei bis drei Mal kleiner ist“. Was sich anhört, als könne ein Zuschuss zum Netz an einem so großen Unterschied wenig ändern. Laut Eurostat differierte im zweiten Halbjahr vergangenen Jahres der Preis pro Kilowattstunde (mit Netz und allen Steuern) zwischen Luxemburg und den drei Nachbarländern in der höchsten Industrie-Verbrauchskategorie von 20 bis 69,9 Gigawattstunden um maximal 28 Prozent (um so viel lag der Preis in Deutschland höher). Doch das allein sagt nicht viel aus, da einige Industriebetriebe über ihre Versorger auch zu den Preisen im Tagesgeschäft an der Strombörse einkaufen. Sind diese Preise überwiegend niedrig, hat das Unternehmen Glück. Im anderen Fall hat es Pech.

Einen gewissen Spielraum bei der Allokation der Netzbeihilfe hat die Regierung. Über die Details sei man mit den Netzbetreibern, von denen Creos der größte ist, und der Regulierungsbehörde ILR „im Gespräch“, lässt das Wirtschaftsministerium wissen. Im Herbst werde sich das klären. Auch die Frage, wieviel Geld aus der Staatskasse für die Netze fließen soll; die rund 150 Millionen Euro, die der Premier nannte, seien eine Schätzung. Der Finanzminister braucht für den nächsten Staatshaushalt natürlich präzisere Zahlen.

Spielraum gibt es vielleicht auch bei den Netztarifen. Die am 1. Januar neu in Kraft getretene Tarifstruktur, die zum Politikum geworden war, gilt nur für die kleinen Verbraucher – Haushalte und ganz kleine Betriebe. Für Verbraucher, die darüber liegen, ist noch alles wie gehabt. Ob es für sie nächstes Jahr eine neue Tarifstruktur geben wird oder vielleicht erst 2027, ist noch nicht sicher.

Das ist ein interessanter Punkt mit Blick auf Luc Friedens Ankündigung, trotz Ende der Strompreisbremse, die ebenfalls nur für die kleinen Verbraucher gilt, werde Strom nächstes Jahr preiswerter. Was das ILR mit viel Aufwand ausgerechnet hatte und gemeinsam mit der Generaldirektion Energie im Wirtschaftsministerium noch verfeinerte, soll eine Lenkungswirkung haben. Dass die Netzkosten nicht mehr nur auf der Menge des entnommenen Stroms berechnet werden, sondern auch je nachdem, wieviel auf einen Schlag entnommen wurde, soll die Stromnetz-Nutzung optimieren. Vor allem für die Zukunft, wenn mehr Wind- und Solarstrom aus heimischer Produktion im Netz fließt. Dann soll nicht zu viel auf einmal entnommen werden, damit die Versorgung sicher bleibt.

Ein Staatszuschuss zum Netz würde diesen pädagogischen Effekt vermutlich mindern. Oder doch nicht? – Auch dazu sei man mit Netzbetreibern und ILR im Gespräch, teilt das Wirtschaftsministerium andeutungsvoll mit. Auf die Frage, ob eine Form von Pädagogik auch mit den neuen Tarifen für größere Verbraucher beabsichtigt sein soll, geht das Ministerium nicht ein. In der E-Mail mit Antworten auf die Fragen des Land lässt es aber wissen, Gegenstand des juristischen Gutachtens sei auch gewesen, ob sich durch einen Netzzuschuss „nicht nur Haushalten“ helfen ließe. „Wegen der Wichtigkeit attraktiver Strompreise für die Kompetitivität unserer Betriebe.“

Eine gewisse späte Genugtuung durch die angekündigten Staats-Engagements könnte der DP-Europaabgeordnete Charles Goerens erfahren. Als Umweltminister der CSV- DP-Regierung zwischen 1999 und 2004 hatte er eine Solarstromförderung einführen lassen, die so großzügig war und so viel Zuspruch fand, dass Luxemburg mit der pro Kopf der Bevölkerung installierten Fotovoltaikleistung Weltmeister wurde. Das Geld zum Ausgleich für den garantierten Einspeisepreis ins Netz kam damals nicht aus einem Kompensationsmechanismus, sondern aus der Staatskasse. Die Ausgaben wurden, jedenfalls aus der damaligen Sicht, derart hoch, dass CSV-Premier und Finanzminister Jean-Claude Juncker so grausam war, „Missbrauch“ zu vermuten und das auf Goerens zurückfallen ließ, der für strengere Regeln hätte sorgen müssen.

Aber das waren andere Zeiten. Für Luc Frieden kann es heute gar nicht genug grünen Strom vun heiheem geben. „À moyen terme“, erklärte er am 13. Mai, „ass e bezuelbaren a kompetitiven Energiepräis nëmme méiglech, wa mir op erneierbar Energien ëmklammen – den zweete Pilier vun eiser Strategie.“

Peter Feist
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