Schlecht bezahlte Kulturtechnik: Eine Ausstellung in Vorarlberg lässt über die Widersprüche des Putzens staunen

Mehr Sauberkeit, mehr Dreck

d'Lëtzebuerger Land vom 29.09.2023

Sind reinliche Männer exotisch? Der Ingeborg-Bachmann-Preis für deutschsprachige Literatur ging heuer an Valeria Gordeev für Er putzt, einen Text über einen Kämpfer gegen Schmutz. In Wirklichkeit putzt Er nicht so oft: In Österreich, wo das sozialistisch beseelte Familienrecht schon seit Jahrzehnten „Ausgewogenheit“ bei der Verteilung der Hausarbeit vorsieht, gaben im Frühjahr bei einer Umfrage nur zwölf Prozent der Männer an, „immer oder häufiger“ zu putzen – dagegen 73 Prozent der Frauen; lediglich die Auto-Reinigung ist überwiegend Männersache. Selbst im Gleichberechtigungs-Weltrekord-Schweden will das Statistikamt vor kurzem herausgefunden haben, dass Männer im Schnitt pro Tag bloß 34 Minuten lang „putzen, Geschirr spülen, Betten machen und Müll entleeren“ – Frauen dagegen 54 Minuten.

Wer Dreck produziert, genießt meist ein höheres Ansehen und Einkommen als jene, die ihn wegmachen. „Frauen, Arme, People of Colour, Migrantinnen: die Beseitigung des Schmutzes wird an Menschen delegiert, die in der Hierarchie weiter unten stehen“, sagt Stefania Pitscheider-Soraperra, die Direktorin des Frauenmuseums in Hittisau in Vorarlberg. Sie hat eine Ausstellung zum sonst gerne übersehenen Thema Saubermachen kuratiert: „Putzen ist Kulturtechnik, Schwerarbeit, Ritual, gesellschaftliche Vorgabe.“ Für Feministinnen ist das Sujet durchaus heikel, denn bislang ging Emanzipation nicht zuletzt auf Kosten von weniger gut entlohnten ausländischen Putzfrauen.

Das Frauenmuseum im Bregenzerwald behandelt nun vor allem traditionelle Rollenzuschreibungen, aber auch ökonomische, ökologische, sogar religiöse Fragen der Reinlichkeit. Die Schau ist in den medizinischen Farben Weiß und Petrolgrün gehalten und in fünf Abschnitte gegliedert: „So schön“, „So rein“, „So zivilisiert“, „So ordentlich“ und „So sicher“. Historische Haushaltsgeräte und Werbeplakate wechseln sich darin ab mit Werken von zeitgenössischen Künstlerinnen, etwa von Valie Export oder Swaantje Güntzel. Das Heimatmuseum in Lech am Arlberg, etwa 50 Kilometer von Hittisau entfernt, präsentiert einen weiteren Teil: „So unsichtbar“ ist eine Ausstellung über Stubenmädchen, Hausmeister und Reinigungskräfte, die diskret im Hintergrund arbeiten, damit für die Touristen alles glänzt.

Beim Wischen durch die Hygiene-Geschichte zeigt sich, dass der Dreck immer kleiner und unanschaulicher, die Technik zu seiner Entfernung immer ausgefeilter wird. Schon lange glauben wir nicht mehr, dass vor allem schlechte Gerüche gefährlich seien. Zunehmend ängstigt uns Verschmutzung, für die wir keine Sinne haben, zum Beispiel Krankheitserreger, Feinstaub oder radioaktive Strahlung. Staubsauger, Waschmaschinen und andere vermeintliche Wundergeräte zur Zeiteinsparung haben die Hausarbeit bisher keineswegs verringert. Stattdessen sind im Lauf der Zeit die Ansprüche gestiegen: Wer es Cleanfluencerinnen recht machen will, muss jetzt immer öfter und gründlicher reinigen.

Weltweit werden derzeit 55 000 verschiedene Putzmittel verkauft, pro Jahr für rund 30 Milliarden Euro. Manche davon, zum Beispiel Lösungsmittel für Farben, sind hochgiftiger Sondermüll. Viele Reinigungsmittel belasten die Umwelt mit Mikroplastik. Dabei würde zum Saubermachen oft eine Handvoll vergleichsweise harmloser Stoffe ausreichen, die man sich preiswert selbst zusammenrühren könnte: Wasser, Essig, Zitrone, Pottasche, Soda und Natron. „Unsere Welt war noch nie so keimfrei, so desinfiziert wie heute – und noch nie so schmutzig“, findet Pitscheider-Soraperra. Immerhin verursachen Waschmittel mittlerweile keine Schaumberge auf den Gewässern mehr, und auch weggeworfene Corona-Schutzmasken verschwinden langsam wieder aus der Landschaft. Kindern wird nun sogar das Spielen im Dreck empfohlen, damit sie weniger Allergien entwickeln.

Selbst wenn Männer eher ungern putzen, haben sie doch oft dezidierte Vorstellungen von Sauberkeit. Gerne machen zum Beispiel Religionsstifter Vorgaben zur Reinheit, speziell von Frauen. Im Islam ist nach der Menstruation eine große rituelle Reinigung vorgeschrieben. Im Judentum gilt eine Frau nach der Geburt eines Sohnes 40 Tage lang als „unrein“, nach der Geburt einer Tochter 80 Tage. Bis in die 1960-er Jahre durfte auch im katholischen Österreich eine Mutter die Kirche erst nach einer „Aussegnung“ wieder betreten. Die größten Sauereien kommen allerdings regelmäßig dann heraus, wenn rassistische Spinner meinen, sie müssten die Welt in Ordnung bringen und für „reines Blut“ sorgen. Kaum etwas artet so dreckig aus wie „ethnische Säuberungen“.

Die Ausstellung Blitzblank! Vom Putzen – innen, außen, überall ist noch bis 27. Oktober 2023 in Hittisau und Lech zu sehen: frauenmuseum.at

Der internationale Verein der Frauenmuseen zählt weltweit rund 80 Häuser und 30 Online-Projekte: iawm.international

Martin Ebner
© 2023 d’Lëtzebuerger Land