Reform der Steuertabelle

Gegensteuerung

d'Lëtzebuerger Land vom 30.01.1997

Eigentlich hatte die Regierung vor, sich rechtzeitig zum dreifachen Wahljahr 1999 das Wohlwollen der Wähler mit einer kleinen Lockerung der Steuerschraube zu sichern. Während überall die Steuersysteme umgekrempelt werden, war seit der Reform von 1991 außer der einmaligen Anpassung der Steuertabelle (und einer TVA-Erhöhung) nichts mehr für die gegen Lohn und Gehalt arbeitenden Einkommenssteuerzahler getan worden.

Währenddessen wurde die Körperschaftsteuer seit 1987 regelmäßig von 40 auf demnächst 30 Prozent gesenkt, die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft und wurde zahlreiche weitere Maßnahmen ergriffen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch eine Senkung der Steuerlast und der Sozialabgaben zu fördern. Folglich hält die Regierung es für nötig, bei den Wählern den Eindruck zu vermeiden, daß sie einseitig "Steuergeschenke an die Unternehmen" verteile.

Am 1. Januar 1998 soll aber auch das Gesetz über die Pflegeversicherung in Kraft treten. Und dieses sieht die Einführung einer neuen, "Pflegeabgabe" genannten Steuer von einem Prozent des Einkommens vor. Weil die Erfindung einer neuen Steuer ein Jahr vor  den Wahlen aber nicht unbedingt populär ist und die geplante Pflegeversicherung nicht nur Bewunderer hat, scheint die Regierung es für politisch vorsichtiger zu halten, den durch die Pflegeabgabe verursachten Einnahmeausfall durch eine kleine Senkung anderer Steuern auszugleichen - so wie derzeit zumindest die Betriebe mit einer Senkung der Unfallversicherungsbeiträge über die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge hinweggetröstet werden.

Zudem kann der Finanzminister kaum noch vor den neidischen Blicken der Steuerzahler verbergen, daß zahlreiche außerplanmäßige Einnahmequellen die Staatskasse füllen, wie die Besteuerung aufgelöster Bankrücklagen, die Rückzahlung der Europäischen Union oder die Einnahmen aus dem Verkauf von Goldreserven.

Eine kleine Geste zugunsten der "personnes physiques" fällt aber auch um so leichter, als sie teilweise aus den Steuereinnahmen finanziert werden kann, die aufgrund der Inflation "zuviel" gezahlt wurden. Immerhin stiegen zwischen 1991 und 1996 die auf Löhnen und Gehältern zurückbehaltenen Steuern um 66 Prozent. Die Ursache dafür ist nicht nur ein Anstieg der Reallöhne um 5,7 Prozent, der Zahl der Erwerbstätigen und der Geldentwertung, sondern auch die Tatsache, daß die Erwerbstätigen durch die Wirkung der Geldentwertung auf höhere Stufen der progressiven Steuertabelle gezerrt werde. Die Berufskammer der Beamten und öffentlichen Angestellten rechnete in ihrem Gutachten zum 97er Staatshaushalt vor, daß der Rückstand der Steuertabelle auf die Preisentwicklung zwischen 1994 und 1997 auf sieben Prozent oder 4,05 Milliarden Franken betrage. 

Doch inzwischen stellt sich die Frage, ob ein kleiner Dreh an der Steuertabelle rechtzeitig vor den Wahlen ausreicht. Denn mit der bevorstehenden Einführung des Euro beschleunigt sich die seit Jahren eher informell als formell stattfindende Annäherung der europäischen Steuersysteme. Die Tagung der EU-Finanzminister am Montag in Brüssel zeigte, daß die einflußreichsten Staaten zwar nicht bereit sind, auf das Einstimmigkeitsprinzip in steuerpolitischen Fragen und damit auf ihre Steuerhoheit zu verzichten. Aber ein Verhaltenskodex gegen Steuerdumping und Steueroasen wurde als interessante Halblösung entdeckt. Ohne die Ergebnisse von Binnenmarktkommissar Mario Montis Arbeitsgruppe abzuwarten, will die deutsche Regierung schon nächsten Monat Vorschläge machen, wie die Steuerflucht von Deutschland nach Luxemburg mit anderen Mitteln als Hausduchsuchungen bei Banken eingedämmt werden könnte.

Aber auch die von der deutschen Regierung angekündigte Erhöhung der Mehrwertsteuer ebnet den Weg zu einer weiteren Verringerung der Bandbreite der TVA-Sätze in der EU. Dies käme einer Heraufsetzung des demnächst einsam niedrigen Luxemburger Satzes gleich, was laut Regierungspolitik mit einer Senkung direkter Steuern kompensiert gehörte.

Schließlich hatte der Premier bei dem sozialistischen Abgeordneten Jeannot Krecké ein Gutachten in Auftrag gegeben, das sich anfänglich mit dem Steuerbetrug befassen und dann eine Gesamtbetrachtung unseres Steuerwesens werden sollte. Der Abgeordnete soll nun seinen Bericht noch vor der Ankündigung der Steuermaßnahmen in der Erklärung zur Lage der Nation im Mai und am besten bis Ende nächsten Monats abliefern. 

Dies heißt jedoch nicht unbedingt, daß die Regierung noch eine größere Reform vorhat. Denn entscheidend an einer weitergehenden Reform des Steuerwesens ist die Zielsetzung. Soll die Staatsquote gesenkt werden, soll das System vereinfacht werden, soll die Steuergerechtigkeit erhöht, der Produktionstandort begünstigt, die Umverteilung des nationalen Reichtums über die Steuern verändert werden? Lassen sich mehrere Ziele unter einen Hut bringen? Schließlich kann eine Vereinfachung des Steuersystems die Steuergerechtigkeit verringern, wenn sie die Berücksichtigung besonderer Einkommens- und Verbrauchsituationen abschafft. Sie kann aber auch die Steuergerechtigkeit vergrößern, weil sie die Vorteile jener abbaut, die aufgrund ihres Einkommens und ihrer Fähigkeiten alle Register der Steuervermeidung ziehen können.

Angesichts der Tragweite solcher Veränderungen und der Erfahrung, die sie mit der Reklassierung Unverheirateter und den Ökosteuern gemacht hat, ist die Versuchung für die Regierung groß, alle Pläne für weitergehende Änderungen bis nach den Wahlen in die Schublade zu legen. Schließlich dürften Pensionsreform, Pflegeversicherung und Euro genug Wahlkampfthemen liefern reichen.

Romain Hilgert
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