Verfolgte die vor zwei Jahren vorgestellte Mietrechtsreform noch das Ziel, Mieter besser zu schützen, soll sie nun langjährigen Eigentümern hohe Renditen sichern

Der seltsame Sinneswandel des Wohnungsbauministers Kox

Henri Kox im Februar bei der Vorstellung einer Liser-Studie
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 02.12.2022

Paradigmenwechsel „Es ist ein Paradigmenwechsel“, stellt Gary Diderich, Ko-Sprecher und wohnungsbaupolitischer Experte von déi Lénk, fest. Auch die Salariatskammer CSL benutzt diesen Ausdruck in ihrem Gutachten. Damit meinen sie nicht die gesamte Wohnungsbaupolitik des grünen Ministers Henri Kox, die dieser selbst gerne als „Paradigmenwechsel“ darstellt, sondern seine neuen Änderungsvorschläge an der Reform des Mietgesetzes. Was Diderich und die CSL damit sagen wollen: Verfolgte der Reformentwurf von vor zwei Jahren noch das grundsätzliche Ziel, die Mieter zu schützen, geht es dem Wohnungsbauminister mit den vor sechs Wochen im Parlament hinterlegten Abänderungsanträgen vorrangig darum, langjährigen Eigentümern eine hohe Rendite zu garantieren, die sich nicht mehr primär am Kapital orientiert, das sie in ihre Immobilie investiert haben, sondern am allgemeinen Marktwert. Anhand von neuen Koeffizienten, die sich an der statistischen Entwicklung des Immobilienpreisindex von existierenden Wohnungen ausrichten, wird mit dem nun vorgeschlagenen Berechnungsmodell insbesondere das investierte Kapital – also der Mietwert – von älteren Immobilien, die seit Jahrzehnten den Besitzer nicht gewechselt haben und von denen die meisten abbezahlt sind, deutlich und jährlich steigen. Zwar ist in den Anträgen eine „Deckelung“ der Koeffizienten zur Verhinderung von „Exzessen“ vorgesehen, weil zu ihrer jährlichen Berechnung der Anstieg (oder der Fall) der reellen Wohnungspreise auf neun Prozent begrenzt wird. Wie die CSL bemerkt, sei diese Grenze aber viel zu hoch angesetzt. Zusätzlich wird noch die jährliche Inflationsrate hinzugerechnet, sodass die Erhöhung (oder Senkung bei Deflation) zehn Prozent leicht überschreiten kann, wie ein Rechenbeispiel im Gesetzentwurf veranschaulicht.

„Wir wollen nicht zurück ins Jahr 1955“, entgegnet Henri Kox seinen Kritiker/innen. Die 1955 eingeführte Berechnungsgrundlage, die die jährliche Höchstmiete auf fünf Prozent des vom Eigentümer in die Wohnung investierten Kapitals festsetzt und Marktschwankungen nur sehr geringfügig Rechnung trägt, sei ungerecht, sagte der Minister am Dienstag im Gespräch mit dem Land. Im Gegensatz zu Eigentümern, die erst kürzlich eine Immobilie gekauft haben, bekämen langjährige Besitzer älterer Wohnungen „gar nichts“.

Kox‘ Sinneswandel wirkt wie eine politische Kapitulation. Vor zwei Jahren hatte er noch die Umsetzung eines Luxemburger „Mietendeckels“ als soziale Errungenschaft gepriesen. Im exposé des motifs zum ursprünglichen Entwurf wies der Minister explizit darauf hin, dass 45 Prozent der einkommensschwächsten Haushalte auf dem privaten Wohnungsmarkt mieten. Unter ihnen würden rund 64 Prozent – 14 000 Haushalte – mehr als 40 Prozent ihres Gehalts für Wohnen ausgeben. Von den steigenden Mietpreisen würden hingegen vor allem Vermieter profitieren, keine andere Investitionsform garantiere eine fünfprozentige Rendite. Weil es bislang noch an erschwinglichen öffentlichen Mietwohnungen fehle, müssten Haushalte, die auf dem privaten Markt mieten, gesetzlich besser geschützt werden. Heute scheint das alles für ihn an Bedeutung verloren zu haben. Doch wie kam es zu diesem Kurswechsel innerhalb von nur zwei krisengeschüttelten Jahren?

Mehrere Gründe haben den Ausschlag gegeben. Im Auftrag des Wohnungsbauministeriums hat das Forschungsinstitut Liser die loyers annoncés untersucht und herausgefunden, dass ein Preisunterschied zwischen neuen und alten Wohnungen nicht zu beobachten sei. Das liegt vor allem daran, dass das Mietgesetz nicht angewandt wird. Würde das Gesetz angewandt – was mit den im Juli 2020 vorgelegten Reformvorschlägen erreicht werden sollte – würden die Mieten für Wohnungen, die vor 20, 30 oder mehr Jahren gebaut oder erworben wurden und seitdem nicht den Besitzer gewechselt haben, drastisch sinken, weil das investierte Kapital damals wesentlich niedriger war als das von heute. Das hätte zur Folge, dass diese Eigentümer ihre Immobilie als Eigentumswohnung verkaufen und sich mit dem Geld eine andere Wohnung kaufen, die sie dann wiederum zu höheren Preisen vermieten könnten, argumentiert Kox.

Es seien genau diese Erfahrungen, die die deutsche Hauptstadt Berlin mit ihrem Mietendeckel gemacht habe, sagt der Minister. Einer Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge sanken die Mieten zwar deutlich für die Wohnungen, die vom Deckel erfasst wurden, doch die Mieten für Wohnungen, für die der Deckel nicht galt, stiegen stärker als in anderen deutschen Großstädten. Parallel dazu ging das Angebot an Mietwohnungen in Berlin stark zurück, was voraussichtlich daran lag, dass viele Mietwohnungen wegen gesunkener Mieteinnahmen als Eigentumswohnungen verkauft wurden. Nicht zuletzt erklärte das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel im April 2021 für verfassungswidrig.

Ob sich dieses Szenario in Luxemburg wiederholen könnte? Vergleiche sind schwer zu ziehen, da der Mietmarkt in Berlin wesentlich größer ist als der in Luxemburg, wo 70 Prozent der Bevölkerung Eigentümer sind. Auszuschließen ist es aber trotzdem nicht. Deshalb hat Henri Kox nun statt eines generellen „Mietendeckels“ neue Koeffizienten zur jährlichen Anpassung des investierten Kapitals an den Marktwert vorgelegt und gleichzeitig den Prozentsatz zur Berechnung der jährlichen Höchstmiete von fünf auf 3,5 beziehungsweise drei Prozent des investierten Kapitals gesenkt, je nachdem, ob die Wohnung energiesparend ausgestattet ist oder nicht. Weil der Minister seine Abänderungen am Anfang nicht ausreichend erklärt hatte, war in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, er wolle die Mieten insgesamt senken. Im Nachhinein stellte sich das aber als Trugschluss heraus. Wegen der Koeffizienten kann die Obergrenze von 3,5 Prozent eigentlich nur bei Neubauten und eben erst erworbenen Wohnungen zu einer Reduktion führen.

Mir hu keng Wunnéngskris Dieser Umstand ruft die Union de la propriété immobilière (ULPI) und die privaten Bauherren auf den Plan. Der Bauunternehmer Marc Giorgetti deutet die Senkung des Prozentsatzes gegenüber dem Land als „negativen Impuls“, der Anleger davon abhalte, weiter in Immobilien zu investieren. Das führe dazu, dass immer weniger gebaut werde und die Preise weiter steigen: „Mir hunn hei zu Lëtzebuerg keng Wunnéngskris“, echauffiert sich Giorgetti, „mir hu just net genuch Wunnéngen“. Ähnlich sieht es die ULPI, die in einer rezenten Stellungnahme darauf hinweist, dass die Zahl der Kaufverträge so niedrig ist wie schon seit zehn Jahren nicht mehr. Auch wenn die steigenden Zinsen dafür die Hauptursache seien: „Tout découragement à l‘investissement orchestré par le gouvernement sera néfaste dans un tel climat d‘anxiété“, schreibt die Interessenvertretung der Wohnungseigentümer.

Auch das Wohnungsbauministerium beobachtet einen Einbruch bei den Verkäufen im zukünftigen Fertigstellungszustand (vente en état futur d‘achèvement; Vefa). Schuld daran seien die hohe Inflation, die Baupreisentwicklung und die allgemeine Verunsicherung wegen der Ukraine-Krise. Das Risiko, dass durch die Entwicklung des Bauindex Wohnungen in zwei Jahren um 20 Prozent teurer würden als ursprünglich geplant, und dieser Anstieg wegen der Zinsentwicklung vielleicht nicht refinanziert werden könne, halte derzeit sowohl Kleinanleger als auch institutionelle Investoren davon ab, ihr Geld in Immobilien anzulegen, erklärt Mike Mathias, Erster Regierungsrat im Wohnungsbauministerium. Das hemme natürlich die Baubranche, die nur ein Projekt beginnen könne, wenn ein gewisser Anteil der Wohnungen schon im Vorfeld verkauft sei. Mit dem Mietgesetz habe das aber nichts zu tun.

Tatsächlich verfolge die Reform das Ziel, die Mieten zu stabilisieren, ohne sie einzufrieren, beschwichtigt Henri Kox. Die Preise würden zwar weiter steigen, aber nicht so exzessiv wie in den vergangenen Jahren. Komplementär zum Pacte Logement 2.0 und im Verbund mit den beiden Gesetzentwürfen über den erschwinglichen Wohnraum und die Wohnungsbaubeihilfen wolle die Regierung den Markt durch unterschiedliche Angebote beruhigen. Mittel- bis langfristig möchte Henri Kox einen geförderten erschwinglichen Wohnungsmarkt aufbauen, der einem größtmöglichen Teil der Bevölkerung zugänglich sein soll. In den privaten Wohnungsmarkt soll nur noch minimal eingegriffen werden, er soll dann denen vorbehalten sein, die ihn sich noch leisten können.

Allerdings wächst der subventionierte Markt noch nicht schnell genug, damit dieses Modell funktionieren kann. Von den von Kox häufig gepriesenen projets de grande envergure des Fonds du Logement und der Société nationale des habitations à bon marché (SNHBM) befindet sich bislang nur Elmen in einem fortgeschrittenen Stadium, die meisten Projekte werden erst in zehn bis 20 Jahren abgeschlossen sein. Ob und in welchem Maß die Gemeinden beim Pacte Logement 2.0 mitmachen werden, ist noch nicht bekannt. Der Fonds spécial de soutien au développement du logement wächst zwar und es wird immer mehr investiert, doch bislang verwalten die öffentlichen Bauträger lediglich 4 000 erschwingliche Mietwohnungen. Neben logements abordable und à coût modéré ist die gestion locative sociale ein weiterer Baustein der nationalen Wohnungsbaustrategie. Rund 1 100 Wohnungen werden zurzeit von unterschiedlichen sozialen Trägern verwaltet. „Wenn mit der Mietrechtsreform nun langjährige Eigentümer älterer Wohnungen merken, dass sie auf dem freien Markt fast dreimal soviel für ihre Immobilie verlangen dürfen, weil das investierte Kapital auch noch im Mietvertrag vermerkt werden muss, überlegen sie sich vielleicht zweimal, ob sie sie wirklich in die GLS geben wollen – trotz der Steuervorteile, die wir bieten“, gibt der Direktor der Agence immobilière sociale, Gilles Hempel, gegenüber dem Land zu bedenken. Henri Kox sieht das freilich anders: „Firwat soll de GLS-Maart verluer goen? En ass jo haut schon do!“

Es mag sein, dass das neue Gesetz zumindest die Mieten für möblierte Zimmer senken oder begrenzen kann, wie Henri Kox immer wieder betont. Für möblierte Zimmer dürfen private Vermieter bislang doppelt so viel verlangen, wie für nicht möblierte Wohnungen, das soll sich künftig ändern. Allerdings hält sich auch in diesem Segment keiner an das Gesetz. Ob sich das nach der Reform ändern wird, ist fraglich, selbst wenn Verstöße künftig leichter einklagbar werden, weil das investierte Kapital im Mietvertrag stehen muss.

Nutznießer Obwohl seit einigen Wochen viel Aufhebens um die Abänderungen zur Mietrechtsreform gemacht wird, dürfte sich durch das neue Gesetz in der Praxis nur wenig ändern. Weil bislang eh kaum ein Vermieter die Fünf-Prozent-Regel respektiert und die Mieten schon seit Jahren sehr hoch sind, werden die zahlreichen, doch kaum geahndeten Verstöße gegen das aktuelle Gesetz nun legalisiert. „Mit dem neuen Gesetz reproduzieren wir lediglich, was draußen sowieso der Fall ist“, sagt Mike Mathias. Mit dem Unterschied, dass langjährige Eigentümer – egal, ob sie eine oder 50 Wohnungen besitzen – künftig keine Angst mehr davor haben müssen, dass ihre Mieter sie wegen Mietwucher vor die Mietkommission zerren oder sie vor dem Friedensgericht verklagen, wenn sie zum Marktpreis vermieten (wie es vor zwei Jahren einem Vermieter auf Limpertsberg erging, der aber auf einen wohlwollenden Richter fiel und den Prozess am Ende gewann). Nutznießer des nun vorliegenden Entwurfs sind hauptsächlich vermögende Familien und Kleinanleger mit luxemburgischer Nationalität – also Wähler/innen –, die schon vor Jahrzehnten wegen hoher Renditen von den Banken dazu ermutigt wurden, ihr Erspartes lieber in Immobilien als auf Sparkonten anzulegen. Ihren Wohnungsbaukredit (wenn sie denn einen benötigten) haben sie längst abbezahlt, ihre „Zusatzrente“ in Form von Mieteinnahmen wird nun gesetzlich legitimiert. Anderen, die das wegen niedriger Sparzinsen und günstiger Immobilienkredite erst nach der Finanz- und Wirtschaftskrise getan haben, verspricht das Gesetz eine stabile Rendite auch in den nächsten 20 bis 30 Jahren. Solange es nicht zu hoher Deflation oder einer Blase kommt, brauchen sie einen Wertverfall ihrer Immobilie nicht mehr zu fürchten.

Und die 14 000 Mieter/innen, die mehr als 40 Prozent ihres Lohns für Wohnen ausgeben? Was tun sie bei der nächsten, künftig ganz legalen, exzessiven Mieterhöhung, solange es noch an erschwinglichen öffentlichen Mietwohnungen fehlt? „Für sie haben wir ja die Mietsubvention“, antwortet Henri Kox.

Luc Laboulle
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